die schleifung

Band Nr. 20

Die Schleifung

Zerstörung und Wiederaufbau historischer Bauten in Deutschland und Polen.

Inhalt

Zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte gehört die bewusste Zerstörung, die Überformung von Strukturen, Bauwerken und Objekten von symbolischer, politischer oder religiöser Bedeutung mit dem Ziel der Identitätsstörung. Der Umgang mit den zerstörten Gebäuden und Strukturen spiegelt die Absicht, neue Identitäten zu schaffen bzw. an frühere anzuknüpfen. Das Phänomen der Zerstörung symbolträchtiger Bauten und der Umgang mit ihnen sowie der sie umgebenden Strukturen ist in gleicher Weise von Sprach- und Begrifflosigkeit gekennzeichnet. So wie der Begriff "Ikonoklasmus" für den Bereich der Kunstobjekte genutzt wird, fragt sich, ob der Begriff "Schleifung" für den zerstörerischen Umgang mit historisch-politischen Baudenkmälern zutreffend wäre. Anhand von Beispielen aus Deutschland und Polen hat diese Fragen ein Workshop im Deutschen Historischen Museum untersucht. Polen und Deutschland bieten sich nicht nur wegen der nachbarschaftlichen Nähe an, sondern insbesondere wegen der Vergleichbarkeit von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen in der Zerstörung und im Umgang mit dem Zerstörten. Experten aus beiden Ländern stellen Beispiele des Abrisses und des Wiederaufbaus historischer Bauten und Ensembles heraus und diskutieren, ob sich aus Ähnlichkeiten der Entwicklungen definitorische Typisierungen beschreiben lassen.

Inhaltsverzeichnis

Dieter Bingen, Hans-Martin Hinz: Vorwort (S. 7-8)

Hans Ottomeyer: Begrüßungen und Einführung in das Thema (S. 9-11)

Hans Wilderotter: „Kein Stein wird auf dem anderen bleiben“. Zerstörung und Wiederaufbau von Architektur als symbolische Politik (S. 12-32)

Robert MacDonald: September 11, 2001: Historical Museums Address Issues of Documenting, Preserving, Interpreting and Memorializing a Terrorist Attack on New York City (S. 33-43)

Soviel Anfang war nie: Deutschlands und Polens kriegszerstörte Städte. Konzeptionen für den Umgang mit historischer Bausubstanz, alte und neue Stadtplanungen, Wiederaufbau und Utopien

Werner Durth: „Utopia im Niemandsland: Stadtplanung als Vernichtung“ (S. 47-65)

Bogdana Kozińska: Neue Stadtstrukturen und Symbole des Neuanfangs in Stettin: Die sozialistische Stadt im Gefüge historisch gewachsener Städte (S. 66-79)

Konstanty Kalinowski: Rückgriff auf die Geschichte. Der Wiederaufbau der Altstädte in Polen - das Beispiel Danzig (S. 80-96)

Ulrich Höhns: Rückwärtsgewandte Utopien? Wiederherstellung historischer Stadtgefüge in Deutschland (S. 97-104)

Symbolpolitische Gesten: Zerstörung, Neuplanungen und Wiederaufbau von politischen und kulturellen Baudenkmälern

I. Das Residenzschloss

Piotr Majewski: Ideologie und Denkmalpflege. Der Wiederaufbau des Warschauer Königsschlosses 1944–1980 (S. 107-116)

Dethard von Winterfeld: Deutsche Residenzschlösser nach 1945 (S. 117-141)

Wilhelm von Boddien: Sind Schlösser rekonstruierbar? – Aktueller Stand zum Berliner Schloss (S. 142-151)

II. Sakrale Bauten und historische Ensembles mit hohem Identitätsgrad

Christian Wendland: Die Potsdamer Hof- und Garnisonkirche – Stationen eines wiederholt missbrauchten Kirchenbaus (S. 152-164)

Andrzej Tomaszewski: Legende und Wirklichkeit: Der Wiederaufbau Warschaus (S. 165-173)

III. Der Umgang mit Repräsentationsbauten der Diktaturen des 20. Jahrhunderts

Hans-Ernst Mittig: Marmor der Reichskanzlei (S. 174-187)

Janusz L. Dobesz: Der Umgang mit den Bauten aus der NS-Zeit in Polen (S. 188-198)

Schlussdiskussion (S. 199-208)

Hans-Jörg Czech: Schleifung und Rekonstruktion. Ansätze zur Definition eines Phänomens der neuzeitlichen Kulturgeschichte  (S. 209-219)


Zu den Autoren (S. 221-223)

Rezensionen

"Zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte gehört die bewusste Zerstörung von symbolisch aufgeladenen Bauwerken und städtischen Topographien, um an ihrer Stelle neue identitätsstiftende Gebäudestrukturen zu setzen. (...) Die Initiatoren einer vom Deutschen Historischen Museum sowie vom Deutschen Polen-Institut ausgerichteten Tagung ließen sich von der Militärsprache inspirieren und schlagen den Terminus der 'Schleifung' vor, um die Sache, d. h. den zerstörerischen Umgang mit historisch-politischen Baudenkmälern im 20. Jahrhundert zu treffen.
In vierzehn thesenfreudigen Essays von Historikern, Museologen, Denkmalpflegern und Kunsthistorikern werden weniger abgeschlossene Forschungsergebnisse präsentiert (...). Originell ist hingegen der Rahmen, der beherzte Ansatz, diese Problematik aus einer vergleichenden deutsch-polnischen Perspektive zu betrachten."
Stefan Laube in: Süddeutsche Zeitung vom 23. Dezember 2005

"Wie bei einem Workshop zu erwarten, bündelt der Band mehr Perspektiven als Ergebnisse. Der deutsch-polnische Vergleich zeigt aber, dass in Polen und in beiden Deutschland abseits von ideologischen Gründen die Unterschiede im Umgang mit der historischen Bausubstanz gar nicht so groß gewesen sind. Modernisierung von Stadtgrundriss und Gebäuden hat hier wie dort auch einen Verlust an Lebensqualität bedeutet, das denkmalpflegerisch Falsche konnte durchaus die Lebensqualität verbessern."
Wolfgang Kessler in: Abdos-Mitteilungen 25 (2005), Nr. 2

"Die Schleifung zielt (...) in einem übertragenen Sinne auf die politisch-ideologischen Bollwerke eines als überholt verstandenen Gesellschaftssystems, eines ideologischen Gegners oder einer als feindlich definierten Nationalkultur. In diesem Sinne können alle Bauwerke der Schleifung zum Opfer fallen, die einen politischen oder kulturellen Symbolcharakter besitzen. (...) Die Entscheidung, wie mit Ruine und Platz eines geschleiften Bauwerks umzugehen sei, besitzt einen nicht minderen symbolpolitischen Stellenwer. Die Rekonstruktion des historischen Bauwerks als 'Antischleifung' (...) wird deshalb zu einer Option der Stadtplaner und Denkmalpfleger. (...)
Die Diskussion darüber, was als 'erlaubte Rekonstruktion' (von Winterfeld) zu betrachten ist und was nicht, wurde von den Tagungsteilnehmern ein ganzes Stück weitergeführt".
Andreas R. Hofmann in: HSozUKult vom 6. Juli 2006
(zur vollständigen Rezension)

"Der Sammelband enthält insgesamt 14 Beiträge nebst einer Reihe von Diskussionsprotokollen, die publizistischer Ertrag eines Workshops sind (...). Vornehmlich Kunsthistoriker sowie Denkmalpfleger widmeten sich (...) einem Dauerthema von hoher Brisanz und Komplexität."
Michael Lissok in: Baltische Studien 92 (2006) [Druck: 2007], S. 229-231

"Les études de cas ici réunies ont en commun de laisser de côté les nombreuses destructions 'collatérales', comme dirait notre cynique vocabulaire d'aujourd'hui, survenues dans le feu de l'action guerrière, pour mieux questionner la fonction symbolique du 'rasage' d'un bâtiment et de sa reconstruction éventuelle (...). Même si, bien entendu, la limite entre les deux types de destruction est ténue, l'accent est mis sur le geste d'abaissement symbolique assumé, sur la négation programmatique de l'altérité nationale, ou encore sur la volonté idéologique d'effacer les témoins architecturaux d'un système social honni, à l'image des résidences royales et aristocratiques dans une perspective de lutte des classes."
Thomas Serrier. In: Bulletin d'information de la Mission Historique Francaise en Allemagne 43 (2007), S. 377-379.