18.11.2024 - Politik, Gesellschaft
Konservativer Sicherheitsexperte oder progressiver Kenner der EU-Strukturen? Die Vorwahlen in der Bürgerkoalition
Knapp ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen in Polen ist immer noch unklar, wer der Kandidat der beiden wichtigsten politischen Kräfte, der Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk und von Jarosław Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), sein wird. Dies soll sich aber bald ändern. Am 22. November wird die Bürgerkoalition Vorwahlen abhalten, um einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2025 auszuwählen. Daran können Mitglieder aller Gruppierungen, die der KO angehören, teilnehmen. Sie haben die Wahl zwischen dem Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski und dem Außenminister Radosław Sikorski. Diese beiden haben schon seit Monaten ihre Bereitschaft zu kandidieren bekundet. Doch während Trzaskowski seit langem als quasi-natürlicher Kandidat der Bürgerkoalition gehandelt wurde, den auch viele Politiker der KO unterstützen, hat sich Sikorski im Prinzip selbst ins Spiel gebracht und durch zahlreiche Auftritte in den (sozialen) Medien in den vergangenen Wochen profiliert. Dem Vernehmen nach sollen die Vorwahlen von Trzaskowski beantragt worden sein. Premierminister Tusk betonte, dass es außer den beiden Spitzenkandidaten keine weiteren Bewerbungen geben werde. Die Abstimmung wird per SMS stattfinden. Der KO-Kandidat für die Präsidentschaftswahlen soll einen Tag später bekannt werden und sein Programm am 7. Dezember einem breiteren Publikum vorstellen.
Warum hat sich die Bürgerkoalition für Vorwahlen entschieden?
Als größte Partei der Bürgerkoalition hat die Bürgerplattform 2010 erstmals Vorwahlen durchgeführt. Mehr als 21.000 Parteimitglieder nahmen damals an den Vorwahlen teil, was einer Wahlbeteiligung von gut 47,5 Prozent entsprach. Damals waren sie ein voller Erfolg. Die Bürgerplattform hatte in den Massenmedien eine große Reichweite und damit schon einen Vorsprung im Wahlkampf. Dies ist auch jetzt, 2024, die Hoffnung: Vorwahlen ziehen die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, stärken das Profil eines Kandidaten und binden Parteimitglieder ein. Wichtig dabei ist, dass die Vorwahlen 2024 ein Alleinstellungsmerkmal der KO sind. Hätte sich die PiS für Vorwahlen entschieden, wäre die Idee in der Bürgerkoalition wahrscheinlich nicht umgesetzt worden. Da die PiS den Plan der Vorwahlen jedoch aufgegeben hat, will die KO auf diese Weise die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit auf sich ziehen und sich so einen Vorteil im Wahlkampf verschaffen – zumal sie dann die PiS als autoritär gesteuerte Partei darstellen kann.
Risiken
Die Organisation der Vorwahlen birgt jedoch auch ein gewisses Risiko. Sie berücksichtigen nicht die Stimmen der Unentschlossenen im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Und in Polen werden Präsidentschaftswahlen eben in der Regel in der zweiten Runde gewonnen. Das bedeutet, dass der Kandidat die Stimmen der Wähler anderer Parteien, deren Bewerber in der ersten Runde verloren haben, entweder für sich gewinnen oder davon abhalten muss, in der Stichwahl für den Gegenkandidaten zu stimmen. Unter diesen Bedingungen ist es besser, die Ergebnisse der Umfragen zu betrachten und die Chancen der Kandidaten nur in diesem Kontext zu bewerten. Die Ergebnisse der Umfragen deuten heute darauf hin, dass Rafał Trzaskowski beliebter ist und daher eher auch die Vorwahlen gewinnen wird.
Die Kandidaten – alte Rivalen
Die beiden Kandidaten, die bei den Vorwahlen antreten repräsentieren die beiden ideologischen Flügel der KO.
Rafał Trzaskowski wird gemeinhin eher dem liberalen und progressiven Teil der Koalition zugerechnet. Als Experte für Europapolitik, ehemaliger Minister für europäische Angelegenheiten, Europaabgeordneter, Minister für Digitalisierung und jetziger Stadtpräsident Warschaus kann er mit seinem Wissen über die Funktionsweise der EU sowie Managerfähigkeiten aufwarten. Bei der Präsidentschaftswahl sind diese Punkte jedoch nicht entscheidend, da der Präsident in Polen gerade in EU-Angelegenheiten eher wenig beizutragen hat. Zudem ist heute das Thema Sicherheit, wo das Staatsoberhaupt eine führende Rolle spielt, am wichtigsten.
Auf diesem Gebiet hat Radosław Sikorski weitaus mehr anzubieten Für ihn spricht gerade seine größere Erfahrung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, und zwar nicht nur, weil er schon Verteidigung- und Außenminister war, sondern auch, weil er früher als Kriegsberichterstatter aus Afghanistan und Angola berichtet hat. Er kann mit den Stimmen des konservativeren Flügels der KO rechnen. Für Sikorski wird dies nicht die erste Vorwahl sein. Im Jahr 2010, als er Außenminister war, trat er in einem Rennen um die Unterstützung seiner Partei gegen den damaligen Parlamentspräsidenten, den Sejm-Marschall Bronislaw Komorowski, an. Die Vorwahlen endeten mit einem Sieg für Komorowski. Er erhielt 68,5 Prozent der Stimmen und gewann anschließend die Präsidentschaftswahlen. Sikorski kam auf lediglich 31,5 Prozent.
Eine zweite Abstimmung über die Präsidentschaftskandidatur fand am 14. Dezember 2019 auf dem Parteikonvent der PO statt. 475 PO-Mitglieder gaben gültige Stimmen ab. Damals gewann Małgorzata Kidawa-Błońska (die damalige Vize-Marschallin des Sejms) die Wahl mit 73,4 Prozent der Stimmen gegenüber 26,6 Prozent für Jacek Jaśkowiak (Stadtpräsident von Posen). Kidawa-Błońska trat bei den Präsidentschaftswahlen, die am 28. Juni 2020 stattfanden, letztlich jedoch nicht an, sondern trat nach heftiger Debatte während des bereits begonnenen Wahlkampfs zurück. Umfragen zeigten damals nämlich einen Rückgang der Unterstützung für die PO-Kandidatin, wobei Rafał Trzaskowski und Radosław Sikorski zu den potenziellen Kandidaten für die Nachfolge von Kidawa-Błońska gehörten. Am Ende wurde Trzaskowski neuer PO-Kandidat. Er kam bei den Präsidentschaftswahlen in die zweite Runde und trat gegen Andrzej Duda an, der sich um die Wiederwahl bemühte. Trzaskowski erhielt 48,97 Prozent der Wählerstimmen, und Duda wurde mit 51,03 Prozent für eine zweite Amtszeit gewählt.
Wie sehen die Chancen aus?
Die KO-Mitglieder sollten sich nicht nur von ihrer eigenen Einschätzung eines Kandidaten leiten lassen, sondern auch von dessen Chancen, im zweiten Wahlgang gegen den Kandidaten von Recht und Gerechtigkeit zu gewinnen. Dafür werden verschiedene Umfragen durchgeführt. Das polnische staatliche Umfrageinstitut CBOS analysierte, welche der potenziellen Präsidentschaftskandidaten die größte potenzielle Wählerschaft und welche die größte negative Wählerschaft haben. Die Umfrage umfasste 13 Kandidaten verschiedener Parteien. Konzentrieren wir uns jedoch auf die beiden, die bei den KO-Vorwahlen antreten. Rafał Trzaskowski hat die größten Chancen, die Stimmen der Wähler zu gewinnen. 30 Prozent gaben an, dass sie bei der Wahl auf jeden Fall für ihn stimmen würden. 13 Prozent geben ihm heute eine bedingte Unterstützung, d. h. sie sagen, dass sie eher für ihn stimmen würden als nicht. An zweiter Stelle liegt Radosław Sikorski mit 16 Prozent sicherer und 17 Prozent bedingter Unterstützung. Die Befragten bewerteten diese Kandidaten jedoch, bevor Sikorski energisch in ein internes Kräftemessen mit Trzaskowski eintrat. Dies könnte die Proportionen zwischen ihnen verändert haben.
In einer Umfrage von United Surveys für Wirtualna Polska fragten die Meinungsforscher die Polen, wer ihrer Anicht nach ein besserer Präsident Polens wäre und die Interessen des Landes nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten besser vertreten würde. Ein klarer Vorteil ging hier an den Bürgermeister von Warschau, der von 43,2 Prozent der Befragten genannt wurde. Radosław Sikorski hingegen erhielt 23,9 Prozent. Fast 33 Prozent der Befragten konnten oder wollten keinen der beiden Kandidaten nennen. Unter den Wählern der Regierungskoalition bevorzugen sie Rafał Trzaskowski (62 Prozent) deutlich vor Radosław Sikorski (28 Prozent). Unter den PiS-Wählern verwiesen 42 Prozent wiederum auf Sikorski.
Die Teilnehmer an der Umfrage von SW Research für rp.pl wurden wiederum gefragt, wer ihrer Meinung nach die von KO organisierten Vorwahlen gewinnen würde. Auf diese Frage hin gaben 57,8 Prozent der Befragten Rafał Trzaskowski an.
Alles deutet also darauf hin, dass Rafał Trzaskowski für die KO im Mai um den Einzug in den Präsidentenpalast kämpfen wird, auch wenn eine kleine Unsicherheit bis zum Ende des internen Wahlkampfs bleibt. Spannend ist, ob die PiS diese Entscheidung abwarten oder vorher ihren eigenen Kandidaten bekannt geben wird. Am Wochenende, bereits nach der Entscheidung der KO über die Vorwahl, hat Jarosław Kaczyński zwar angekündigt, den eigenen Bewerber innerhalb der nächsten drei Wochen zu benennen, es ist aber auch gut möglich, dass er wartet, bis bei der KO Klarheit herrscht.