Kopernikus-Gruppe

Mitteilung über die
Konstituierende Sitzung der „Kopernikus-Gruppe”

Am 13. und 14. April 2000 trafen auf Einladung des Deutschen Polen-Instituts und des Instituts für deutsche und nordeuropäische Studien in Stettin 12 deutsche und polnische Experten zur Konstituierung der „Kopernikus-Gruppe” zusammen. In der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe berieten sie über den aktuellen Stand und Perspektiven der deutsch-polnischen Beziehungen.

Die Teilnehmer des Treffens in Stettin waren:

  • Dr. Klaus Bachmann, Korrespondent und Kommentator deutscher und polnischer Tageszeitungen, Warschau
  • Dr. Dieter Bingen, Direktor, Deutsches Polen-Institut Darmstadt
  • Prof. Dr. Hans-Henning Hahn, Osteuropahistoriker, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg
  • Basil Kerski, Chefredakteur „Dialog”, Berlin
  • Adam Krzemiński, Kommentator „Polityka”, Warschau
  • Dr. Christoph von Marschall
    Kommentator „Der Tagesspiegel”, Berlin
  • Markus Mildenberger, Arbeitsstelle Ostmitteleuropa, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin
  • Dr. Robert Traba, Historiker, Deutsches Historisches Institut, Warschau
  • Jürgen Vietig, Leiter der Politik-Redaktion Deutsche Welle, Berlin
  • Kazimierz Wóycicki, Institut für deutsche und nordeuropäische Studien, Stettin
  • Prof. Dr. Klaus Ziemer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts, Warschau
  • Prof. Dr. Marek Zybura, Literaturwissenschaftler, Universität Oppeln 
  • Dr. Joachim Rogall, Robert Bosch Stiftung, Stuttgart, als Gast.


Die nächste Sitzung der „Kopernikus-Gruppe” findet am 3./4. November 2000 in Darmstadt statt.

Dr. Dieter Bingen, Darmstadt                                       8. Mai 2000
Kazimierz Wóycicki, Stettin

Arbeitspapier I der Kopernikus-Gruppe


Die deutsch-polnischen Beziehungen entwickelten sich in den neunziger Jahren so gut wie nie in den letzten 200 Jahren. Aber um das zu erhalten, was erreicht worden ist, bedarf es eines stetigen Fortschreitens. Jeder Stillstand bedeutet angesichts der großen Herausforderungen im Kontext der europäischen Integrationsbemühungen Rückschritt. Deshalb müssen die Defizite, neuen Herausforderungen und Risiken, die bisher nicht gemachten „Hausaufgaben” wahrgenommen werden. Den retardierenden Bewegungen im bilateralen Verhältnis ist gegenzusteuern.

Denn: Auch zehn Jahre nach dem Abschluss des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages sind die deutsch-polnischen Beziehungen noch nicht so gut, als dass sie nicht für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert werden könnten. Im Gegenteil: der vor zehn Jahren in Deutschland und Polen herrschende Konsens, dass sich das bilaterale Verhältnis nicht für innenpolitische Profilierungsversuche eignet, droht verloren zu gehen. Beispiele dafür waren die Resolutionen des Bundestages und des Sejm vom Sommer 1998, aber auch die Behandlung der Verhandlungen über die Entschädigung der Zwangsarbeiter in weiten Teilen der polnischen öffentlichen Meinung und Medien.

Für eine wirkliche Partnerschaft eignen sich weder „Geschichtspolitik” noch Ungeduld, Desinteresse und Oberflächlichkeit. Dies gilt für alle Beteiligten des geforderten Dialogs.

Debatten, die eine wesentliche Bedeutung für die beiderseitigen Beziehungen haben, werden im jeweils anderen Land häufig überhaupt nicht oder nur sehr einseitig wahrgenommen. Die Debatte in Polen über die Vertreibung der Deutschen Mitte der neunziger Jahre und über die Bewahrung des deutschen kulturellen Erbes in den polnischen West- und Nordgebieten wird in der deutschen Öffentlichkeit weitestgehend ignoriert. Ähnliches geschah nun im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Entschädigung für Zwangsarbeiter, deren Zusammenhang mit den deutschen Debatten zur Vergangenheitsbewältigung in der polnischen Öffentlichkeit ebenfalls weitgehend ignoriert wurde. Die Öffentlichkeit in beiden Ländern behandelte das Thema meist ohne Bezug auf die Debatte im anderen Land. Die deutsche und die polnische Diskussion dazu waren vollkommen voneinander getrennt, ein Dialog kam nicht zustande.

Der Verlauf der Entschädigungsverhandlungen hat gezeigt, dass Probleme aus der deutsch-polnischen Vergangenheit, die nicht wirklich miteinander abgearbeitet werden, nicht in Vergessenheit geraten, sondern verzögert, aber dafür umso heftiger auf die Tagesordnung zurückkehren. Bei der Behandlung dieser Frage wie bei anderen Problemen, die noch mit der Geschichte verbunden sind, geht es nicht um Rückwärtsgewandheit und Aufrechnung, sondern um die dauerhafte Entlastung der deutsch-polnischen Verhältnisse von der Vergangenheit und die Gewinnung der nur gemeinsam erfolgreich gestaltbaren Zukunft im Kontext der europäischen Integrationsbestrebungen.

Die zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts beschworene „deutsch-polnische Interessengemeinschaft in Europa” kann sich nur in einer gemeinsamen Agenda bewähren. Um nochmals zusammenzufassen: Es gibt keinen Anlass zu einer „katastrophistischen” Sicht der bilateralen Beziehungen angesichts der neuen Qualität und Dichte des Austauschs zwischen Deutschland und Polen in allen Feldern. Aber:  Aus den Erfahrungen der letzten zehn Jahre und insbesondere auch der zurückliegenden Monate ist davon auszugehen, dass sich nicht alle Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis durch Multilateralisierung im Zusammenhang mit der Osterweiterung der Europäischen Union und der Heranführung Polens an die Union lösen lassen. Im Gegenteil setzt die Erweiterungsdebatte neue Themen auf die bilaterale Agenda, und ungelöste bilaterale Fragen können die Verhandlungen in Brüssel belasten.   

In der „Kopernikus-Gruppe” gab es Konsens darüber, dass folgende Fragen die deutsch-polnische Agenda der nächsten Zukunft (weiter) bestimmen werden:

- Die gegenseitige Rückgabe von Kulturgütern. Dieser Komplex wird einen umso längeren Schatten auf die Beziehungen werfen, je länger er ungelöst bleibt.

- Eines jener Probleme, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben, droht noch dazu die Beitrittsverhandlungen Polens zur EU und die deutsch-polnischen Beziehungen zu belasten. Die Rede ist von den privatrechtlichen Ansprüchen deutscher Vertriebener auf eine Entschädigung für ihr nach Kriegsende konfisziertes Eigentum. Diese Ansprüche haben besonders in den polnischen Westgebieten zu einer Welle der Beunruhigung, zur Verabschiedung des Gesetzes über die Umwandlung von Pachtverträgen in hypothekarisches Eigentum und indirekt zu dem Antrag der polnischen Regierung auf eine 18jährige Übergangsfrist bei der Liberalisierung des Immobilienverkehrs nach dem EU-Beitritt geführt. Es ist zu befürchten, dass sich dieses Thema zu einem Dauerbrenner der polnischen EU-Debatte entwickelt und die Unterstützung in der polnischen Bevölkerung für den EU-Beitritt noch weiter vermindern wird.

  • Es ist zu befürchten, dass eine weitere Belastungsprobe auf die deutsch-polnischen Beziehungen zukommt: Wenn die immer häufiger auftauchenden Überlegungen, Polens EU-Beitritt zu verzögern oder Polen in der ersten Runde nicht zu berücksichtigen, öffentlich diskutiert werden und die dann absehbaren Frustrationen sich in zornigen Kommentaren und gegenseitigen Schuldzuweisungen entladen.
  • Die Übernahme einer Anwaltsfunktion durch die Bundesregierung bei der Integration Polens in NATO und EU hat dazu geführt, dass Deutschland in der polnischen Öffentlichkeit nicht nur für die Erfolge, sondern nun auch immer mehr für die Schwierigkeiten und Verzögerungen bei den Beitrittsverhandlungen verantwortlich gemacht wird.

Für alle diese Fragen gibt es nach Auffassung der Teilnehmer der „Kopernikus-Gruppe”  in Anbetracht des in den neunziger Jahren geschaffenen Vertrauensplafonds und bei beiderseitigem guten Willen Lösungen. Diese verlangen jedoch ein stetiges Engagement und die gegenseitige öffentliche Wahrnehmung der jeweiligen innenpolitischen Debatte zu deutsch-polnischen Themen.

Während des nächsten Treffens im November 2000 in Darmstadt wird die „Kopernikus-Gruppe” konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses unterbreiten.

Dr. Dieter Bingen, Deutsches Polen-Institut Darmstadt        8. Mai 2000
Kazimierz Wóycicki, Institut für deutsche und nordeuropäische Studien Stettin