rymkiewicz.gross.jpg

JAROSŁAW MAREK RYMKIEWICZ Polnische Gespräche im Sommer 1983

Inhalt

Roman.
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky.
Mit einem Nachwort von Włodzimierz Bolecki.
1995. 254 S. Ln. (3-518-40736-8).


Dieses Buch war ein Ereignis in der polnischen Literatur der achtziger Jahre. Nach der Niederschlagung der "Solidarität" und der Ausrufung des Kriegsrechts geschrieben, wurde es von den kommunistischen Machthabern als Verhöhnung ihres politischen Programms, von der Opposition als Lobeshymne auf das für kurze Zeit freie Polen gelesen. Dabei bilden die politischen Probleme in den "Polnischen Gesprächen" nur Anlass und Rahmen für geschichtsphilosophische, ja metaphysische Reflexionen über einen Teil Europas, der inzwischen auch stärker in unser aller Bewusstsein gerückt ist. Der Ort der "Gespräche", das polnisch-litauische Grenzgebiet am östlichen Rand des ehemaligen Ostpreußen, bietet durchaus Stoff für Fragen nach der Vergänglichkeit nicht nur von Menschen, sondern ganzer Völker, nach der Zufälligkeit und dem Sinn der Geschichte, der persönlichen so gut wie der nationalen und universalen. Der Erzähler, der in dieser Region mit Freunden die Ferien verbringt, steht selbst mit den ihn beschäftigenden Fragen im Mittelpunkt; er macht es dem Leser möglich, mit ihm den Dialog zu führen. Dieses am romantischen Epos ausgerichtete Mosaik von Bildern, Reflexionen, Fabeln und Dialogen ist durchsetzt mit Ironie, verwoben in müheloser Abwechslung zwischen Philosophie und Parodie; es überrascht durch ungewöhnliche Perspektiven.

Jarosław Marek Rymkiewicz (geb. 1935 in Warschau), Polonist, Autor zahlreicher Gedichtbände und Essays. Nach der Veröffentlichung der "Polnischen Gespräche" wurde er bis 1989 vom Institut für Literaturforschung der Polnischen Akademie der Wissenschaft relegiert.

Inhaltsverzeichnis

"Nein, du fährst nicht Krebse fangen", sagt Frau Mareczek, die auf dem Liegestuhl direkt neben dem Brunnen sitzt – denn am Brunnen herrscht sogar am Mittag ein angenehmer, kühler Schatten – und "Shosha" von Isaak Singer liest. "weißt du was, was Singer eines Tages, Anfang der dreißiger Jahre in Warschau war das, zu seinem Vater kam und ihm sagte, er wollte jetzt Polnisch lernen, da gab ihm sein Vater, der ein großer chassidischer Rabbiner war, zur Antwort: Isaak, bist du verrückt geworden? Morgen kann der Messias kommen, und du willst Polnisch lernen?"
"Wenn Gott nach diesen Leiden den Juden den Singer gegeben hat", sagt Mareczek, "dann bedeutet das, daß sie wirklich das auserwählte Volk sind".
"Wenn eine Zivilisation, eine Kultur vernichtet wird", sagt Frau Mareczek, "dann tritt immer so einer auf wie Singer, der aufschreibt, was vernichtet worden ist".
"Oder es tritt keiner auf", sagt Herr Mareczek,  "und eine Zivilisation verschwindet spurlos. Wenn sie uns eines Tages vernichten und wir verschwinden, dann ist es überhaupt nicht gesagt, daß ausgerechnet dann ein Singer oder Mickiewicz auftritt und unser ganzes Leben vor dem Verschwinden beschreibt".
"Meinen Sie, die Roten werden uns vernichten?", fragt Herr Gienio.
"Das ist sehr wahrscheinlich", sagt Herr Mareczek. "Na, wann fahren wir denn jetzt Krebse fangen?".

Rezensionen

"Der mit sokratesschem Witz und stoischer Gelassenheit operierende Text entfaltet eine faszinierende erzählerische Kraft. Um so erfreulicher ist es, daß dieser klug abwägende, in vielen Stimmungslagen brillierende Autor endlich in der >Polnischen Bibliothek< in deutscher Übersetzung zu finden ist."
Kommune