CoverJanion

Band Nr. 15

Maria Janion: Die Polen und ihre Vampire

Studien zur Kritik der Phantasmen

Inhalt

Maria Janion, Literaturwissenschaftlerin und namhafte Romantikforscherin, ist eine der unumstrittenen intellektuellen Autoritäten in Polen. Sie hat sich stets in politische Debatten eingemischt und in den letzten Jahren ihre Prominenz dazu genutzt, die Frauenbewegung und die wiedererwachte Neue Linke zu unterstützen. Bereits in den frühen Achtzigern machte sie Autoren wie Foucault, Bataille, Susan Sontag, R.D. Laing in Polen bekannt. Ihre Schüler sind die Initiatoren der polnischen Gender-Forschung.

Im Zentrum ihres Werkes steht der Begiff der krytyka fantasmatyczna, die Befragung von Literatur, Film und Kunst auf ihre imaginären Potenziale hin, auf bewusste und unbewusste kulturelle Vorstellungen, Selbst- und Fremdbilder, die in den ästhetischen Gebilden wirksam sind. Ein bedeutendes romantisches Phantasma ist der Vampir als Doppelgänger und Schatten, als »Symbolfigur für die Transgression zum Bösen«. Maria Janions kritische Studien zu Bildern des Weiblichen oder zum „unheimlichen Slawentum“ als dem Unterbewussten der europäischen Kultur provozieren nationalkonservative Kreise bis heute. Was es für die Polen bedeutet, dass ihr Land Schauplatz des Holocaust war, ist eines der großen Themen ihres Spätwerks. Mit ihrem Ruf »Nach Europa, ja! Aber nur zusammen mit unseren Toten« fordert sie, im Anschluss an Adam Mickiewicz’ »Ahnenfeier« und Imre Kertész’ Rede vom »Holocaust als Kultur«, eine Kultur des Trauerns und Erinnerns.

Maria Janion, 1926 im Nordosten Polens geboren, erlebte als Schülerin in Wilna die sowjetische und die deutsche Okkupation der Stadt. 1945 wurde die Familie nach Lodz expatriiert. Dort studierte Janion Polonistik. Sie schloss sich einer marxistischen Studentenorganistation an, in der auch Leszek Kołakowski und Jerzy Jedlicki aktiv waren. Ihre jahrzehntelange Forschungstätigkeit am Institut für Literaturforschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau verband sie mit der Lehre in Danzig, zunächst an der Pädagogischen Hochschule, dann an der Universität. Seit den späten siebziger Jahren engagierte sie sich für die Solidarność. Zu ihren wichtigsten Büchern gehören: Frauen und der Geist der Andersartigkeit (1996), Das Weinen des Generals. Essays über den Krieg (1998), Der Vampir. Eine symbolische Biographie (2004), Unheimliches Slawentum (2006), Held, Verschwörung, Tod. Jüdische Vorlesungen (2009).

Magdalena Marszalek
ist Professorin für Slavische Literatur- und Kulturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Polonistik an der Universität Potsdam und beschäftigt sich unter anderem mit polnischer Literatur und Kultur der vergangenen zwei Jahrhunderte sowie mit polnisch-jüdischer Kulturgeschichte. Sie hat ein Buch über die Schriftstellerin Zofia Nałkowska verfasst und arbeitet derzeit an einer Monographie mit dem Titel Postmemoriale Ästhetiken in der polnischen Literatur und Kunst.

 

 

Inhaltsverzeichnis

Magdalena Marszałek: Einführung. Philologie als Schlüssel zur Kulturgeschichte. Maria Janion, die große Unbekannte unter den europäischen Intellektuellen

Die Polen und ihre Vampire
Sich selber fremd
Polen in Europa
Krieg und Form
Der jüdische Oberst
Der Gründungsmythos des polnischen Antisemitismus
Adam Mickiewiczs polnische Legion
Die Ironie des Calek Perechodnik
Lebend verlieren wir das Leben

Anmerkungen
Drucknachweis
Personenverzeichnis

 

Rezensionen

Unter den "besten Büchern im August 2014" bei perlentaucher.de

 

"Die vorgestellten Texte zeigen die Verbindungslinien im (Spät-)Werk Janions auf und ermöglichen einen differenzierten Einblick in ihr facettenreiches Denken und die Aktualität ihres Schaffens. Die von Bernhard Hartmann und Thomas Weiler übersetzten Essays geben dabei den Stil Janions (...) äußerst gelungen wieder. (...) steht (...) endlich auch auf Deutsch eine Autorin zur Verfügung, die mit ihren Texten nicht nur das Verständnis um die nationale Befindlichkeit Polens zu fördern vermag, sondern ihre Betrachtungen immer wieder mit Beispielen aus der europäischen Literatur- und Geistesgeschichte bereichert. Dies offenbart den implizit transnationalen und interdisziplinären Ansatz Maria Janions, die somit einem fachinteressierten und wissenschaftlichen Publikum über die Grenzen der (slavistischen) Literaturwissenschaft reichende Impulse zu geben vermag."

Anna Baumgartner, in: Pol-Int.org, 22.9.2014 (vollständige Rezension)

 

"Sobald nur ihr Name fällt, gerät jeder ins Schwärmen, und die Superlative wollen nicht aufhören: die berühmteste Literaturwissenschaftlerin Polens. Die grösste Intellektuelle des Landes. Das lebende Synonym des nonkonformistischen Denkens. (...) Ob die neue Linke, das Abtreibungsrecht, die Verschwörungstheorien um die Flugzeugkatastrophe bei Smolensk oder neue Verhaltensmuster der Polen - es gab kaum ein Thema, zu dem sie geschwiegen hätte."

Marta Kijowska, in: Neue Zürcher Zeitung, 8.11.2014

 

"Als wache Kritikerin des postkolonialen Polens und Literaturhistorikerin regt Maria Janion ethische Debatten in dem östlichen Nachbarland an."

Arkadiusz Luba, in: Deutschlandradio Kultur - Lesart, 22.11.2014

 

"Dass man Aufsätze von Maria Janion erst jetzt ins Deutsche übersetzt und damit ihr so originelles wie unprätentiöses Nachdenken über Nation, Identität oder den polnischen Antisemitismus hierzulande zugänglich macht, bleibt ein unbegreifliches Versäumnis. Es ist wohl das Symptom einer nachlässigen Sondierung des osteuropäischen Raumes aus Sicht der hauptsächlich an Frankreich und den USA orientierten postmodernen Denkschulen. (...) Janion betreibt in ihren insgesamt neun Studien zur polnischen Kulturgeschichte Literaturwissenschaft als Ideengeschichte und enthüllt ihren Lesern damit ein Polenbild, das man in den üblichen Geschichtswerken so originell und konzise nicht geboten bekommt. Es genügt aber nicht nur etwas zu sehen, man muss es auch erzählen können! Dass sie sehen und erzählen kann, macht Maria Janion zu einer wahrhaft bedeutenden Geisteswissenschaftlerin."

Katharina Teutsch: Vampirisch gut. Die politischen Essays der polnischen Gelehrten Maria Janion erscheinen endlich auf Deutsch, in: Die Zeit Nr. 37/2014.

 

"(...) Maria Janion beobachtet bis heute die sozialen und politischen Dynamiken in ihrem Land, sie analysiert seine kulturellen Phantasmen und wird dafür auch von der jüngeren Generation geschätzt. In Deutschland hingegen kannte man sie bisher nur unter Polonisten. Dabei hat die Philologin mit dem anthropologischen Blick und dem Sinn für Verdrängtes in den letzten dreißig Jahren weit mehr zum westöstlichen Dialog beigetragen als mancher hochdekorierte Osteuropahistoriker oder Stalinismusexperte. Die in der Reihe 'Denken und Wissen' des in Darmstadt ansässigen Deutschen Polen-Instituts erschienene Aufsatzsammlung war deshalb lange überfällig. (...) Mit 'Die Polen und ihre Vampire' ist eine der großartigen Frauen und Zeitzeuginnen des 20. Jahrhunderts zu entdecken, die das kulturelle und intellektuelle Leben Polens durch ihren weiten Denkhorizont und dank ihrer Erfahrungen in unterschiedlichen politischen Systemen bis heute bereichern."

Stefanie Peter: Warum die Polen Zombies und Vampire lieben, "Die Welt", 27. Juli 2014 

 

"Anachronistische Substrate nationaler Mentalitäten geben, wenn sie in der von Maria Janion beschriebenen Weise gezähmt worden sind, einem Staatswesen und einer nationalen Kultur Farbe, Vitalität und Ausstrahlung. Polen mag in Deutschland noch immer ziemlich unbekannt sein. Aber es ist ein faszinierendes Land mit einer merkwürdigen, in manchen Zügen auch seltsamen und exotischen Kultur. (...) Wer sich mit den interessanten und fruchtbaren Paradoxien der modernen polnischen Kultur befassen will, hat in diesem originell gestalteten Auswahlband aus der 'Polnischen Bibliothek' (...) einen guten Ausgangspunkt".

Stephan Wackwitz: Wo die Romantik nie zu Ende gegangen ist, "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 30. Juli 2014

 

"Maria Janion, Jahrgang 1926, schreibt seit Jahrzehnten über die großen Themen der polnischen Kultur. Bis heute gültige Denkmuster, Traditionen und Mythen ihrer Gesellschaft werden so verständlich. Es ist faszinierend, wie sie ihr historisches Wissen mit den geisteswissenschaftlichen Debatten unserer Zeit verknüpft - und es war höchste Zeit, das deutsche Publikum mit dem Werk dieser Denkerin bekannt zu machen."

Martin Sander: Ein Blutsauger als Befreier, Deutschlandradio Kultur, 31. Juli 2014

 

"Was Susan Sontag für Amerika war, ist Maria Janion für Polen. Eine nicht zu überhörende intellektuelle Stimme, die seit 60 Jahren alle wichtigen politischen und kulturellen Entwicklungen begleitet und mit vorantreibt. Zum 88. Geburtstag Maria Janions übersetzt der Suhrkamp Verlag erstmals ihre einflussreichsten Schriften. Darin befragt Janion unter anderem die eigene Kultur durch deren kulturelle Produkte, allen voran den Vampir, der in der polnischen Literatur und im Film eine besondere Rolle spielt. Denn er ist nicht nur ein unsterblicher jugendlicher Verführer, sondern steht in dem Land, das Schauplatz des Holocausts war, stets für weitaus dunklere Geheimnisse. Ein Blick zurück nach vorne, weil – wie Scala findet – Janion auch heute noch eine Menge zu sagen hat." [zur vollständigen Sendung]

Mithu Sanyal: Die Schriften der polnischen Autorin Maria Janion. Im Land der Vampire, WDR 5, "Scala", 30. Juni 2014