10.04.2025 - Politik, Gesellschaft
Wahlkampf vor der heißen Phase
Der Präsidentschaftswahlkampf in Polen ist zur Hälfte vorüber. Die drei Hauptgewinner auf dem Siegerpodest stehen fest, und nach einem Moment der Ungewissheit ist die Reihenfolge fast schon eine ausgemachte Sache. Die schärfsten (und spannendsten?) Tage des Wahlkampfs stehen uns jedoch noch bevor.
Am 4. April endete die Frist für die Registrierung der Kandidaten für die Wahl zum polnischen Staatspräsidenten. Am Ende wurden von siebzehn Kandidaten je mindestens hunderttausend Unterstützungsunterschriften eingereicht. Die Staatliche Wahlkommission hat bisher elf Personen registriert, die übrigen sechs werden derzeit noch überprüft. Mit siebzehn Kandidaten würde der Rekord von 1995 eingestellt (damals blieben bis zum Wahltag allerdings nur noch dreizehn Kandidaten übrig). Zum Vergleich: Bei den Wahlen 2020 und 2015 gab es in Polen elf Kandidaten, 2010 gerade einmal zehn. Die registrierten Kandidaten werden am 18. Mai um das Amt des Staatsoberhaupts konkurrieren, auch wenn die endgültige Entscheidung den Umfragen zufolge erst am 1. Juni in der Stichwahl fallen wird. Was wissen wir also zur Halbzeit des Wahlkampfs und am Anfang seiner wichtigsten Phase?
Der bisherige Wahlkampf: Spannungsarm und ohne Überraschungen
Der bisherige Verlauf des Wahlkampfs wurde von Kommentatoren als langweilig und vorhersehbar beurteilt. Es gibt einige Gründe für diese fehlende Spannung. Zunächst einmal schien die Reihenfolge auf dem Siegerpodest klar zu sein. Rafał Trzaskowski (Kandidat der Bürgerkoalition, KO) und Karol Nawrocki (unterstützt von Recht und Gerechtigkeit, PiS) würden in der Stichwahl gegeneinander antreten, sie sparten also ihre Kräfte (und ihr Geld) für den großen Schlagabtausch im Mai. Keiner von ihnen ging von Sławomir Mentzen, dem Kandidaten der Konföderation (Konfederacja), als ernsthaftem Gegner aus. Stattdessen rechneten sich beide aus, dass sie Chancen hätten, in der Stichwahl Mentzens Unterstützer aus der ersten Runde für sich zu gewinnen. Mentzen selbst konnte als Politiker, dessen Partei noch nie regiert hat, im Wahlkampf auftrumpfen und mit Parolen ohne Substanz um sich werfen. Der Kandidat des Dritten Weges, Sejm-Marschall Szymon Hołownia, hatte dieses Privileg als Teil der Regierungskoalition nicht. Es fehlte ihm auch der Schwung, den man mit seinem ersten Wahlkampf im Jahr 2020 verbindet, als er die Wählerherzen im Sturm eroberte.
Die Wahlkampfstäbe der Kandidaten geben auch zu, dass die eher gemächlich verlaufende Kampagne Teil des Plans war und die entscheidende Mobilisierung noch aussteht. Die Aufmerksamkeit der Wählerinnen und Wähler ist traditionell eher gegen Ende des Wahlkampfes hoch. Der Kalender selbst ist hier aber nicht hilfreich. Die Osterzeit und das „lange“ Maiwochenende (der 1. Mai, ein Feiertag, fällt auf einen Donnerstag, so dass viele Polen hier einige Urlaubstage planen) schwächen die Dynamik. Es ist daher zu erwarten, dass die Hauptmobilisierung der Kandidaten nach diesen Terminen stattfinden wird, was die letzte Phase des Wahlkampfs extrem kurz macht.
Die Sicherheit auf Platz 1
Die ersten Monate des Wahlkampfs wurden von der internationalen Politik dominiert. PiS und KO haben sich das Thema Sicherheit auf die Fahnen geschrieben. Die Trennlinie wird zwischen Trump auf der einen sowie Europa und Polen auf der anderen Seite gezogen. Das Thema Sicherheit wurde von Anfang an als relevant für dieses Rennen herausgestellt, aber alle Mitarbeiter der Kandidaten verstanden es auch, die Umfragen gut zu lesen. Sie wiesen darauf hin, dass für die Polen die hohen Preise von großer Bedeutung sind. Die Partei Recht und Gerechtigkeit plante daher, Vorwürfe gegen die Regierung zu erheben, die den Kandidaten der größten Regierungspartei, Rafał Trzaskowski, zu Fall bringen würden. Die KO hingegen wollte darauf hinweisen, wie viel sie nach acht Jahren PiS-Regierung in der Wirtschaft „aufräumen“ musste, und wollte generell mit deren Regierungszeit abrechnen.
Die im Wahlkampf-Drehbuch vorgesehenen Kämpfe wurden durch Trumps Wahlsieg verändert. Innerhalb der PiS ist der Glaube zurückgekehrt, dass ein Sieg möglich ist und der Wahlkampf sich darum drehen kann, welcher der Kandidaten die besseren Beziehungen zum Weißen Haus hat. Der von der PiS unterstützte Kandidat Karol Nawrocki ist nach dieser Logik der Garant für gute Beziehungen zu den USA. Der KO-Wahlkampfstab holte zum Gegenschlag aus und Trzaskowski betrat die Arena der internationalen Politik: Er traf sich u.a. mit dem französischen Präsidenten und mit dem finnischen Premierminister sowie flog schließlich zur Münchner Sicherheitskonferenz. Der KO-Kandidat betonte auch die Notwendigkeit, ab dem nächsten Jahr 5 Prozent des BIP für Rüstung auszugeben. Und die KO-geführte Regierung traf sich auf verschiedenen Ebenen mit der neuen US-Administration.
Die Verhandlungen der Trump-Administration mit dem russischen Präsidenten, die Angst vor einem Abzug des US-Militärs aus Polen und die Verhängung von Zöllen gegen die Europäische Union durch den US-Präsidenten haben dazu geführt, dass das von der PiS gepriesene Bündnis zwischen Polen und den USA in den Augen der Wähler nicht mehr vollends überzeugt. Gleichzeitig hat Karol Nawrocki selbst wiederholt gezeigt, dass er sich in der internationalen Politik nicht zu Hause fühlt und kaum in der Lage ist (oder will nicht), sich eindeutig zu Sicherheitsfragen zu äußern. Zum Beispiel gefragt, was er von dem Telefongespräch zwischen Donald Trump und Wladimir Putin halte, vermied er eine direkte Antwort und sagte: „Ich konzentriere mich lieber auf polnische Themen".
Mentzen verlässt die Überholspur
Auch Sławomir Mentzen ist sicherlich kein Experte für Sicherheitspolitik, aber das scheint weder ihn noch seine Wähler zu stören. Seine Umfragewerte sind in den letzten Wochen so stark gestiegen (bis zu fast 20 Prozent), dass viele Kommentatoren eine Zeitlang spekulierten, ob er Nawrocki überholen und in die Stichwahl einziehen kann. Mehrere Gründe trugen zu diesem Erfolg bei. Diese liegen sowohl bei dem Kandidaten selbst und seinen Gegnern als auch bei der allgemeinen Weltlage.
Mentzens bisheriger Wahlkampf war gut geplant. Er hat viele Orte besucht, Ansichten gepredigt, die die Herzen der Wählerinnen und Wähler ergriffen haben, und aktiv junge Menschen über die sozialen Medien angesprochen (lesen Sie mehr über sein Programm in unserem Blog). Mentzens Aufstieg ist auch eine Folge der Schwäche des Kandidaten der Recht und Gerechtigkeit. Denn Karol Nawrocki hat nicht, wie erhofft, weite Kreise am rechten Rand der politischen Szene überzeugt. Er hat bisher sogar nicht einmal die gesamte Wählerschaft der Partei für sich gewonnen. Auch ein weiterer Kandidat, Szymon Hołownia, stellt nicht nur keine Bedrohung für Mentzen dar, sondern hat ihm durch seine bisher schwache Kampagne das Feld den „Dritten“ überlassen (er bekommt in den Umfragen keine zehn Prozent). Inzwischen sind viele Polen, insbesondere die jüngeren Generationen, des ständigen Kampfes zwischen PiS und KO überdrüssig und suchen nach einer Alternative. Nicht unbedeutend ist für die Stärke von Mentzen auch die Tatsache, dass die Popularität rechter Politiker weltweit zunimmt. Dazu kommen die genannten Gründe, wie die Tatsache, dass Trzaskowski und Nawrocki es bisher vermieden haben, direkte Kritik am Kandidaten der Konföderation zu üben.
Doch die neusten Umfragen zeigen, dass Mentzen die Überholspur wahrscheinlich wieder verlassen wird. Die PiS verfügt über stärkere Strukturen und eine größere Wählerbasis. Wiederum hat Mentzen strukturelle Schwierigkeiten, ältere Wähler zu erreichen, die erstens eine ziemlich klare Präferenz haben (KO oder PiS) und zweitens eher die traditionellen Medien nutzen, in denen Mentzen weniger vertreten ist als online. Jetzt, wo die ernsthafte Kampagne richtig begonnen hat, wird ihn auch niemand mehr verschonen.
Ein Beispiel dafür konnte in den letzten Tagen beobachtet werden, nachdem Mentzen Krzysztof Stanowski (einem bekannten Online-Journalisten) auf Kanał Zero ein Online-Interview gegeben hatte. Bei der Beantwortung von Fragen präsentierte Mentzen Meinungen, die viele Wähler in Polen, darunter auch diejenigen, die ihn bisher unterstützten, für inakzeptabel halten. Er sprach sich gegen eine legale Abtreibung im Falle einer Vergewaltigung aus („Es ist falsch, unschuldige Kinder zu töten, auch wenn dieses Kind mit einigen Unannehmlichkeiten verbunden ist“). Außerdem befürwortete er die Einführung eines bezahlten Studiums sowie einer bezahlten Gesundheitsfürsorge. Er fügte auch hinzu, dass es in seiner idealen Welt kein Programm 800 plus (Name für das polnische Kindergeld) geben würde. Alle diese Aussagen wurden von den Gegnern sofort angegriffen und mit inhaltlichen Argumenten konfrontiert.
Das kann ein Vorgeschmack darauf sein, was in einigen Wochen geschehen wird. Das wichtigste Datum kurz vor den Wahlen könnte nämlich die Fernsehdebatte sein, an der alle Kandidaten teilnehmen werden. Sie wird gemeinsam vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVP sowie von den privaten Sendern TVN und Polsat organisiert. Vor allem für Sławomir Mentzen könnte dies eine echte Herausforderung werden. Bisher hat er die Konfrontation mit den Medien erfolgreich vermieden, so dass es schwierig ist, die von ihm verbreiteten Thesen direkt anzufechten. Die Erfahrung aus dem letzten Parlamentswahlkampf 2023, als er sich mit Ryszard Petru, einen Wirtschaftswissenschaftler und Politiker der Bürgerkoalition, in einem Radiointerview auseinandersetzen musste, hat gezeigt, dass er nicht in der Lage ist, seine Postulate zu verteidigen, wenn er mit sachlichen Argumenten in die Enge getrieben wird.
Die altbekannte Polarisierung kehrt zurück
Da der Wahlkampf gerade in die entscheidende Phase eintritt, ist zu erwarten, dass die beiden Hauptkandidaten zu der in Polen üblichen politischen Polarisierung zurückkehren werden. Obwohl beide Wahlkampfstäbe von Anfang an davon ausgingen, mit politischen Spaltungen zu spielen, hat insbesondere Rafał Trzaskowski aus den schon genannten Gründen keine expliziten direkten Angriffe auf die PiS verwendet. Die fehlende Konfrontation mit der Recht und Gerechtigkeit und das Nachgeben gegenüber rechten Wählern wurden sogar von linken Kommentatoren kritisiert, die befürchten, Trzaskowski drohe einen Teil der progressiven Wählerschaft zu verlieren. (Mehr zum Thema der Herausforderungen, vor denen Trzaskowski in diesem Wahlkampf steht, lesen Sie hier). Karol Nawrocki kritisierte zwar seinen Rivalen und die Regierung, ließ aber relativ selten erkennen, dass diese Wahl ein Kampf um alles oder nichts (Warum diese Wahlen als „Kampf um alles oder nichts“ bezeichnet werden können, lesen Sie hier) und eine Abrechnung mit der Regierung von Donald Tusk war.
Der unsichtbare Präsident
Im bisherigen Wahlkampf hat der derzeitige Präsident Andrzej Duda bislang eine interessante und scheinbar marginale Rolle gespielt. Zwar gibt er öffentlich zu, dass er Karol Nawrocki unterstützt und für ihn stimmen wird. Er war auch bei zwei Wahlkampfveranstaltungen Nawrockis anwesend, ist aber nicht aktiv an seiner Kampagne beteiligt. Gleichzeitig hat er sich zweimal mit Sławomir Mentzen getroffen und damit indirekt auch seine Unterstützung für diesen Kandidaten zum Ausdruck gebracht. Möglicherweise gibt es dafür einen bestimmten Grund. Duda hofft eventuell, dass die Schwächung der PiS (im Falle eines schlechten Ergebnisses für Nawrocki) und die Stärkung der Konföderation (mit einem guten Ergebnis für Mentzen) in Zukunft eine Koalition (es wird sowohl über eine Regierungskoalition als auch über eine Fusion des rechten Lagers spekuliert) zwischen der PiS und der Konföderation ermöglichen würde, die er anführen könnte. Eine solche Führung seitens Duda ist jedoch unrealistisch (auch wenn von ihm selbst möglicherweise angestrebt), da weder die Spitzenpolitiker der PiS noch der Konföderation dies zulassen werden.
PiS-Konföderation – das lang (mittel?)fristige Ziel?
Vor diesem Hintergrund ist jedoch schon die Möglichkeit der genannten Koalition interessant. Solange Karol Nawrocki in den Umfragen weit vor Mentzen lag, agierten die beiden Parteien wie auf der Grundlage eines „Nichtangriffspaktes“ - sie griffen sich nicht gegenseitig an, sondern attackierten in ähnlicher Weise die aktuelle Regierung und konzentrierten sich auf unterschiedliche Zielgruppen. Nawrockis Mitarbeiter rechneten für die Stichwahl mit der Unterstützung von Mentzens Wählern aus dem ersten Wahlgang. In der gegenwärtigen Phase des Wahlkampfs ist die Situation eine andere, beide Lager kritisieren den Gegner.
Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass beide Parteien wissen, dass sie nach den nächsten Parlamentswahlen nur dann an die Regierung kommen können, wenn sie eine Koalition bilden. Das ist für sie kein Wunschszenario, aber mathematisch wahrscheinlich, auch wenn sich noch viel ändern kann. Im Moment verängstigen die PiS-Politiker ihre Wähler allerdings mit Mentzens Wirtschaftsideen, die weit von der sozialpolitischen Strategie der PiS entfernt sind. Doch die neue Generation der PiS-Aktivisten wird vielleicht nicht so sozialpolitisch sein. Und Machtgelüste werden für beide Kräfte nicht unerheblich sein. In den nächsten Jahren werden wir also in Polen die Gleichzeitigkeit einer gegenseitigen Bekämpfung und wechselseitigen Annäherung dieser beiden Kräfte beobachten können, denn der Weg zu einer solchen möglichen Koalition wird sicherlich nicht geradlinig verlaufen.
Zunächst aber stehen uns weitere Wochen des Präsidentschaftswahlkampfes bevor.