Band Nr. 14
Józef Tischner: Der Streit um die Existenz des Menschen
Inhalt
Der Priester und Philosoph Józef Tischner, Vordenker der Gewerkschaft Solidarnosc, gilt als einer der wichtigsten polnischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. In den Jahren vor seinem Tod wandte er sich noch einmal seinen theologischen und philosophischen Lebensthemen zu. Im Dialog mit Kant und Descartes, Kierkegaard, Levinas und Sartre, aber auch in der Auseinandersetzung mit den Werken Warlam Schalamows und Witold Gombrowiczs stellt er radikale Fragen: Hat der Mensch im Zeitalter des totalitären Terrors, in der Epoche von Auschwitz und Kolyma, nicht seine Menschlichkeit verloren? Müssen die Begriffe des Guten, die Vorstellungen von Gerechtigkeit, Freiheit und Verantwortung angesichts der immensen Schuld nicht neu gedacht werden? Tischners These lautet: Selbst wenn der Mensch tot ist, so bedeutet dies vor allem, daß er existiert hat. Wenn er aber existiert hat, so kann er wiedergeboren werden. Die Interpretation existentieller Erfahrungen und Kategorien wie Hoffnung und Verzweiflung, Leib und Seele, Gnade und Gnadenlosigkeit weisen den Weg zu einem Neuentwurf dessen, was der Mensch sein könnte.
Józef Tischner (1931–2000) war eine intellektuelle Autorität Polens im 20. Jahrhundert. Aus dem südpolnischen Bergland stammend, widmete er sich nach seiner Ausbildung zum Priester der Philosophie. Er lehrte an der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau und war lange Präsident des Wiener Instituts für die Wissenschaft vom Menschen. Auf deutsch sind u.a. erschienen Ethik der Solidarität. Prinzipien einer Hoffnung (1982), Das menschliche Drama (1989).
Inhaltsverzeichnis
Zur Einführung
Ein Optimist in Dantes Hölle
Józef Tischners Versuch, die Menschlichkeit zu denken
von Steffen Huber (S. 9)
Vorwort (S. 33)
1. Ein Rundgang mit Aussicht – auf das Böse (S. 35)
2. Das Drama der Leiblichkeit (S. 94)
3. Zeit des Leibes – Zeit des Menschen (S. 129)
4. Aus der Geschichte des Gnadenproblems (S. 152)
5. Die Heilsordnung (S. 190)
6. Die Person im Drama (S. 241)
7. Ein ontologischer Beweis für die Existenz des Menschen (S. 289)
8. Die Freiheit als Seinsweise des Guten (S. 316)
Personenverzeichnis (S. 363)
Rezensionen
"[...] das besondere an diesem philosophischen Text über die Existenz des Menschen und die Möglichkeit des Guten liegt in der überzeugenden Verbindung von theologischen und philosophischen Überlegungen, die aus der Praxis und aus der Ethik des Widerstandes gegen rechte und linke Totalitarismen entstanden sind. [...]
Im vorliegenden Buch verbindet [Tischner] [...] erfahrungsweltliche Überlegungen mit den Formen unterschiedlicher metaphysischer Philosophietraditionen von Augustinus über Kant bis Kierkegaard und Lévinas. Für den Leser entsteht daraus ein philosophischer Dialog über den Menschen, der keine Gewissheiten anbietet, aber einen Horizont der Möglichkeiten für das Gute erschließt - selbst nach Hitler und Stalin."
Emil Brix: Das Erbe der Ethik der Solidarität. In: Quart. Zeitschrift des Forums Kunst-Wissenschaft-Medien, 2011, H. 1, S. 27-28. [zur kompletten Rezension]
"Im Streit um die Existenz des Menschen ist das Böse der Widerpart, an dem sich das Gute zu erweisen hat. Trotz der in ihrer existenziellen Bedrohlichkeit ausgeloteten Macht des lähmenden, menschenvernichtenden Bösen gibt es für Tischner begründete Hoffnung auf die Erhaltung bzw. Wiedergeburt des Menschlichen im Menschen. In der Betrachtung des Bösen sind nämlich auch dessen Grenzen deutlich geworden: Das Böse vermag den Menschen nicht zu vernichten, so lange dieser sich nicht selbst vernichtet. Der Mensch ist auch Teilhaber am Guten. [...]
Der Streit wurde exzellent übersetzt von Steffen Huber, einem in Tischners Heimatstadt tätigen deutschen Philosophen. Huber macht aufschlussreiche Anmerkungen zu Übersetzungsfragen und zu im deutschen Diskurs weniger bekannten Sachverhalten bzw. Quellen. Er hat zudem eine äußerst hilfreiche Einleitung verfasst, mit der der deutsche Leser umsichtig und sachgerecht mit dem historischen Hintergrund und der philosophischen Herangehensweise Tischners vertraut gemacht wird, die nicht immer den akademischen Gepflogenheiten entspricht."
Enrico Sperfeld: Es lebe der Mensch! Józef Tischners Streit um die Existenz des Menschen, in: Rundbrief 36/2011 des Lehrstuhls für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft (TU Dresden), S. 32-35. [zum Rundbrief]
"Tischner sieht hinter die Metaphern der Philosophie, er schreibt mit faszinierender Klarheit und entwickelt sein christliches Prinzip Hoffnung: 'Wenn der eine dem Anderen als Vertrauter für seine Hoffnung zur Verfügung steht, ist der Tod des Menschen überwunden'. Ein überaus lesens- und nachdenkenswertes Buch!"
Michael Braun in: www.medienprofile.de [zur kompletten Rezension]
"Der Titel des Buchs knüpft an Roman Ingardens 'Streit um die Existenz der Welt' an. Tischner möchte seinem Lehrmeister damit seine Verehrung ausdrücken. Seine These lautet: Selbst wenn der Mensch tot ist, wie manche Strukturalisten behaupten, so bedeutet dies vor allem, dass er existiert hat. Und wenn er existiert hat, kann er wiedergeboren werden. [...] Dieses Buch kann [...] eine Bedeutung für den deutsch-polnischen Dialog bekommen. Es kann ihn neu befruchten. [...] Das Buch ist hervorragend übersetzt und mit einer Einführung versehen worden von Steffen Huber. Es hat schöne Fotos von Tischner selbst, auch als Kind oder unterwegs mit Schülern. "
Joachim Hildebrandt, in: Deutschlandfunk, 21.1.2011 [zur kompletten Rezension]
"Aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzt von Steffen Huber, der - wie der von ihm verfasste Einführungstext, aber auch die hin und wieder auftretenden Fußnoten deutlich machen - mehr ist als nur ein präziser und stilistisch gewiefter Übersetzer. Huber ist offensichtlich ein ausgezeichneter Kenner der Philosophie Tischners und der ihm geistig nahestehenden Philosophen und Theologen, und man spürt bei der Lektüre, dass Huber mit einer unglaublichen Sorgfalt und Sinn für die kulturellen Unterschiede Tischner dem deutschen Leser verständlich machen will. [...]
Ein wesentlicher Gedankenschritt im 'Streit um die Existenz des Menschen' ist [...] Tischners Betonung des Guten ('Agathologie') in Abgrenzung von den Werten ('Axiologie'). [...] Der wichtigste, vielleicht geniale Clou in Tischners Denken vollzieht sich aber, wenn er auf Grundlage dieses Guten den bekannten ontologischen Gottesbeweis von Anselm von Canterbury [...] neu formuliert und als 'Menschenbeweis' interpretiert [...].
Fazit: Ein wichtiges Buch eines großen Philosophen, das nun endlich in deutscher Sprache vorliegt. Tischners hochmoderne, christliche Denkwege zeigen, dass das Christentum den selbstbewussten Dialog mit der zeitgenössischen Philosophie nicht zu scheuen braucht."
Stefan Meetschen, in: Die Tagespost (Würzburg), 7.12.2010
"In dieser letzten großen Monographie setzt Tischner seine in den achtziger Jahren entwickelte Philosophie des Dramas [...] fort. Sein lebensweltlich-phänomenologischer Ansatz lässt ihn auch hier von authentischen Zeugnissen menschlicher Erfahrung ausgehen [...].
[Die Übersetzung Steffen Hubers] ist flüssig, stilistisch ansprechend und kann vor allem im Hinblick auf die Übertragung des Tischnerschen Duktus überzeugen. [...] Hilfreich für den deutschen Leser, der mit Tischners Denk- und Schreibstil noch nicht vertraut sein mag, ist zudem Hubers Einführung. [...]
Mit Der Streit um die Existenz des Menschen wird die Reihe Denken und Wissen des Deutschen Polen-Instituts erneut ihrem Anspruch gerecht, zentrale Texte des polnischen Geisteslebens einem deutschen Publikum zugänglich zu machen. Es ist dem Buch ausdrücklich zu wünschen, dass es neue Impulse für die deutsche Tischner-Rezeption auslöst.
Ulrike Lang, in: Osteuropa 2001, H. 5/5, S. 359 f.
Buch des Monats des Deutsch-polnischen Kalenders Point April 2011