01.08.2023

Trotz Pleiten, Pech und Pannen – bleibt die PiS an der Macht?

Dobry Czas Dla Polski

Noch im Mai 2023 sah es für die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS), die seit Herbst 2015 das Land regiert, zuversichtlich und optimistisch aus: Auf einem Sonderparteitag in Warschau zeigte sich die Partei um inhaltliche Projekte vereint, die internen Querelen schienen vergessen und der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński konnte neue Wahlversprechen verkünden. Unerwartet verpuffte aber seine Botschaft schnell: Mit der ungewöhnlichen Attacke der Opposition begann die mühsam aufgebaute Parteitagsbotschaft zu bröckeln, als der Chef der oppositionellen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO), Donald Tusk, das wichtigste PiS-Versprechen bloßstellte, die Erhöhung des Kindergeldes von 500 auf 800 PLN: Er forderte nämlich, das Kindergeld ab Juni, also quasi ab sofort zu erhöhen und nicht erst nach den Wahlen. Das Versprechen konnte kaum Wirkung  entfalten, die Meinungsumfragen zeigten keine Reaktion, und was besonders schmerzte, war die Tatsache, dass dieses Projekt das größte finanzielle Volumen aller Wahlversprechen besaß. Schnell hat man in der PiS verstanden, dass der Zeitpunkt für die Ankündigung schlecht gewählt war und dass die Erhöhung von Sozialausgaben kein Selbstläufer mehr ist. Hinzu kommt noch die Schmach durch Tusks Forderung, hatte doch die PiS bisher immer wieder behauptet, die Opposition würde das Kindergeld und andere durch die PiS eingeführte Leistungen wieder streichen. So verpufften auch die anderen Wahlversprechen, etwa die kostenlose Abgabe von Medikamenten an Kinder und Senioren oder die Gebührenaufhebung für staatliche Autobahnen.

Noch schlimmer erging es einer Sonderkommission zur „Verfolgung russischer Einflüsse“ in Polen in den Jahren 2007–2022, also seit der Zeit der ersten Amtszeit der Regierung Tusk. Das Ziel der Kommission, die ein Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter von bis zu 10 Jahren verhängen sollte, war allzu offensichtlich. Es ging einzig und alleine darum, zu verhindern, dass Donald Tusk nach eventuell gewonnener Wahl die Regierungsgeschäfte übernimmt. Präsident Andrzej Duda, selbst Jurist von Beruf, unterzeichnete das Gesetz nach nur wenigen Stunden, bekam dann nach massiver internationaler Kritik aber doch Zweifel und schlug eine Novellierung vor, die dem Gesetz die Schärfe nehmen sollte. Scherze tauchten auf, Duda sei der erste Präsident, der ein Veto gegen seine eigene Unterschrift eingelegt habe. Peinlich waren seine Aussagen, der Westen würde die polnische Spezifik nicht verstehen, er – Duda – würde Präsident Biden schon überzeugen, worum es hier geht.

Die Unterschrift des Präsidenten erfolgte in einer Woche, an deren Ende die wichtigste Oppositionspartei PO zu einer großen Demonstration am Jahrestag der ersten, damals noch nicht ganz freien, Wahlen vom 4. Juni 1989, aufgerufen hatte. Es folgte eine enorme Mobilisierung der oppositionellen Kräfte (außer der antiliberalen Konfederacja/Konföderation), auch derer, die ursprünglich nicht unbedingt daran teilnehmen wollten, wie etwa der Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) und der Bewegung Polska 2050, die sich nun beide unter dem Namen Der Dritte Weg zusammengetan haben. Die PiS unterschätzte die Kraft der 4.-Juni-Demonstration und hatte ihr – außer der üblichen TV-Kommentare – nichts entgegenzusetzen. Die PiS-Wahlkampagne bekam einen schmerzenden Stoß.

Konkurrenz von rechts

Ein neuer Wahl-Parteitag der PiS im Juni in Bogatynia an der deutsch-polnischen Grenze – in der Nähe des Braunkohlekraftwerks Turów, um das es einen umweltpolitischen Streit mit Tschechien gibt – offenbarte innere Schwächen der Partei. Denn kurz zuvor hatte sie ihren Wahlkampf-Beauftragten austauschen müssen. Ihre eigenen Ideen wirkten jedoch phantasielos und altbacken: Das Schüren von Angst vor der Opposition, die Loblieder auf die eigenen Großprojekte (etwa ein neuer Mega-Flughafen bei Warschau), eine Propaganda, die Polen unter den höchst entwickelten Ländern sieht – all das schien heute weitaus weniger zu verfangen als noch in den Jahren zuvor. Vielmehr zeigten sich Risse nach innen und nach außen – der andauernde Fraktionskampf in der PiS selbst und mit dem unberechenbaren Koalitionspartner Suwerenna Polska (Souveränes Polen) des Justizministers Zbigniew Ziobro, der Dauerkonflikt mit der Europäischen Kommission und das Ausbleiben der EU-Fördergelder – die PiS steht vor einem Scherbenhaufen. Und dann folgte auch noch eine Überraschung: Ende Juni trat der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński wieder einmal als stellvertretender Ministerpräsident in die Regierung ein, genau an dem Tag, an dem er ein Jahr zuvor die Regierung verlassen hatte. Seinen Schritt hatte er 2022 mit dem Argument begründet, er könne die Parteiarbeit mit dem Engagement in der Regierung nicht vereinbaren, diesmal störte er sich wenig daran, denn das Ziel liegt auf der Hand – er kommt nun, um die Regierung zu stabilisieren, die Attacken der Ministerkollegen gegen Regierungschef Mateusz Morawiecki abzuwehren und vor allem, um Ziobro klein zu halten. Bei der Berufung Kaczyńskis in die Regierung mussten alle fünf bisherigen stellvertretenden Ministerpräsidenten gehen. Für viele Kommentare sorgte ein Foto von dem Termin, bei dem alle Beteiligten, inklusive Kaczynski, müde wirkten. Allerdings brodelt es unter der Oberfläche. Es ist kein Geheimnis, dass der Kampf um das Kaczyński-Erbe schon jetzt in vollem Gange ist – die Fraktionen um Ministerpräsident Morawiecki und den mächtigen Minister für Staatsaktiva Jacek Sasin sind auf der Hut. Einer der bisherigen „Musterknaben“, der sich bis vor Kurzem Hoffnungen machen konnte – Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak – fällt derzeit tief, konnte die polnische Armee doch monatelang eine irregeleitete russische Rakete nicht finden.[1]

Ein weiteres Problem für die PiS stellen die noch weiter rechts verorteten Parteien dar – Souveränes Polen und Konföderation. Die Ziobro-Partei tritt nicht als selbständige Partei an, sondern ihre Kandidaten erhalten ausgewählte PiS-Listenplätze (ohne die PiS würde Ziobros Partei die 5%-Hürde nicht überschreiten). Der Preis dafür ist die Loyalität gegenüber der PiS, die aber nur schwer zu erreichen ist, liegt der Justizminister doch im Dauerstreit mit Mateusz Morawiecki wegen den unzähligen Justizreformen und der EU-Politik. Bisher hat die PiS auch keine Antwort auf den rasanten Aufstieg der Konföderation gefunden, die sich langsam auch auf das PiS-nahe konservative Elektorat ausdehnen könnte. Bisher fischte die Partei unter den bisher kaum politisch aktiven jungen Menschen (vor allem jungen Männern), mit ihrer antieuropäischen und antimigrantischen Rhetorik kann sie aber auch der PiS gefährlich werden. Die große PiS äußert sich bisher nicht – weder zu der Partei selbst noch zu einer möglichen Koalition mit ihr.

Ein Sieg des Zynismus?

Hat die PiS – wegen dieser zahlreichen Pleiten, Pech und Pannen – schon verloren? Das ist nicht sicher, denn die Kernwählerschaft der PiS bleibt stabil. Es gab nach den neusten Umfragen zwar keine Zugewinne mehr und der Abstand zur oppositionellen PO schrumpft leicht, die PiS-Werte bleiben aber stabil bei etwa 33 %. Zur Erinnerung: Etwas mehr als 37% reichten 2015 aus (19% aller Stimmberechtigten), um die absolute Mehrheit zu erreichen. Davon ist die Partei aber diesmal weit entfernt. Ihre Chance bleibt die Zersplitterung der Opposition und deren Scheitern beim Aufbau eines Anti-PiS-Blocks. Ansonsten hat die PiS auch an der Wahlordnung herumgedoktert, um ihre Chancen zu vergrößern – die Grenzen einiger Wahlkreise wurden geändert, neue Wahllokale werden in kleineren Ortschaften eingerichtet, zu denen weit entfernt lebende Wähler mit Bussen gebracht werden sollen. Dies bevorzugt vor allem eine PiS-nahe Klientel – ältere Leute auf dem Lande.

Die PiS hat mehrmals gezeigt, dass sie ihre Wählerschaft stärker motivieren kann als alle anderen Parteien. Die ihr nahe stehenden Wähler interessieren sich wenig für all das, was in der oppositionsnahen Presse über die Affären und Skandale der Regierung steht. Die Soziologen Przemysław Sadura und Sławomir Sierakowski schreiben in ihrer neuesten Analyse: „Die PiS verliert in allen Umfragen, wenn wir nach Verfassungsgericht, EU-Konflikt, Abtreibungsrecht, LGBT fragen, aber wenn gewählt wird, gewinnt sie. Den Unterschied machen die ‚Zyniker‘ aus, die eigentlich liberale Einstellungen vertreten, aber eine Partei wählen, die ihnen Cash verspricht. Und das ist unter diesen Umständen rational und verständlich. Dass die auch stehlen und Vetternwirtschaft treiben? Egal, die Kernwähler glauben das sowieso nicht oder es gefällt ihnen womöglich, denn das stärkt die geliebte Partei, und die ‘Zyniker‚ scheinen nicht überrascht zu sein. Solange sie mit Leistungen rechnen können, verlassen sie die Partei nicht.“

Ausblick

Was werden die nächsten Wochen für die Regierungspartei bringen? Wie wird sich das Kriegsgeschehen in der Ukraine gestalten? Wie werden sich die Wagner-Söldner in Belarus verhalten? Die PiS hat mehrmals gezeigt, dass sie auf der Zielgeraden häufig mit emotional aufgeladenen Themen punktet. In diesen Tagen ist allerdings die Nervostität überall zu spüren. Zwar wird die Propaganda der vereinnahmten öffentlich-rechtlichen Medien sicherlich dafür sorgen, dass sich die meisten konservativen Wähler weiterhin für die PiS entscheiden, aber eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze wie vor vier bzw. vor acht Jahren wird diesmal wohl nicht möglich sein. Das läuft auf eine mögliche Koalition mit der Konföderation hinaus, keine Liebesheirat, eher eine Vernunftehe, was allerdings angesichts des Protestpotentials der jungen Partei und ihres Anspruchs als Anti-Establishment-Kraft nichts Gutes für die PiS und letzten Endes auch für das Land selbst ahnen lässt.



[1] Im Dezember 2022 registrierte die polnische Flugabwehr ein nicht identifiziertes Flugobjekt über Polen, konnte es aber nicht orten. Erst im April 2023 fand eine Reiterin eine russische Rakete im Wald in der Nähe von Bydgoszcz. In Folge wollte keiner die Verantwortung übernehmen: Minister Błaszczak beschuldigte die Armeeleitung, erbwäre nicht rechtzeitig informiert gewesen, diese bestritt die Aussage, es entstand der Eindruck, dass es trotz massiver Raketenabwehrpräsenz im Osten Polens (u.a. durch zahlreiche Patriot-Stellungen) es keinen ausreichenden Schutz des Luftraums über Polen gebe.