Band Nr. 3
Anti-Totalitarismus
Eine polnische Debatte
Inhalt
Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts warfen und werfen in Polen lange Schatten: Kaum hatte sich das Land von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft befreit, geriet es unter den Einfluß der kommunistischen Diktatur. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Totalitarismus bestimmte im Exil und im Land das Denken der Intellektuellen: Zwischen Akzeptanz, Arrangement, verstecktem und offenem Widerstand, Verzweiflung und Empörung, Flucht und trotzigem Ausharren bot sich eine Fülle von individuellen Verhaltensweisen und Formen intellektueller wie literarischer Verarbeitung.
Die Anthologie zeichnet die Entwicklung des antitotalitären Denkens in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg nach, das sich viel intensiver und leidenschaftlicher entwickelte, als dies im deutschen Sprachraum der Fall war.
Paweł Śpiewak (geb. 1951) ist Professor für Soziologie an der Universität Warschau, Ideenhistoriker und Publizist. Er beschäftigt sich mit dem modernen politischen Denken. Seit 2011 ist er Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsübersicht
Vorwort des Herausgebers
Paweł Śpiewak: Polnische Erfahrungen mit dem Totalitarismus
Der Totalitarismus als zivilisatorische Grundstruktur
Leopold Tyrmand: Kommunismus – Nationalsozialismus. Eine kurze Vergleichsstudie
Aleksander Wat: Der Erzieher der Menschheit. Perfekter Terror. Stalins Soziomachie
Leszek Kołakowski: Der Zusammenbruch des Kommunismus als philosophisches Ereignis
Józef Tischner: Die totalitäre Herausforderung. Judentum, Christentum und der Totalitarismus des 20. Jahrhunderts
Paweł Śpiewak: Die Zähmung der Finsternis>
Die Verführung des Denkens
Witold Gombrowicz: Aus den Tagebüchern (1956)
Gustaw Herling-Grudziński: Rot-schwarze Bilanz
Józef Życiński: Amnesie oder gesellschaftliches Tabu?
Józef Tischner: Himmlische Ideale und irdische Illusionen
Ryszard Legutko: Die Intellektuellen und der Kommunismus
Sprache und Literatur in Zeiten des Totalitarismus
Aleksander Wat: Die Semantik der stalinistischen Sprache
Michał Głowiński: Neusprech (eine Erkundung)
Mieczysław Jastrun: Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers
Anna Kowalska: Das Wort
Adam Ważyk: Was war das?
Paweł Hertz: Erinnerungen aus einem Totenhaus>
Zeugnisse einer Welt ohne Erbarmen
Barbara Skarga: Das Zeugnis der Welt ohne Erbarmen
Gustaw Herling-Grudziński: Hoffnung
Der Streit um die Geschichte der Volksrepublik Polen
Krystyna Kersten: Schlußbilanz
Jerzy Holzer: Die Geschichte kennt keine Bilanzen. Gedanken zur Geschichte der PRL
Andrzej Paczkowski: Krieg um die PRL
Jerzy Szacki: Die zwei Geschichten
Andrzej Friszke: Ein autonomer Teil des Imperiums
Wojciech Roszkowski: Gestern oder heute?
Jakub Karpiński: Eine große Fiktion
Andrzej Walicki: War die PRL ein totalitärer Staat?
Vergangenheitsbewältigung, oder: Durchleuchtung und Entkommunisierung
Vorbemerkung
Józef Glemp: Der Weg zur Wahrheit verlangt Anstrengung und Demut
Jakub Karpiński: Agenten und Durchleuchtung – die Politiker und die Vergangenheit
Für Gerechtigkeit und Wahrheit (Offener Brief)
Stefan Bratkowski: Für die nationale Weisheit der Polen
Jerzy Turowicz: Entkommunisierung – aber welche?
Andrzej Rzepliński: Um die Durchleuchtung in Polen kommen wir nicht herum
Bronisław Wildstein: Der Antikommunismus nach dem Kommunismus
Zdzisław Krasnodębski: Der Kommunismus – eine Vergangenheit, die nicht vergehen will
Anhang
Kalendarium
Kommentiertes Abkürzungsverzeichnis
Zu den Autoren und ihren Texten
Kommentiertes Personenverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Rezensionen
"Die Anthologie ist eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den geistigen Grundlagen der freiheitlichen Demokratie sowie ihren totalitären und autoritären Gefährdungen. Die Bedeutung dieses Bandes geht deshalb weit über die annoncierte "polnische Debatte" zum Totalitarismus in Polen hinaus. (...)
[Der Wert des Bandes] liegt vielmehr in einer hochreflektierten, ethisch prinzipiellen und zeithistorisch differenzierten Analyse der Realitäten in Polen - der machtpolitischen, der behavioristischen und der perzeptionellen -, die den Nutzen des Totalitarismusbegriffes analytisch und normativ eindrucksvoll belegt. Die Argumentation steht zumeist in bester abendländisch-philosophischer Tradition und erlaubt tiefe Einsichten in das polnische Denken, in die Geschichte Polens und in die geistigen Kräfte der ethisch-christlichen Resistenz dieses großen katholischen Landes. Von der hier geführten Diskussion über den Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit können auch andere postkommunistische Staaten einiges lernen."
Hans-Joachim Veen in: H-Soz-u-Kult vom 21. Mai 2004
[Zur vollständigen Rezension]
"(...) lohnt eine genaue Lektüre des Sammelbandes. Denn am Ende setzt sich ein Bild zusammen, das Einblick gewährt in Untiefen und Verwerfungen im Umgang unseres östlichen Nachbarn mit seiner kommunistischen Vergangenheit. Und es erhärtet sich der Eindruck, dass sich beide Lager in diesem ideologisch aufgeheizten Disput noch lange feindselig und unversöhnlich gegenüberstehen werden. (...)
Als Fazit bleibt die Erkenntnis: In dem vorliegenden Band - und das ist das Spannende an der Lektüre - tragen nicht die frühere Nomenklatura und bürgerliche Oppositionelle einen Streit aus. Das Zerwürfnis trennt vielmehr das Lager der liberalen Intellektuellen, die einst zum Widerstand gegen das sowjetisch determinierte Unrechtsregime in Polen aufgerufen hatten und für ein antitotalitäres Denken eingetreten waren - und sich heute ihrer gemeinsamen Wurzeln nicht mehr erinnern wollen."
Godehard Weyerer in: Deutschlandfunk vom 8. März 2004
[vgl. auch die ähnlichlautende Rezension von Godehard Weyerer in: Süddeutsche Zeitung vom 15. März 2004]
"Die Anthologie vermittelt einen Eindruck vom Verlauf und der Schärfe der jüngsten vergangenheitspolitischen Debatten in Polen."
Andreas Mix in: Berliner Zeitung vom 13. April 2004
"Bei der Bewertung des sozialistischen Erbes spalten sich die polnischen Intellektuellen in zwei Lager: Einerseits wird die These vertreten, Polen habe sich unter der 'Besetzung' einer fremden Macht befunden, deshalb sei die polnische Geschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur eine Fussnote zur imperialen Politik der Sowjetunion.
Andererseits machen gerade viele Wissenschaftler der älteren Generation geltend, dass das polnische Geistesleben auch unter dem kommunistischen Regime nie totalitär unterdrückt wurde."
Ulrich M. Schmid in: Neue Zürcher Zeitung vom 31. Juli 2004
"Durch die interdisziplinäre Darstellung der antitotalitären Debatten in Polen wird dem Leser viel mehr geboten, als Paweł Śpiewak anfangs verspricht, nämlich philosophische Abhandlungen. Der Sammelband dokumentiert eine hochreflektierte Debatte innerhalb verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen über das polnische antitotalitäre Denken und die Geschichte Polens."
Katarzyna Stokłosa in: Totalitarismus und Demokratie 1/2004, H. 2
"Zahlreiche dieser insgesamt 34 Autoren, die in Polen, aber auch im Exil als Kritiker des real existierenden Sozialismus oder als Dissidenten gegen den totalitären Staat und die Vereinnahmung des Einzelnen durch eine immer fragwürdiger werdende Ideologie sowie gegen einen nur wenig akzeptablen politischen Alltag anschrieben, (...) zählen sicherlich zu den Klassikern der polnischen demokratischen Opposition. (...)
Zweifelsohne handelt es sich bei dieser von Paweł Śpiewak herausgegebenen Anthologie zur polnischen Totalitarismus-Debatte um eine wichtige Veröffentlichung."
Zbigniew Wilkiewicz in: Aktuelle Ostinformationen 3/4 2004
"(...) muss gesagt werden, dass die präsentierten Beiträge nicht nur einen Beweis für [die] in vielen Fällen hochstehenden Reflexionen der polnischen Intellektuellen über das Phänomen des Kommunismus liefern, sondern auch ein Zeugnis von ihren leidenschaftlichen Bemühungen abgeben, angesichts des Totalitarismus und seiner Hinterlassenschaften die Fähigkeit zum richtigen moralischen Urteil nicht zu verlieren".
Bernard Wiaderny in: Neue Politische Literatur 50/2005, H. 2, S. 282 f.