12.11.2024
Showdown in Warschau: Warum es bei den polnischen Präsidentschaftswahlen 2025 um alles geht
Im Mai 2025 werden die Polen einen Präsidenten oder - obschon das eher unwahrscheinlich ist - eine Präsidentin wählen. Und es geht einmal mehr um alles. . Denn nur ein Präsident, der mit der derzeitigen Regierungskoalition verbunden ist, wird es ihr ermöglichen, weitere Reformen durchzuführen. Wenn der Kandidat von Recht und Gerechtigkeit gewinnt, wird der Staatschef, so wie derzeit Andrzej Duda, weitere Gesetze mit einem Veto blockieren. Dass einer der Kandidat:inenn bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht, gilt als nahezu ausgeschlossen. Eine Stichwahl scheint daher so gut wie sicher. Aber erst der Wahlkampf der kommenden Wochen und Monate wird darüber entscheiden, ob es wie bereits vor fünf Jahren zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen um das höchste Amt im Staat kommt, oder ob sich einer der Wettbewerber frühzeitig absetzen kann.
Warum sind die polnischen Präsidentschaftswahlen so wichtig?
Nach den Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 wurde am 13. Dezember die insgesamt dritte Regierung unter Führung von Premierminister Donald Tusk vereidigt. Beobachter, sowohl in Polen als auch im Ausland, versprachen sich von dem Regierungswechsel nicht zuletzt eine Rückabwicklung des umstrittenen Umbaus des polnischen Justizwesen, der in den acht Jahren Amtszeit der Vorgängerregierung Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) stattgefunden hatte. Doch um die hierfür notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, ist die Regierung auf den Präsidenten angewiesen. Dieser besitzt im polnischen Gesetzgebungsverfahren ein beinahe uneingeschränktes Veto-Recht. Mit diesem Instrument kann er jedes vom polnischen Parlament beschlossene Gesetz zurückweisen. Das Parlament wiederum kann ein solches präsidentielles Veto nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 3/5 der Abgeordneten abweisen. Dies entspräche bei vollständiger Anwesenheit 276 von 460 Abgeordneten. Derzeit verfügt die Regierungskoalition lediglich über 233 Mandate, nachdem die Abgeordneten von Razem die Fraktion der Linken verlassen haben. Nachdem allerdings drei Razem-Abgeordnete die Partei verlassen und sich grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit der Regierung bereit erklärt haben, verfügt die Koalition von Premierminister Donald Tusk de facto über 236 Mandate.
Der derzeit amtierende Präsident Andrzej Duda steht dem politischen Lager der PiS nahe, die von 2015 bis 2023 die Regierung anführte und heute größte Oppositionspartei im polnischen Parlament ist. Seit der Ernennung von Donald Tusk zum Premierminister hat Duda bereits mehrfach von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht und auch immer wieder unterstrichen, dieses Instrument auch in Zukunft nutzen zu wollen, um die legislativen „Errungenschaften“ der PiS-Regierungszeit zu bewahren. Um ihr politisches Programm umsetzen zu können, ist die Tusk-Regierung daher auf einen ihr wohlgesinnten Amtsinhaber im Präsidentenpalast angewiesen. Die anstehenden Präsidentschaftswahlen 2025 gleichen daher einem Showdown. Gewinnt ein dem Regierungslager nahestehender Kandidat, ist der Weg frei für weitreichende politische Reformen. Gleichzeitig muss die Regierung dann auch wirklich liefern und kann mangelnde Reformfähigkeit nicht länger durch Verweis auf das präsidentielle Veto-Recht kaschieren. Erringt jedoch ein PiS-Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen, drohen Polen weitere Jahre der Stagnation im Zeichen der Kohabitation zwischen Präsident und Regierung aus entgegengesetzten politischen Lagern. Das Ausbleiben pro-demokratischer Reformen und die Stagnation könnten wiederum zu Unzufriedenheit bei den Wählern der derzeitigen Regierungskoalition führen und sie von einer weiteren Unterstützung abhalten. Dies wiederum wird der PiS die Tür öffnen, die nächsten Parlamentswahlen im Jahr 2027 zu gewinnen.
Wann finden die Wahlen statt?
Laut polnischer Verfassung legt der Sejmmarschall, also derzeit Szymon Hołownia, selbst ein möglicher Kandidat bei den Wahlen, den Wahltermin fest, und zwar nicht früher als 100 und nicht später als 75 Tage vor dem Ende der Amtszeit des aktuellen Präsidenten am 6. August 2025. Der wahrscheinlichste Wahltermin ist der derzeit der 18. Mai. Eine wahrscheinliche Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Kandidaten fände in einem solchen Szenario am 1. Juni statt.
Wer sind die Kandidatinnen und Kandidaten?
Bislang wurde lediglich Sławomir Mentzen von der rechtsextremen Konfederacja offiziell als Kandidat benannt. Bei der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) von Donald Tusk, die ihren Kandidaten am 7. Dezember benennen will, deutet alles auf eine Entscheidung zwischen Außenminister Radosław Sikorski und dem Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski hin. Ausschlaggebend für die endgültige Entscheidung dürfte letztlich sein, wem der beiden Tusk am ehesten zutraut, bei einer Stichwahl gegen den Kandidaten der PiS zu bestehen. Bis vor kurzem plante die PiS, am 10. bzw. am 11. November zu verkünden, wer für sie ins Rennen um das Präsidentenamt gehen wird. Zuletzt erklärte der frühere Premierminister Mateusz Morawiecki jedoch, dass man mit der Entscheidung weiter abwarten wolle, womöglich bis nach der Verkündung des KO-Kandidaten. Die aktuelle Shortlist potenzieller PiS-Kandidaten hat mittlerweile eine beachtliche Länge erreicht. Auf ihr tummeln sich der Europaparlamentarier Tobiasz Bocheński, der frühere Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak und der ehemalige Bildungsminister Przemysław Czarnek ebenso wie der Vorsitzende des Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) Karol Nawrocki sowie trotz aller Dementis der ehemalige Premierminister Mateusz Morawiecki, dem Umfragen zufolge die größten Siegchancen zugesprochen werden. Der Dritte Weg, bestehend aus Polska 2050 und der Polnischen Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL), wird dem Vernehmen nach auf Szymon Hołownia setzen, der seine politische Karriere mit den Präsidentschaftswahlen 2020 angefangen und damals den dritten Platz errungen hat.
Aller Voraussicht nach werden bis auf eine Ausnahme ausschließlich Männer für das höchste Staatsamt kandidieren. Diese findet sich in der Kandidatin der Lewica, die entweder die Arbeits-, Sozial- und Familienministerin Agnieszka Dziemianowicz-Bąk oder die stellvertretende Senatsmarschallin Magdalena Biejat aufstellen wird.
Wie werden die Wahlen ausgehen?
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird keiner der aufgestellten Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erringen, so dass sich in einem zweiten Wahlgang die Kandidaten von KO und PiS in einem Showdown gegenüberstehen dürften. Laut jüngsten Untersuchungen hätte aktuell Rafał Trzaskowski, der vor fünf Jahren knapp gegen Amtsinhaber Andrzej Duda verlor, die größten Chancen auf einen Wahlsieg. Demnach würde er sich gegen verschiedene Kandidaten der PiS klar durchsetzen und auch im Vergleich mit potenziellen Kandidaten aus dem Regierungslager wie Szymon Hołownia oder Radosław Sikorski die Oberhand behalten. Gleichwohl ist es heute noch zu früh für verlässliche Prognosen. Allein dass sowohl KO als auch PiS mit der Verkündung des eigenen Kandidaten am liebsten so lange warten wollen bis sie den Kandidaten der Gegenseite kennen, spricht für ein prinzipiell weiterhin offenes Rennen um das höchste Amt im polnischen Staat. Zumal die Parteien über eigene Umfragen verfügen, die noch einmal wesentlich kleinteiliger die Stärken und Schwächen der einzelnen Wettbewerber herausarbeiten. Klar ist daher nur eines: bei den Präsidentschaftswahlen 2025 geht es wieder einmal um alles.
Warum steht wieder einmal alles auf dem Spiel?
Im Mai 2025 werden die Polen wieder zur Wahl gehen. Nach der Begeisterung am Wahltag im Oktober 2023, als eine Rekordzahl von 74 Prozent der Polen zur Wahlurne ging, fanden noch Kommunalwahlen im April 2024 und Europawahlen im Juni 2024 statt. Die Begeisterung für die Erfüllung der Bürgerpflicht und die Mitsprache bei der Gestaltung der Zukunft Polens hält sich deshalb in Grenzen. Stattdessen hat sich eine gewisse Wahlmüdigkeit breit gemacht. Zahlreiche Wähler der derzeitigen Regierungskoalition sind enttäuscht, dass sich ein Jahr nach der Wahl zu wenig geändert hat. Die Erwartungen an einen schnellen und radikalen Kurswechsel haben sich nicht erfüllt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie unter den gegebenen Umständen nicht erfüllt werden konnten. Wie erwähnt, steht am Ende eines jeden Gesetzgebungsverfahrens Präsident Andrzej Duda, der mit der Verweigerung seiner Unterschrift politische Reformen blockieren kann und dies auch tut. Koalitionspolitiker und Experten sagen daher ganz klar: Solange es keinen Wechsel im Präsidentenpalast gibt, sind Reformen nicht möglich. Das Bewusstsein für diese Tatsache ist aber bei einem Teil der Wählerschaft der Regierung nicht sehr ausgeprägt. Die Koalition hat ihren hohen Stimmenanteil 2023 vor allem dank der Wahlbeteiligung derjenigen erreicht, die normalerweise nicht wählen gehen - und sich daher, so kann man annehmen, auch nicht für die Funktionsweise der Politik interessieren. Für ihre „Mühe“ des Wählens erwarten sie oft schnelle und konkrete Veränderungen, die ihnen die aktuelle Regierung nicht bieten kann. Neben der Blockade durch den Präsidenten ist das Kabinett Tusk auch mit der Herausforderung konfrontiert, innerhalb einer sehr breiten Koalition zu arbeiten ). Dies macht es nicht leicht, Kompromisse zu finden und letztendlich Reformen durchzuführen, insbesondere hochumstrittene wie das Abtreibungsrecht oder die Einführung von Lebenspartnerschaften. Daher ist die Blockade des Präsidenten manchmal sogar eine gute Ausrede für die Regierung.
Beide politischen Lager motivieren daher ihre Stammwählerschaft und potenziellen Wähler erneut mit Slogans, die darauf hinweisen, dass diese Wahl in fundamentaler Weise über die Zukunft Polens entscheiden wird: die Stärkung der derzeitigen Regierung oder die Rückkehr der PiS. Bei der Regierungskoalition stellt sich also die Frage, ob diese Motivation wieder einen ähnlich großen Teil der Wählerschaft überzeugen wird wie im Jahr 2023. Auf der Seite von Recht und Gerechtigkeit wird es interessant sein zu beobachten, wie sich die Tatsache auswirkt, dass es kein Instrument mehr gibt, um die Wähler in Form der öffentlich-rechtlichen Medien zu erreichen. Es ist auch ungewiss, inwieweit die Informationen über die zahlreichen aufgedeckten Skandale der Regierungen von Recht und Gerechtigkeit deren Wähler erreichen. Es gibt also viele Faktoren, die für das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen entscheidend sein werden: das Profil des Kandidaten selbst, die Einzelheiten des Wahlkampfs und die internationale Lage. Und vielleicht noch die eine oder andere Unbekannte, die wir noch gar nicht auf dem Zettel haben.