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JULIAN STRYJKOWSKI Asrils Traum. An den Weiden...

Inhalt

Zwei Erzählungen.
Aus dem Polnischen von Karin L. Wolff.
Mit einem Nachwort versehen von Ewa Kobylińska.
1995. 302 S. Ln. EUR 17,80 (3-518-40737-6).

In Stryjkowskis Werk sind die jüdischen Themen geprägt von Ende und Endgültigkeit, ausgelöst durch den Niedergang des metaphysischen, religiösen Menschenbildes am Vorabend des Ersten Weltkrieges. In einem Bruch mit der polnischen literarischen Tradition des 19. Jahrhunderts bekommt das Judentum seine Eigenständigkeit, befreit von allen exotischen Zügen.
Stryjkowskis Geschichten ordnen sich in Zyklen zwischen dem Verlassen patriarchalisch-religiöser Traditionen des Schtetl und der versuchten, in der Regel gescheiterten Rückkehr ein. Die Unmöglichkeit der Rückkehr schützt vor Mystifikationen. Stryjkowskis Helden ersehnen die Flucht aus dem Schtetl, doch erweisen sich Zionismus, Kommunismus und Assimilation zugleich als verfehlte Varianten jüdischer Existenz. Asril weiß bis zum Ende nicht, wer er ist: ein Mystiker oder ein Wüstling; die Wahrheit über sich selbst vermittelt ihm der lokale Mephisto-Ojwedie, der Spötter und Versucher, der weiß, dass Vergangenheit nicht eingeholt werden kann. Asrils Vagabundendasein verkörpert der halb gelähmte Reb Mendel, der sich jede Nacht auf den Weg zur Synagoge macht, sie jedoch niemals erreicht. Ironie, Groteske und Komik mildern die Tragik und das Pathos der Helden.

Julian Stryjkowski (1905 bis 1996), eigentlich Julian Stark, wurde in einer traditionellen jüdischen Familie in Stryj geboren. Nach dem Studium der Polonistik arbeitete er als Lehrer. Er war aktives Mitglied in der Kommunistischen Partei Westukrainas und beschrieb seine sowjetischen Erfahrungen in dem Adam Michnik gewidmeten Buch Große Angst (Wielki strach). Stryjkowski gilt neben Isaac Singer als einer der größten Epiker der jüdischen Kultur in der polnischen Diaspora.

Inhaltsverzeichnis

Allmählich trafen die Juden der Stadt ein.
Der Kantor stimmte an: Wie lieblich sind Deine Zelte, Jaakow... Aspril sang ihm nach: Wie lieblich sind Deine Zelte, Jaakow, Deine Wohnungen, Jissruel. Durch Deiner Gnaden Fülle darf ich betreten Dein Haus, bücke ich mich in Deinem heiligen Tempel in Ehrfurcht vor Dir. O Gott! Ich liebe Deine Wohnstatt, den Ort, wo Deine Herrlichkeit thront. Ich bücke und beuge mich und senke das Knie vor dem Herrn, meinem Schöpfer. O möge mein Gebet vor Dich, Ewiger, kommen zur Gnadenzeit, o Gott! In der Fülle Deiner Huld, erhöre mich in der Treue Deines Heils.
Reb Mendel fehlte. Er hatte es zum Gebet nicht geschafft. Der Kantor sang. ER beeilte sich; es beeilten sich die Juden, denn es war Donnerstag- Markttag.
Die lauten Gebete sprach man schnell. Asril konnte die Worte nicht verstehen; er trug weder Tallis noch Tefillin.

Rezensionen

"Manchen Filmen oder Büchern gelingt es, ganz entlegene Milieus so zu schildern, daß man sich als Fernstehender in ihnen wiederfindet. Woody Allen beispielsweise – ebenso wie Yasujiro Ozu oder Hermann Lenz– ist Meister dieser tröstlichen Kunst. Ihr Geheimnis besteht darin, die Provinz, aus der sie kommen, gleichsam unter einem globalen Gesichtspunkt zu zeigen, unterm Aspekt eines Weltkreises, dessen Bürger sich interessant finden können, weil ihre jeweilig unterschiedlichen Lebensverhältnisse sich nicht so ganz schrecklich ernst nehmen. Die beiden hier anzuzeigenden Erzählungen Julian Stryjkowskis dagegen schaffen es nicht eine Zeile lang, Abstand vom Milieu der erzählenden und erzählten Figuren – es ist eine folkloristisch sentimentalisierte Kleinbürgerwelt, jenes vielsentimentalisierte Stetl eben – zu gewinnen."
Stephan Wackwitz