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Hoffnung der Besiegten - Erzählungen des polnischen Realismus

Inhalt

Herausgegeben von Witold Kośny.
Aus dem Polnischen von Karl Dedecius u. a.
1984. 308 S. Ln. EUR 19,80 (3-518-04586-5).


[Betr. die Zeit um 1860-1900]. 

Der vorliegende Band versammelt eine Auswahl aus dem vor allem in der Epoche des Realismus reich ausgebildeten Repertoire an kurzen Erzählformen und spiegelt damit eine literarische Strömung, die die polnische Literatur nach der Zerschlagung des Januar-Aufstands 1863 bis zu den um die Jahrhundertwende neu gesetzten Akzenten im Jungen Polen geprägt hat.
Die Erzählungen, die eigens für diesen Band neu übersetzt worden sind, zeugen von der künstlerisch vielfältigen Auseinandersetzung einer bedrohten und unterdrückten Nation mit der eigenen Geschichte und Literatur, zugleich aber auch von der Hoffnung der Besiegten auf eine bessere Zukunft.

Inhaltsverzeichnis

Henryk Sienkiewicz
Der Leuchtturmwärter

Der Leuchtturmwärter ist nahezu ein Gefangener. Außer an Sonntagen darf er sein Felseneiland nicht verlassen. Ein Boot aus Aspinwall bringt ihm einmal täglich Lebensmittel und frisches Wasser und fährt gleich wieder fort; auf der ganzen Insel aber, die kaum einen Morgen groß ist, lebt keine Menschenseele. Der Leuchtturmwärter wohnt im Turm und hält ihn in Ordnung; tagsüber gibt er Zeichen, indem er, je nach Barometeranzeige, verschiedenfarbige Flaggen aushängt, abends dagegen entzündet er das Licht. Das wäre keine große Sache, wenn er nicht, um zu den Feuerstellen hoch oben auf dem Turm zu gelangen, über vierhundert Stufen einer ganz steilen Wendeltreppe bewältigen müßte, und ein Leuchtturmwärter unternimmt solche Ausflüge nicht selten mehrmals am Tag. Überhaupt ist dies ein Klosterleben, ja, es ist das Leben eines Einsiedlers. So kann es nicht verwundern, daß Mr. Isaac Falconbridge in arger Verlegenheit war, einen Nachfolger für den Verstorbenen zu finden, und seine Freude, als sich unerwartet noch am selben Tage ein Bewerber meldete, war nur zu verständlich. Es war ein alter Mann, bestimmt schon in den Siebzigern, dabei rüstig und ungebeugt. Bewegungen und Haltung verrieten den ehemaligen Soldaten. Sein Haar war weiß wie Schnee, das Gesicht sonnenverbrannt wie das eines Kreolen, aber den blauen Augen nach zu urteilen, kam er nicht aus dem Süden. Er sah bedrückt und traurig aus, machte jedoch einen ehrlichen Eindruck.

Rezensionen

"Ein interessantes und wichtiges Buch [...] das die besten Autoren jener Stilrichtung versammelt [...] das den Leser mitten in ein zentrales polnisches Problem einführt [...]"
Jochen Halbey, Frankfurter Rundschau