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JAROSŁAW IWASZKIEWICZ Die Fräulein von Wilko

Inhalt

Drei Novellen.
Aus dem Polnischen von Klaus Staemmler.
1985. 334 S. (3-518-03581-9).


Iwaszkiewicz, Lyriker, Prosaiker, Dramatiker und Übersetzer, repräsentiert wie kaum ein anderer ein halbes Jahrhundert polnischer Literaturgeschichte. Der Band stellt drei seiner Meisternovellen vor, deren literarischer Rang vor allem in der äußerst subtilen psychologischen Gestaltung der Protagonisten gründet.

In Die Fräulein von Wilko (1933) schildert der Autor den ersten Besuch des Wiktor Ruben nach fünfzehn Jahren auf dem Gut Wilko, wo er vor dem Krieg als Hauslehrer gewirkt hatte. Die Fräulein von einst treffen sich jährlich im Elternhaus. Und Wiktor, noch immer Junggeselle, kann sich ihrem Einfluss und seinen Erinnerungen an damals nicht entziehen. Aber auch heute kann er sich nicht für die eine oder andere entscheiden, obwohl die schöne Jola, die geschiedene Kazia und die unverheiratete Tunia auf seine Annäherung warten.
Das Birkenwäldchen (1933) erzählt von dem sterbenskranken Stanis≥aw, der zu seinem verwitweten Bruder in das einsame Forsthaus zieht und dort die Liebe und damit ein kurz bemessenes Glück vor dem Tod erfährt.
Die elf Jahre später entstandene Novelle Mutter Joanna von den Engeln (1943/1946) berichtet von einer Oberin der Ursulinerinnen, die von Dämonen heimgesucht wird. Im Auftrag des Provinzials soll Pater Suryn die Teufel austreiben. Dies gelingt ihm jedoch nur, weil er die Schuld der Nonne und deren Sünden in Liebe auf sich nimmt und mit der eigenen Satansbesessenheit dafür bezahlt.

Jarosław Iwaszkiewicz (1894-1980), Mitbegründer der Dichtergruppe "Skamander", war Botschaftsrat in Kopenhagen und Brüssel und Vorsitzender des Polnischen Schriftstellerverbandes.

Inhaltsverzeichnis

Er erwachte schwer und kam nur langsam zu sich, weil er die Grenzen der ihn umgebenden Gegenstände und den Inhalt der Gedanken in seinem Kopf kaum unterscheiden konnte. Dafür fühlte er sich den restlichen Tag über sehr ausgeruht und schlief abends erst spät ein. Nie erschienen ihm im Traum die Frauen aus Wilko. Noch sobald er erwachte, spürte er das Bedürfnis, in ihre Atmosphäre einzutauchen, und mußte sich richtig zwingen, nicht nach Wilko zu gehen. So nahte das Ende seiner zweiten Urlaubswoche. Gleichgültig dachte Wiktor daran, daß er sich in acht Tagen oder wenig später zur Heimreise würde rüsten müssen. Es amüsierte ihn, seiner eigenen Person wie einem Fremden zuzuschauen. Er konnte seine Lebenslinie nicht gerade durchziehen und empfand in ihr Lücken, die sich logisch ergänzen ließen. Der senkrechte Schnitt im Augenblick seiner Abreise aus Wilko im Jahre 1914 störte empfindlich die Symmetrie dieser Linie. Er machte sich sogar daran, das aufzuzeichnen, doch gelang es ihm nicht, weil er nicht wußte, wie er seine "Lebenskurve" nach dem Jahre 1914 und besonders nach 1920 führen sollte,  hinauf oder hinab. Schließlich fertigte er folgende Zeichnung an: bis zum Jahre 1914, dann fünfzehn Kästchen Pause und anschließend die Linie auf dem früheren Niveau aufwärts. Über den fünfzehn Kästchen zeichnete er eine geschlossene Ellipse, ein anderes, abgeschlossenes Leben.

Rezensionen

"Bei aller Unterschiedenheit der Themen Begegnung mit der Vergangenheit (Polemik zu Proust), Verhalten eines Mannes im Bewußtsein des nahen Todes, stellvertretende Übernahme des Bösen in einem Menschen haben sie eines gemeinsam: ein Grundgefühl von Trauer, der Vergeblichkeit aller Anstrengungen und die schöne Klarheit der Sprache. Mit sorgfältigem bio-bibliographischem Anhang. Breit empfohlen."                                           
Martha Höhl