Polenpolitik Slider

Internationale Konferenz

Ein Jahrhundert deutsche Polenpolitik (1918-2018)

Tradition – Zivilisationsbruch – Verständigung – Partnerschaft

Berlin, 15. bis 16. November 2018
Auswärtiges Amt

In Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland

Download des Programms | Bildergalerie

Tagungsbericht

Eine Gesamtschau deutscher Polenpolitik seit 1918 – nicht mehr und nicht weniger leistete die Tagung „Ein Jahrhundert deutsche Polenpolitik“, die das Deutsche Polen-Institut in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt am 15. und 16. November 2018 in Berlin organisierte. Dabei standen die Brüche, aber auch  Kontinuitäten über Zäsuren hinweg im Mittelpunkt, was der Untertitel verdeutlichte: „Tradition – Zivilisationsbruch – Verständigung – Partnerschaft“. Anlass war die hundertste Wiederkehr des Tages, an dem die eben ausgerufene deutsche Republik Ende 1918 die neue Zweite Republik Polen diplomatisch anerkannte.

Eingeleitet wurde die Tagung im repräsentativen Weltsaal des Auswärtigen Amtes durch eine Grundsatzrede von Bundesaußenminister Heiko Maas. Vor rund 400 Zuhörerinnen und Zuhörern erinnerte er an die dunklen Traditionen deutscher Polenpolitik, aber auch an den neuen Aufbruch, den vor einem halben Jahrhundert schließlich die bundesdeutsche Politik wagte: Seit Willy Brandts Warschauer Kniefall im Dezember 1970 – eine „menschliche Geste“ – habe die Bundesrepublik Deutschland immer positiver nach Polen geschaut. Heute, so Maas, wolle sie auf der Grundlage des geschaffenen Vertrauens gemeinsam mit Polen die Zukunft bauen. Er schlug eine neue europäische Ostpolitik vor, in der Deutschland mit Polen, aber auch vielen weiteren Partnern gemeinsam agieren müsse, in erster Linie mit Blick auf Russland und die Ukraine. Polen und Deutschland seien „Vordenker und Motoren einer solchen Politik“, sagte Maas, und: „Polen ist eine unersetzliche Führungskraft in Europa.“ Der polnische Botschafter in Berlin, Andrzej Przyłębski, replizierte distanziert, indem er auf die lange Tradition einer „katastrophalen“ deutschen Politik und der Überheblichkeit abhob; die Nachbarschaft sei nach wie vor „nicht befriedigend“.

Das folgende Szenarienpanel hatte den Zweck, ausgewiesene Expertinnen und Experten einen Blick in das Jahr 2028 werfen zu lassen, um die deutsch-polnischen Beziehungen aus dieser Zukunftswarte neu zu beleuchten. Kai-Olaf Lang (Berlin) und Justyna Schulz (Posen) taten dies aus wissenschaftlicher, die beiden Parlamentsabgeordneten Manuel Sarrazin (Bundestag) und Bartłomiej Wróblewski (Sejm) aus politischer Sicht und gelangten dabei teils zu höchst komplexen Szenarios möglicher Entwicklungspfade des bilateralen Verhältnisses.

Auch der zweite Konferenztag führte wieder mehrere hundert interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer in den Weltsaal. Vier Panels standen auf dem Programm, außerdem ein Einzelvortrag. Einleitend beschäftigten sich Gottfried Niedhart (Mannheim), Bernard Wiaderny (Berlin), Stanisław Żerko (Posen) und Karina Pryt (Frankfurt/M.) mit der deutschen Polenpolitik zwischen den beiden Weltkriegen; Hans-Jürgen Bömelburg kommentierte. Es wurde deutlich, wie groß die Belastungen für ein einvernehmliches Miteinander waren; selbst die Außenkulturpolitik hatte kaum Interesse daran, die Beziehungen gedeihlicher zu gestalten. Anschließend skizzierte Stephan Lehnstaedt (Berlin) den Zivilisationsbruch in der deutschen Polenpolitik im Zweiten Weltkrieg, die bis zur „Quintessenz des Hasses gegenüber Polen“ geführt habe. Paweł Machcewicz (Warschau/Jena) kommentierte dies und hob insbesondere auf die Erinnerungskultur ab, in der er nach wie vor ein Defizit auf deutscher Seite mit Blick auf die kollektive Wahrnehmung der Gewaltpolitik gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung feststellte.

Das zweite Panel widmete sich den Jahren zwischen Kriegsende und 1970. Krzysztof Ruchniewicz (Breslau), sprach über die kaum sichtbaren Ansätze einer neuen Polenpolitik unter Konrad Adenauer, Wolfgang Schmidt (Berlin) nahm sich der Vorbereitungen des Warschauer Vertrags an, Paweł Zajas (Posen/Marbach) behandelte den Rahmen, den das Auswärtige Amt in unterschiedlichen Kontexten für die Außenkulturpolitik gegenüber Polen setzte und Hermann Wentker (Berlin) ging auf das besondere Verhältnis der DDR zu Polen ein. Adam Krzemiński (Warschau) wies in seinem Kommentar zu Recht auf die große Spannbreite deutscher Polenpolitik in dieser Epoche hin.

Das dritte Panel galt den beiden Jahrzehnten zwischen 1970 und 1990. Dieter Bingen (Darmstadt) steckte Grundlinien deutscher Polenpolitik zwischen Warschauer Vertrag und deutscher Einheit ab und hob das große Risiko hervor, das Willy Brandt mit seiner Ostpolitik einging. Burkhard Olschowsky (Oldenburg) erörterte die DDR-polnischen Beziehungen und Dominik Pick (Berlin) beschäftigte sich mit der bundesdeutschen Außenkulturpolitik in dem Zeitraum. Anna Wolff-Powęska (Posen) kommentierte mit einer sehr nachdenklichen Reflexion. Schließlich ging es in die Gegenwart: Klaus Ziemer (Warschau), Stefan Garsztecki (Chemnitz) und Piotr Buras (Warschau) analysierten unterschiedliche Aspekte deutschen  Agierens gegenüber Polen, wobei Garsztecki die Rolle der Geschichte in den bilateralen Beziehungen thematisierte. Joanna Stolarek (Berlin) wies zum Abschluss noch darauf hin, wie hochgradig maskulin die deutsche Polenpolitik und ihre wissenschaftliche Begleitung bislang gewesen ist.

In einer abschließenden abendlichen Gesprächsrunde im Internationalen Club kamen amtierende und ehemalige Botschafter zu Wort. Die beiden früheren bundesdeutschen Diplomaten  in Warschau, Rüdiger von Fritsch und Reinhard Schweppe, der letzte DDR-Botschafter in Warschau, Jürgen van Zwoll, und Janusz Reiter, 1990-1995 polnischer Botschafter in Bonn/Berlin, tauschten – moderiert von Włodzimierz Borodziej – ihre Erfahrungen und Erinnerungen aus, sprachen über Handlungsfelder und Möglichkeiten von Diplomaten und gaben aber auch manche Anekdote zum Besten.

Diese Konferenz, sicherlich die  größte, die das DPI bisher veranstaltet hat, bot einen einmaligen Überblick über ein Jahrhundert deutscher Polenpolitik. Die Ergebnisse sollen 2019 in Form eines Sammelbandes veröffentlicht werden.

Peter Oliver Loew