Band Nr. 12
Czesław Miłosz: Visionen an der Bucht von San Francisco
Inhalt
Die Amerika-Essays, die der polnische Nobelpreisträger Czeslaw Milosz vor fast 40 Jahren veröffentlichte und die nun erstmals auf deutsch erscheinen, haben nichts an Frische eingebüßt. Zehn Jahre, nachdem sich der aus dem Osten stammende Autor ganz im Westen der westlichen Welt, bei San Francisco, niedergelassen hatte, schrieb er ein sehr persönliches Buch, eine Reise zu sich selbst: "Wenn man nirgendwohin zurückkehren kann, muß man das Gegebene akzeptieren. Doch wie soll man damit zurechtkommen? Wie soll man es sich aneignen? Und dabei geht es nicht so sehr um Amerika, sondern um die Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts in ihrer kalifornischen Spielart."
Milosz schreibt über die großartige, aber auch furchteinflößende Natur der amerikanischen Westküste, über die Rolle des Intellektuellen in der amerikanischen Gesellschaft, über Zensur, Henry Miller, Herbert Marcuse, die Religion und immer wieder über den Mythos Amerika. Ein großartiges Panorama seiner Zeit und ein persönliches Bekenntnis zugleich. Die New York Times schrieb: "Milosz klingt wie jemand, der Schritt um Schritt direkt aus der Geschichte kommt und verwundert, aber auch dankbar darüber ist, die unhistorische Luft Kaliforniens atmen zu können."
Czesław Miłosz (1911–2004) zählt zu den wichtigsten Schriftstellern und Intellektuellen Polens im 20. Jahrhundert. Aus der Gegend von Wilna stammend, lebte er von 1951 an im Exil; 1961 bis 1978 war er Professor in Berkeley. 1980 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Wenige Jahre vor seinem Lebensende kehrte er nach Polen zurück. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen der Gedichtband Ocalenie (Rettung, 1945); die Essaybände Verführtes Denken (1953, dt.: 1953) und West- und östliches Gelände (1959, dt.: 1961) sowie der Roman Das Tal der Issa (1955, dt.: 1957).
Inhaltsverzeichnis
Anmerkung im Rückblick
1 Mein Vorhaben
2 Über den Ort, an dem ich bin
3 Was man angesichts allzu weiter Räume empfindet
4 Symbolische Berge und Wälder
5 Erinnerungen an eine Liebe
6 Von den Folgen der Naturwissenschaften
7 Kurze Abschweifung über die Frau als Vertreterin der Natur
8 Religion und Raum
9 Von einer schwer zu benennenden Krankheit
10 Migrationen
11 Kalifornische Begebenheiten
12 Über das vergangene Jahrhundert
13 Über den Western
14 »Ich und sie«
15 Porträt der Bestie
16 Was ist mein?
17 Vom lärmenden Durcheinander vieler Religionen
18 Über den Katholizismus
19 Carmel
20 An Robinson Jeffers
21 Sex frei Haus
22 Von der Zensur
23 Von der Agonie des Westens
24 Gestaltlos und neu
25 Der evangelische Bote
26 Die Schwarzen
27 Über Henry Miller
28 Ich, der Motor, die Erde
29 Von der Tugend
30 Vom Totentanz und der Ungleichheit der Menschen
31 Kapitel, in dem der Autor bekennt, in Ermangelung von etwas Besserem auf der Seite der Menschen zu stehen
32 Die Wiedergeburt der Utopie: Herbert Marcuse
33 Von der Emigration nach Amerika sowie eine Art Zusammenfassung
Czesław Miłosz - Leben und Werk
Personenregister
Rezensionen
"Wie wohl noch jeder Europäer, den es in die USA verschlug, begann Miłosz zu vergleichen, wo er hergekommen und wo er angekommen war. Zur Topik des Kontrastprogramms zählte und zählt, dass die Herkunft der Ankunft ein Schnippchen schlägt. (...) es wäre ein Verstoß gegen die Gesetze der Gattung, wenn der Vergleich für Amerika nur schmeichelhaft ausfiele. (...) so wurde Europa für den Exilanten an der Bucht von San Francisco zum Kontinent humaner Detailfülle, Amerika hingegen zum Inbegriff 'ontologischer Anämie', nämlich eines Mangels konkreter EInzelheit und des Verlusts des Menschenmaßes."
Andreas Dorschel in: Süddeutsche Zeitung, 15.12.2008
"In den 'Visionen an der Bucht von San Francisco' hält er [Miłosz] den Kammerton des distanzierten Beobachters, der die amerikanische Natur, Gesellschaft und Kultur zur Kenntnis nimmt, aber nicht akzeptiert. In allen Texten schwingt seine tiefe Überzeugung mit, nicht richtig in den USA angekommen zu sein. Bereits der Titel verweist programmatisch auf die grundlegende Fremdheit zwischen Dichter und Wohnort: Die Bucht von San Francisco repräsentiert die per se sinnlose Natur des amerikanischen Kontinents, während die 'Visionen' der individuellen Geistesarbeit des europäischen Emigranten entspringen."
Ulrich Schmid in: Osteuropa 2009, H. 4, S. 168 f.
"Dem ersten Anschein nach gehört dieses Buch zur Reiseliteratur (...). Doch der Autor der 33 kurzen Essays ist nicht besuchsweise nach Amerika gekommen, um dieses Land zu besichtigen; vielmehr ist er durch das Schicksal eines Exilanten zum Immigranten geworden. (...) Im Ergebnis erhalten wir statt einer Reportage eine Expedition in das eigene Selbst, das Innenportrait eines Menschen, dessen Schicksal es war, in der Epoche der Globalisierung und der ersten Mondlandung zu leben."
gh in: Adalbertus-Forum Nr. 43, Juni 2009, S. 26 f.