Kopernikus-Gruppe

Mitteilung der Kopernikus-Gruppe 

Der deutsch-polnische Gesprächskreis Kopernikus-Gruppe traf sich zu seiner fünfunddreißigsten Sitzung am 9./10. Juni 2017 in Warschau. Das vorliegende Arbeitspapier „Der Resignation widerstehen“ fasst die gemeinsamen Überlegungen des Kreises zusammen.

Prof. Dr. Dieter Bingen, Darmstadt 
Dr. Kazimierz Wóycicki, Warschau                                                                                                                                  

4. August 2017

 

Arbeitspapier 29 
Der Resignation widerstehen

Anderthalb Jahre nach dem Regierungswechsel in Warschau zeichnet sich ein nachhaltiger Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen ab. Die grundsätzlichen Parameter, die den gegenseitigen Wert der Nachbarn füreinander und ihre Stellung in den jeweiligen nationalen Interessen begründen, haben sich zwar nicht geändert: ihre geografische Lage als Nachbarn, ihre strategische Bedeutung als Wirtschaftspartner füreinander, ihre Sicherheitsinteressen. Aber im Regierungsalltag und beim Herangehen an die als besonders drängend empfundenen internationalen Herausforderungen nimmt der praktische Wert des Partners in der Sicht der Regierungen in Berlin und Warschau ab. 

Die Bundesregierung hatte anfänglich mit Neugier zu ergründen gesucht, was die PiS-Regierung für das bilaterale Verhältnis bedeute, und war erkennbar bemüht, durch aktives Werben um Kooperation bleibende Schäden zu vermeiden. Diese Haltung macht allmählich einem resignativen Schulterzucken Platz, weil die polnische Regierung aus Berliner Sicht wenig zur Lösung der Probleme Europas beizutragen bereit ist und wieder verstärkt zu deutschlandkritischer, ja antideutscher Rhetorik greift, die an kommunistische Zeiten erinnert. Die selbstbewusste Infragestellung der Demokratie, die die Gewaltenteilung zur Grundlage hat, die offensive Forderung des tatsächlich herrschenden PiS-Präses Jarosław Kaczyński nach einer von Polen - gemeinsam mit Ungarn – ausgehenden – so wörtlich – „kulturellen Konterrevolution“ in Europa, auch die unterschiedliche Bewertung von Medienfreiheit, Freiheit der Wissenschaft und Kultur im PiS-regierten Polen und in Deutschland sorgen für neue Kontroversen. Transatlantisch umschmeichelt die PiS US-Präsident Donald Trump, ohne – im Unterschied zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron – eine eigene EU-freundliche Agenda zu setzen. Dabei sieht sie sich in Gemeinsamkeit mit Trump als vermeintlichen Vorkämpfer für die Rettung der christlichen Werte und der westlichen Zivilisation. Die Bundesregierung sucht die US-Administration gemeinsam mit Frankreich für einen konstruktiven transatlantischen Dialog zu gewinnen und forciert zugleich die Reform der EU hin zu mehr Eigenverantwortung. Auch bei anderen herausragenden Konfliktthemen - Stellvertreterkriege zwischen Sunniten und Schiiten bzw. den von Saudi-Arabien und Iran geführten Lagern im Nahen und Mittleren Osten, Fluchtbewegungen in Afrika, Umgang mit China – trägt Polen wenig bei. Damit droht ein Zeitraum zu enden, in dem Deutschland Polen - erstmals seit dem historischen Umbruch von 1989 - als strategischen Partner behandelt hat. 

Zugleich kommt die PiS-Regierung mit Blick auf ihre eigene Prioritätensetzung zu einer ähnlich desillusionierenden Analyse. Bei den meisten europäischen Themen sieht sie Deutschland auf dem falschen Weg. Die Öffnung für Migranten aus anderen Kulturen stellt sich ihr als eine Gefährdung der europäischen Kultur und christlichen Werteordnung dar. Auf die vielfältigen Krisen der EU möchte sie nicht mit vertiefter Gemeinschaftspolitik antworten, auch nicht mit einer Reform der Entscheidungsprozesse und Stimmrechte. Dem Euro will Polen auf absehbare Zeit nicht beitreten; die Einrichtung eines Budgets der Eurozone, der es nicht angehört, sieht seine Regierung kritisch. Der Brexit und die daraus folgenden Finanzierungsprobleme werden all diese Spannungen verschärfen. 

Somit gehen die Erwartungen in Polen und Deutschland, mit welchen Allianzen sie ihre Vorstellungen am ehesten verwirklichen können, auseinander. Nach der Wahl Macrons zum französischen Präsidenten setzt Berlin auf neuen Schwung für die deutsch-französische Kooperation, gerade auch bei neuen Initiativen in der EU-Politik. Die PiS-Regierung zeigt wenig Interesse, dieses Duo durch aktive Nutzung des Weimarer Dreiecks zu einem Führungstrio zu entwickeln. Mit ihrer abwartenden Haltung, die sich zum Beispiel in Äußerungen ausdrückt, Frankreich habe nun die Gelegenheit, seine Wertschätzung für Polen zu beweisen, droht die PiS den Anschluss an die neue Dynamik in der EU zu verlieren. Warschau betreibt aktiv andere Projekte - Visegrad, Drei-Meere-Initiative, Neue Seidenstraße - als Gegenallianzen zur Verbindung mit Deutschland und Frankreich im Rahmen der EU-Integration.

Auch auf anderen Beziehungsfeldern zeigen sich beunruhigende Krisenzeichen, die eine langjährige positive Entwicklung in Frage stellen können. Deutsche Investoren sind besorgt wegen der angekündigten „Repolonisierung“ ganzer Branchen, voran der Medien, und wegen der Unsicherheit bezüglich Rechtssicherheit und Steuerreform. Deutsche Firmen fliehen nicht aus Polen, es gibt sogar größere Neu-Investitionen wie das Mercedes-Motorenwerk in Jauer/Jawor in Niederschlesien. Aber Investitionsentscheidungen werden zögerlicher getroffen. Im Jugend- und Schüleraustausch gibt es zwar weiter mehr Anträge als Mittel. Aber die Schulreform in Polen mit der Abschaffung der Gymnasien könnte viele bestehende Partnerschaften erschweren. Die umstrittene Re-Zentralisierung, d. h. die Aushebelung einer funktionsfähigen territorialen Selbstverwaltung (z.B. durch Kontrolle der „Wirtschaftlichkeit“ der Beschlüsse von Organen der Selbstverwaltung, neue Vollmachten für den Premierminister, Organe der Selbstverwaltung unverzüglich abzuberufen und aufzulösen etc.) könnte die direkte Begegnung und Kooperation der Zivilgesellschaften einschränken. Damit würden Erfolge der letzten 25 Jahre aufs Spiel gesetzt. Heute betrachten die Polen Deutschland in Umfragen als den wichtigsten und einen generell vertrauenswürdigen Partner, aber der Anteil der Unentschiedenen wächst. 

Die Kopernikus-Gruppe ist besorgt, dass diese Dynamiken in der Summe zu einem nachhaltigen Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen führen. Als weitere Folge zeichnet sich ab, dass Polen und Deutschland in einem Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten verschiedenen Gruppen angehören werden und dies direkte negative Folgen für die deutsch-polnische Nachbarschaft hat. Seit dem von Polen ausgehenden demokratischen Umbruch unter dem Banner der „Solidarność“ vor mehr als einem Vierteljahrhundert galt die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen zu einer mit den deutsch-französischen Beziehungen ebenbürtigen Partnerschaft sowohl als strategisches Ziel als auch als Voraussetzung der Einigung Europas. Das droht verloren zu gehen. 

In diesem Augenblick kommt den Zivilgesellschaften in Polen und in Deutschland eine größere Verantwortung zu als jemals zuvor, wenn es um die Erhaltung und den Ausbau des Vertrauens und der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen geht. GERADE JETZT ist die deutsche Zivilgesellschaft, sind die zahlreichen an Polen Interessierten und die Engagierten aufgefordert, die Verbindungen zu Polen und den polnischen Partnern und Freunden auf allen Ebenen zu stärken. Das ist die Solidarität, die heute gefordert und auf eine gemeinsame Zukunft von Deutschen und Polen ausgerichtet ist.