02.11.2020 - Gesellschaft

E-Scooter in Polen – Inovationen zwischen Boom, Rechtstreit und Pandemie

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Zuerst waren sie plötzlich überall in den größten polnischen Städten zu sehen: junge Leute fuhren mit schneller Geschwindigkeit zwischen den Passanten, sie lagen auf der Mitte der Bürgersteige und piepsten abends im Busch. E-Scooter waren 2019 in Polen vor allem unter jungen Menschen sehr beliebt, verursachten aber auch heftige Diskussionen darüber, wie ihre Benutzung geregelt werden soll. Jetzt, in der Coronazeit, können sie wegen der niedrigen Ansteckungsgefahr eigentlich als eines der sichersten Transportmittel angesehen werden. Lässt sich das auch an den Zahlen erkennen? Wie sieht der Markt in Polen aus und wo liegen die größten Unterschiede zwischen dem polnischen und dem deutschen E-Scooter Markt?

Seit 2018 auf dem polnischen Markt

Die ersten E-Scooter zum Ausleihen kamen im Oktober 2018 nach Polen, wo das kalifornische Startup-Unternehmen Lime, das unter anderem mit Google und Uber zusammenarbeitet, in einer ersten Testphase in Wrocław seine E-Scooter zur Verfügung stellte, ehe sie auch in anderen Städten aufgestellt wurden[1] (in Deutschland wurden sie im Mai 2019 zum Folgemonat zugelassen[2]). Nachdem Lime die ersten Monate der einzige Anbieter war, kam im März 2019 mit Hive ein zweiter Anbieter hinzu, bevor in den folgenden Monaten immer mehr Anbieter den polnischen Markt „fluteten“, denn schon im April kündigte sich mit CityBee bereits der vierte Anbieter alleine für Warschau an. Bereits zu diesem Zeitpunkt stellten sich die ersten Fragen nach der Rentabilität. Allerdings muss man hier in Betracht ziehen, dass sich der Markt gerade erst neu öffnete und die Investoren noch nicht mit Gewinnen rechneten.[3] Ganz ähnlich waren die ersten Entwicklungen in Deutschland. Zwar mussten die Unternehmen länger auf eine Zulassung warten als in Polen, doch auch hier war Lime einer der frühesten Anbieter und der Markt wurde hier zu Beginn ebenso förmlich überflutet. So fuhren auf den Straßen und Bürgersteigen Hamburgs im August 2019 bereits die Roller von 4 Herstellern, während ein fünfter sich gerade ankündigte, ähnliches lässt sich auch für andere Großstädte wie Köln oder Stuttgart sagen.[4]

 

AL 2.11.20Rechtliches Chaos

Doch nicht nur die vollgestellten Bürgersteige sorgten für Diskussionen, die bis heute anhalten. Im Zentrum steht die Frage, wo die E-Scooter eigentlich hingehören, auf die Straße oder auf den Bürgersteig? Diese Fragestellung gibt es zwar auch in Deutschland, dennoch lassen sich im Umgang mit ihr Unterschiede zwischen Polen und Deutschland erkennen. Der grundlegende Unterschied ist, dass in Deutschland die Regulierung schon einsetzte, bevor die E-Scooter auf die Straßen kamen, während sie in Polen unter Regeln fahren durften, die noch vom Ende der 1990er-Jahre stammen. In Deutschland stimmte die Länderkammer am 17. Mai 2019 einer neuen Verordnung über Elektrokleinfahrzeuge zu. Diese Fahrzeugkategorie wurde speziell für die E-Scooter eingeführt und legt die Geschwindigkeit für die Scooter auf 12 bis 20 Km/h fest. Gleichzeitig wurden die Fahrbereiche festgelegt, wonach Fußgängerzonen und Gehwege nicht befahren werden dürfen.[5]

In Polen zieht sich die Diskussion um die E-Scooter etwas in die Länge und wird von Kommentatoren als Beispiel dafür gehandelt, „wie langsam die polnische Legislative sein kann“. Zwar wurden im Juni 2019 neue Gesetze für die Benutzung von E-Scootern angekündigt, allerdings kamen für den Gesetzesvorschlag nicht weniger als 111 Änderungsvorschläge zusammen. Auch im Jahr 2020 verzögerte sich die Neuregelung, sodass immer noch eine Verordnung aus dem Jahr 1997 in Kraft ist, der zu Folge Benutzer elektrisch betriebener Fahrzeuge so behandelt werden müssen wie Fußgänger.[6]

Mitte Juni 2020 wurde zwar von der geplanten Änderung berichtet, es folgten aber keine rechtlichen Schritte. Angeblich sollten die E-Scooter in Zukunft auf den Radwegen fahren, und nur falls solche nicht vorhanden sind, sollten sie die Gehwege mitbenutzen dürfen. Sollte die Höchstgeschwindigkeit auf der Straße aber 30 km/h oder weniger sein und ein Fahrradweg fehlen, sollen die E-Scooter die Straße. Wann diese Regelungen in Kraft treten, ist aber noch offen.

Doch nicht nur die Fragen der Verkehrsregelung mussten diskutiert werden. Den anderen großen Streitpunkt stellte die bereits erwähnte „Überflutung“ der Bürgersteige dar. Damit ist gemeint, dass zum einen sehr viele E-Scooter im Einsatz sind, die dazu noch häufig unbedacht stehen gelassen wurden und so Gehwege versperrten. Das führte dazu, dass einige Städte auch die Abstellpraxis für die E-Scooter konkreter regelten. Beispielhaft dafür ist Kattowitz, wo die Stadt in Absprache mit den beiden dort operierenden Anbietern 40 Parkzonen eingerichtet hat, wo in Zukunft die E-Scooter abgestellt werden sollten. Dazu wurde an einigen Orten noch zusätzlich die Geschwindigkeit reguliert.[7] Auch Danzig hat in eine ähnliche Lösung mit speziellen Parkzonen gewählt.[8]

In Deutschland ist die Abstellpraxis ebenfalls Thema von Diskussionen. So beschwert sich die  Herforder CDU-Ratspolitikerin Marion Maw, man müsse „Slalom gehen, um den Elektro-Rollern auszuweichen“. Entsprechend werden auch in Herford 88 Stellplätze für Elektro-Scooter eingerichtet.[9] Andernorts setzt man lieber auf großflächige Verbote, wie in Spandau, wo die E-Scooter in der gesamten Altstadt nicht abgestellt werden dürfen.[10]

Bei den meisten Anbietern handelt es sich um international agierende Unternehmen. Doch auch polnische Unternehmen sind auf dem Markt aktiv. Ein Beispiel stellt Quick dar, ein Unternehmen, das aus Danzig stammt und in seiner Anfangsphase auch ausschließlich dort vorzufinden war, ehe es als sechster Anbieter seine E-Scooter in Warschau aufstellte.[11] Mittlerweile ist Quick nicht mehr in Warschau aktiv, dafür aber neben der Heimatregion des Unternehmens, also Danzig, Gdynia und Zoppot, noch zusätzlich in Stettin. Ein weiterer polnischer Anbieter, der sich im Jahr 2020 sogar als neuer Marktführer etablieren konnte, ist Blinkee.City. Als einziger Anbieter hat er in der Coronapandemie seine Scooter aktiv gelassen.

20201101 121745 4Coronazeit

Die Coronazeit müsste eigentlich die Nutzung von E-Scootern fördern. Als Transportmittel, das Kontakte mit Mitmenschen vermeiden lässt, hätten die E-Roller große Chancen, um noch populärer zu werden. Doch schon im März 2020 zogen sich zwei der größten Anbieter vom polnischen Markt zurück – der Marktführer Lime und auch einer derer wichtigsten Konkurrenten, Bird. Lime stellte vorübergehend in 22 Ländern, darunter neben Polen auch in Deutschland[12], keine Scooter mehr auf, während Bird den europäischen Markt komplett verließ.[13] Die die E-Scooter-Branche wurde zuerst als einer der größten Verlierer der Krise betrachtet.[14] Allerdings konnte sie letztlich doch davon profitieren, dass in Polen im April ein Verbot für die Benutzung von Leih-Fahrrädern in Kraft getreten ist, dieses Gesetz allerdings die E-Scooter nicht erwähnte, sodass diese Lücke von den ersten Anbietern genutzt werden konnte, die dann früher als die Leihradanbieter nach dem ersten Lockdown wieder zurückkehren konnten.[15]

In Deutschland sah die Situation gar nicht so anders aus, auch hier zogen sich die meisten Anbieter zurück.[16] Doch wie in Polen auch, hat sich das Geschäft mit dem Abflachen der ersten Welle etwas erholt, sodass in beiden Ländern die Anbieter am Ende des Frühjahrs wieder zurückkehrten. Hier lässt sich feststellen, dass neben Anbietern wie Bird und Lime, die schon vor der Krise präsent waren, auch neue Konkurrenten auf den Markt kommen. Und so weist einigen Berichten zufolge der E-Roller Markt trotz der Coronakrise vielversprechende Perspektiven auf.[17]

Dabei ist zu bedenken, dass der Markt noch immer sehr dynamisch ist, sodass auch exakte Zahlen schwierig zu nennen sind. Allerdings lassen sich allgemeine Trends erkennen. So war der polnische Markt 2019 noch stark von ausländischen Unternehmen dominiert. Von 7000 E-Scootern, die im Juli 2019 auf den Straßen zu finden waren, stammten 6000 von Unternehmen aus dem Ausland. Die Coronapandemie hat dazu beigetragen, dass der Markt, zumindest Mitte 2020, zu fast 80% von polnischen Unternehmen bedient wurde, wobei mit dem Markteintritt des französisch-niederländischen Unternehmens Dott, das 1500 neue E-Scooter aufstellte, sich diese Zahlen veränderten. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass etwa 15.000-20.000 E-Scooter auf den polnischen Straßen unterwegs sind, also 80% mehr als 2019.[18] In Deutschland standen 2019 insgesamt 30.000 E-Scooter zur Verfügung. Im Jahr 2020 wird diese Zahl alleine von den Städten Berlin, Hamburg und Köln übertroffen, sodass hier auch eine deutliche Tendenz zu erkennen ist.[19]

 



[18] Ebenda.