23.04.2025

Präsidentschaftskandidat Szymon Hołownia

Szymon Holownia i Wladyslaw Kosiniak Kamysz 2023

Er war einst eine Hoffnung der polnischen Politszene: Szymon Hołownia. Mit seinem Engagement vor den Präsidentschaftswahlen 2020 wollte der katholische Publizist eine Alternative schaffen zu den einander unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) und der liberalkonservativen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO). In diesem „Duopol“ sah Hołownia, und viele mit ihm, eine der Ursachen für ein immer größer werdendes Auseinanderdriften der polnischen Gesellschaft, das sich nicht nur in konkreten Politiken, sondern auch in einander feindlich eingestellten sozio-kulturellen Blasen offenbarte. Sein Ziel war es, einen Ausgleich zu finden zwischen der großstädtischen Moderne und dem katholisch-traditionalistischen Konservatismus der polnischen Provinz. Seine Kandidatur vor fünf Jahren fiel auf fruchtbaren Boden und brachte Hołownia aus dem Stand einen achtbaren dritten Platz mit 13,8 Prozent der Wählerstimmen.

 

Der Dritte Weg gegen festgefahrene Lagerbildung

Es schien gut zu laufen, viele Beobachter sahen ein großes Potenzial für eine starke „dritte“ politische Kraft in Polen, welche viele Enttäuschte aus den bisherigen Regierungsparteien sammeln und endlich Reformen angehen sollte, die die beiden großen Parteien nicht Willens waren, durchzusetzen. Hołownia gründete daraufhin eine eigene Partei, Szymon Hołownias Polska 2050, die eine breit angelegte regionale Struktur in ganz Polen für ihn und seine politischen Ideen aufbauen sollte. Aber nicht zum ersten Mal zeigte sich, wie schwer es ist, eine regionale Basis für bisher unbekannte politische Kraft herzustellen. Dies ist mit ein Grund dafür, warum Polska 2050 bislang keinen dauerhaften Durchbruch erringen konnte.

Hołownia blieb jedoch eine bedeutende Persönlichkeit auf der politischen Bühne des Landes. Vor den Wahlen 2023 verbündete er seine Partei sogar mit der schwächelnden Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL), was im Ergebnis zu einer Parteienkoalition mit dem Namen „Dritter Weg“ (Trzecia Droga) führte. Der Name war dabei Programm, die neue Gruppierung positionierte sich mitte-rechts auf der politischen Skala des Landes und bekundete die Bereitschaft, nach der Wahl eine Anti-PiS-Koalition mit zwei anderen wichtigen politischen Akteuren schließen zu wollen – der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, bestehend aus der PO und weiteren Klein- und Kleinstparteien) und der Linken.[1]

Der Dritte Weg hatte zwei herausragende Persönlichkeiten an seiner Spitze – neben Szymon Hołownia den PSL-Vorsitzenden Władysław Kosiniak-Kamysz. Beide waren im Wahlkampf aktiv, beide haben bei volatilen Meinungsumfragen gezittert, am Ende aber erhielt das Parteienbündnis beachtliche 14,4 Prozent der Stimmen und verwies als drittgrößte Kraft im Lande die zuvor favorisierte Konföderation (Konfederacja) auf Platz vier. Gleichzeitig wurde sie als zweitgrößte Kraft seit Dezember 2023 Teil der neuen Mitte-Links-Regierung unter Donald Tusk. Hołownia wurde dabei für die Hälfte der Wahlperiode zum Sejm-Marschall gewählt, eine wichtige Position im polnischen Parlament, in dem es oft emotional und lautstark zugeht. Auch wenn Hołownia seine neue Funktion erst lernen musste, verhielt er sich souverän, und das auch angesichts der zahlreichen Provokationen der oppositionellen Kräfte, die zunächst alle Register zogen, um den unerfahrenen Sejm-Marschall herauszufordern. Das eigentliche Ziel seiner politischen Karriere war aber der Sessel des Staatspräsidenten.

 

Hołownias Programm

Szymon Holownia 31 10 2024

Photo by Arkadiusz Sasin

In vielen Punkten gleicht Hołownias Programm dem der liberalen PO: Polen soll ein starkes, modernes Land werden, in dem die Bürger möglichst große persönliche und wirtschaftliche Freiheiten genießen. Als wichtigsten Aufgaben sieht er und sein Dritter Weg militärische und innere (darunter Agrar-) Sicherheit, ein gerechtes Steuersystem mit fairen Belastungen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, eine Reform des polnischen Gesundheitswesens, die Stärkung der Bildungsausgaben und der Innovation sowie das Engagement für Frauen und Menschen mit Behinderungen. Er setzt sich ein für eine umweltfreundliche Energietransformation mit einem Schwerpunkt auf dem Ausbau Erneuerbarer Energien und dem Bau eigener Atomkraftwerke. Im Unterschied zu seinen Koalitionspartnern ist Hołownia als praktizierender Katholik gegen eine schnelle Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung. Er ist bereit, darüber eine Diskussion zu führen, und wenn nötig würde er einem Referendum zu diesem Thema zustimmen.

 

Kandidat der Mitte

Es war für alle Beteiligten wie Beobachter klar, dass sich der finale Kampf um die Präsidentschaft in Polen nach zehn Jahren Andrzej Duda zwischen den stärksten politischen Kräften PO und PiS abspielen wird. Dennoch hatten viele erwartet, dass Hołownia, wie schon 2020, weiterhin eine wichtige Rolle spielen und den dritten Platz für sich beanspruchen würde. Für die Beobachter stellte sich die Frage, ob Hołownia sein Ergebnis von damals bestätigen oder gar übertreffen könne. Als einer der ersten kündigte Hołownia schon am 13. November 2024 seine Kandidatur an. Seine Wahlkampagne eröffnete er am 7. Dezember im Shakespeare-Theater in Danzig. Am 24. März 2025 nahm die Staatliche Wahlkommission seine Kandidatur an.

Allerdings zeigen Umfragen, dass der Wahlkampf für Hołownia kein Spaziergang sein wird. Seine Werte schwanken nun zwischen 4 und 8 Prozent, das ist für ihn persönlich, aber auch für den Dritten Weg, enttäuschend. Schnell wurde Hołownia von Sławomir Mentzen, dem Kandidaten der libertär-nationalistischen Konfederacja, überholt. Das hat sich der wortgewandte Sejm-Marschall sicher anders vorgestellt. Wochenlang bewegten sich seine Umfragewerte kaum, während die Mentzens schnell nach oben schossen. Manch einer dachte sogar daran, Hołownia sollte auf die Kandidatur verzichten und seine Wählerschaft schon beim ersten Wahlgang am 18. Mai zugunsten des PO-Kandidaten Rafał Trzaskowski votieren lassen. Laut der Tageszeitung Rzeczpospolita wünschen das Ende März ca. 50 Prozent der befragten Polen.

Beobachter weisen darauf hin, dass Hołownia einige kapitale Fehler bei seiner Wahlstrategie unterlaufen sind. Er war Ende 2023, ebenfalls wie der gesamte Dritte Weg, auf einer wachsenden Popularitätswelle, deren Krönung seine hohen Zustimmungswerte waren, kurz nachdem er den Posten des Sejm-Marschalls übernahm. Diese Welle war jedoch nicht nachhaltig, denn bereits im Sommer 2024 zeigte sich, dass das Parteienbündnis keine richtige Idee hatte, wie es das Interesse der Wähler langfristig an sich ziehen könnte. Als Sejm-Marschall agierte Hołownia beherzt und war zunächst im Zentrum des politischen Geschehens, allerdings verlagerte sich das mediale Interesse nach der Regierungsbildung unter Donald Tusk auf die Exekutive.

Zu den Schwächen Hołownias gehören sicher auch die fehlenden regionalen Parteistrukturen. Offiziell ist er Kandidat von Polska 2025 und PSL. Allerdings besitzt seine Partei faktisch keine landesweiten Strukturen und die PSL ist derzeit immer noch geschwächt, litt sie doch in den letzten Jahren sehr unter der PiS-Dominanz auf dem Lande. Die PSL, die selber keinen eigenen Kandidaten aufstellte, zeigt ihrerseits einfach zu wenig Interesse an der Unterstützung Hołownias, einige Experten machen sogar darauf aufmerksam, dass die fehlenden Prozentpunkte in den Umfragen auf das Desinteresse der PSL-Wähler sowie fehlende finanzielle Unterstützung seitens der PSL zurückzuführen ist.

Hinzu kam, dass Hołownia erst spät erkannt hatte, dass er den Wahlkampf ernst nehmen und sich auch in der Fläche des Landes zeigen muss, was seine Gegenkandidaten seit Wochen bereits taten. Zu spät nahm er „Urlaub“ von Sejm, um sich mehr dem Wahlkampf zu widmen. Erst Mitte März 2025 verkündete er, dass er „100 Treffen an 60 Orten in 12 Woiwodschaften“ absolvieren möchte. Enttäuschend verlief auch die mediale Mobilisierung seiner Wählerschaft. Das zunächst „moderne“ Auftreten Hołownias und des Dritten Weges in den Medien nach der Wahl 2023 konnte nicht dauerhaft in Stimmen umgemünzt werden, was zeigt, dass man Wahlen nicht unbedingt nur mit Facebook und Instagram gewinnen kann.

 

Neuste Entwicklungen

Als ehemaliger TV-Journalist geht Hołownia in direkten Debatten geschickt vor und kann seine rhetorischen Vorteile ausspielen. So geschehen bei zwei Fernsehdebatten am 12. April, bei denen er sich in unterschiedlicher Zusammensetzung mit weiteren Kandidaten messen musste. Hołownia bot sich in kompetenten und kurzweiligen Aussagen als Kandidat der Mitte an, der "einen echten Wandel" in der polnischen Politik herbeiführen möchte, und attackierte gleichermaßen die Hauptkonkurrenten von PiS und PO. Seine Ideen dürften dabei Wählern aus beiden Lagern gefallen haben: Er unterstrich die Bedeutung der Sicherheit für das Land, unterstützte die Aufrüstung der polnischen Armee, die der Abschreckung dienen sollte, sprach sich für die Energietransformation aus, die nach „polnischen“ Interessen vonstattengehen sollte. In seinen Vorstellungen setzt er sich für einen „polnischen Entwicklungsweg“ mit einem starken Mittelstand in Industrie und Dienstleistungen ein, wofür die Wiederherstellung des Vertrauens in die polnische Rechtsstaatlichkeit Voraussetzung ist. Dem Europäischen Migrationspakt erteilte er in der jetzigen Form eine klare Absage und verwies auf die bisherigen Leistungen bei der Integration von ukrainischen Flüchtlingen; irreguläre Migration soll seiner Meinung nach ganz eingedämmt werden.

Beide TV-Auftritte führten zum ersten Mal dazu, dass die Zustimmungswerte sich zwar leicht aber immerhin auf etwas mehr als 9 Prozent bewegten (14. April, Wirtualna Polska). Mit einem professionellen Auftreten bei den bevorstehenden Fernsehauftritten und auf Wahlkundgebungen im Lande rechnet sich Hołownia weitere Prozentpunkte auf der Zielgeraden aus, zumal sein größter Konkurrent um den Platz Nummer 3 Sławomir Mentzen, der an den Debatten nicht teilgenommen hat, im Moment gerade wichtige Prozentpunkte verliert. Der Endspurt um den dritten Platz wird umso spannender sein, denn von dem guten Eindruck, den Hołownia gerade hinterlassen hat, wird er mit Sicherheit noch weiter profitieren.



[1] Der Dritte Weg war von vornherein gegen eine große Anti-PiS-Wahlkoalition gewesen, was ihm Einiges an Kritik seitens der PO einbrachte, da im polnischen Wahlsystem eine Zersplitterung der Parteienlandschaft traditionell immer Vorteile für den Sieger bringt. In diesem Fall befürchtete man, dass die PiS die Wahl aufgrund der Fragmentierung der Opposition gewinnen könnte. Die Bedenken des Dritten Weges waren dabei ideologischer Natur, der eher konservativen Wählerschaft hätte ein Zusammengehen mit der Linken sicher nicht gut gefallen, so die Überlegung.