11.04.2025 - Politik
Polen im neuen Koalitionsvertrag
Nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar dieses Jahres haben sich die Vertreterinnen und Vertreter von CDU, CSU und SPD am 9. April auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt, der unter dem Titel Verantwortung für Deutschland den Rahmen für die Politik der künftigen Bundesregierung skizziert. Das insgesamt 144 Seiten starke Dokument besteht aus einer Präambel sowie folgenden sechs Hauptkapiteln:
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Neues Wirtschaftswachstum, gute Arbeit, gemeinsame Kraftanstrengung
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Wirkungsvolle Entlastungen, stabile Finanzen, leistungsfähiger Staat
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Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration
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Starker Zusammenhalt, standfeste Demokratie
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Verantwortungsvolle Außenpolitik, geeintes Europa, sicheres Deutschland
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Vertrauensvolle Zusammenarbeit, erfolgreiches Regieren
Auch wenn sich der Koalitionsvertrag selbstredend vor allem mit Herausforderungen und Chancen auseinandersetzt, denen sich Deutschland gegenübersieht, so gibt es auch etliche Passagen, die Polen mittelbar oder unmittelbar betreffen. Um letztere soll es im vorliegenden Beitrag gehen.
Polen explizit
Die erste namentliche Erwähnung Polens im Vertrag der christ- bzw. sozialdemokratischen Koalitionspartner findet sich unter dem Punkt 1.3 Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen. Dort heißt es wörtlich:
„Zentrale Teile der Verkehrsinfrastruktur nach Polen und der Tschechischen Republik werden zügig ausgebaut. Dafür stellen wir schnellstmöglich Planungsrecht und Finanzierung sicher. Europa-Züge mit Fernverkehrsstandard zur besseren Anbindung aller unserer europäischen Nachbarländer werden eingesetzt.“ (S. 26)
Die zweite explizite Erwähnung Polens findet sich unter Punkt 5.2 Europa, der den deutsch-polnischen Beziehungen eine ähnlich große Bedeutung beimisst wie dem deutsch-französischen Verhältnis. So liest man an dieser Stelle des Koalitionsvertrags:
„Die deutsch-französische Freundschaft bleibt von überragender Bedeutung für ganz Europa. Wir werden sie auf Grundlage des wegweisenden Élysée-Vertrags und dessen Weiterentwicklung durch den Vertrag von Aachen vertiefen. Ebenso wollen wir die Freundschaft zu unserem östlichen Nachbarland Polen weiter ausbauen. Im Weimarer Dreieck werden wir die enge Abstimmung zu allen relevanten Fragen der Europapolitik suchen, um im Dienst der ganzen EU geeinter zu handeln. Im Format ‘Weimar plus’ sollten auch weitere enge Partner einbezogen werden. Gemeinsam mit den östlichen Ländern werden wir die Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarstaaten auf allen gesellschaftlichen Ebenen wie Wissenschaft, Kultur oder Sport fördern.“ (135)
Diese Passage lässt sich durchaus als Fingerzeig in Richtung einer Neuauflage bzw. Ergänzung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags von 1991 deuten, die Friedrich Merz zu Beginn dieses Jahres ins Spiel gebracht hatte.
Schließlich wird Polen auch im Kontext der bilateralen Kooperation der Geschichts- und Erinnerungspolitik explizit erwähnt: „Die Zukunftsfonds mit Tschechien, Griechenland und Italien sowie die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit wollen wir stärken. Wir setzen uns für die rasche Einrichtung eines Gedenkorts für die Opfer der deutschen Aggression und Besatzung in Polen (1939-1945) auf dem Platz der ehemaligen Kroll-Oper sowie die Errichtung des Deutsch-Polnischen Hauses als Ort des Gedenkens und Begegnens im Zentrum Berlins ein.“ (139)
Diese Passage hält die Bedeutung der bilateralen Zusammenarbeit wie auch die Initiative des Polen-Denkmals und das Projekt des Deutsch-Polnischen Hauses in Berlin im Koalitionsvertrag fest. Gleichwohl wird viel Engagement vonnöten sein, um diese Initiativen in der laufenden Legislaturperiode zur Umsetzung zu bringen.
Polen implizit
Andere Passagen des Koalitionsvertrags berühren Bereiche, die Polen mittelbar betreffen, etwa multilaterale Formate wie das Weimarer Dreieck. Hier erklären die Koalitionspartner unter Punkt 2.4. Bildung, Forschung und Innovation:
„Wir wollen das Weimarer Dreieck um eine Wissenschaftsplattform erweitern und die Wissenschaftsbeziehungen in der EU, insbesondere mit Mittel- und Osteuropa, ausbauen.“ (S. 80)
An anderer Stelle befasst sich der Koalitionsvertrag mit den deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa, also auch mit den 150.000–300.000 Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen. In dem betreffenden Abschnitt unter Punkt 3.1 Innen heißt es:
„Das kulturelle und geschichtliche Erbe der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler sowie der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa sowie den Folgestaaten der Sowjetunion ist Teil der gesamtdeutschen Geschichte. Wir werden die Förderung der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa und den nichteuropäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion fortführen und den Dialog mit den Herkunftsstaaten vertrauensvoll ausbauen.“ (S. 85-86)
Wie zu erwarten berührt der Koalitionsvertrag auch das Thema Migration. Hier ist in Bezug auf Polen vor allem unter 3.3 Migration und Integration der Unterpunkt Begrenzung der Migration: Zurückweisung an den Staatsgrenzen von Bedeutung. Hier vereinbaren die Koalitionspartner:
„Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren. Die Grenzkontrollen zu allen deutschen Grenzen sind fortzusetzen bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz und der Erfüllung der bestehenden Dublin- und GEAS-Regelungen durch die Europäische Gemeinschaft. Deshalb werden wir die europäische Grenzschutzagentur Frontex beim Grenzschutz und bei Rückführungen stärken.“ (S. 93)
Zentral scheint hierbei die Formulierung „in Abstimmung“ zu sein, die zwar auf Konsultation zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten in dieser Frage setzt, aber eben nicht „in Übereinstimmung“ bedeutet. Man darf gespannt sein, was dies insbesondere für die deutsch-polnische Grenze bedeutet. Bereits heute sind die seitens Deutschland praktizierten Grenzkontrollen wie auch die Zurückweisungen in Polen ein hitzig diskutiertes Thema, zumal im laufenden Präsidentschaftswahlkampf. Hier kann die neue Bundesregierung fürs Erste kaum mit einem Entgegenkommen von polnischer Seite rechnen.
Gerade in Anbetracht der aktuellen europäischen bzw. globalen sicherheitspolitischen Lage durch die russische Bedrohung der europäischen Sicherheitsordnung und der Infragestellung der Bündnistreue durch die USA gewinnt Punkt 5.1 Außen- und Verteidigungspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte, der sich der Deutschlands Verteidigungspolitik und seiner Rolle innerhalb der NATO widmet für Polen an Relevanz. Dort heißt es:
„Die Ausgaben für unsere Verteidigung müssen bis zum Ende der Legislaturperiode deutlich und stringent steigen. Die Höhe unserer Verteidigungsausgaben richtet sich nach den in der NATO gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen. Der Zyklus einer Legislaturperiode ist für die Umsetzung weitreichender Beschaffungs- und Rüstungsprojekte regelmäßig zu kurz. Wir streben deswegen die Einführung eines mehrjährigen Investitionsplans für die Verteidigungsfähigkeit an, der im Einklang mit dem Deutschen Bundestag langfristige finanzielle Planungssicherheit gewährleistet, um damit den Bedarfen der Bundeswehr und den Verpflichtungen gegenüber der NATO sowie ihren Fähigkeitsanforderungen gerecht zu werden. Wir werden noch im ersten halben Jahr der Regierungsarbeit ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr beschließen.“ (S. 130)
Fazit
Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung Polen in ebenso vielen Abschnitten explizit erwähnt wie Deutschlands wichtigsten europäischen Partner Frankreich, nämlich 3 Mal. Häufiger erwähnt werden lediglich das Vereinigte Königreich (4), China und die USA (je 5), Russland (7) sowie die Ukraine (8). Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD bietet somit eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen.
Die CSU hat den Koalitionsvertrag bereits abgesegnet. Gemäß der Satzung der CDU soll ein Kleiner Parteitag voraussichtlich am 28. April über die angestrebte Koalition entscheiden. Die SPD hingegen startet am kommenden Dienstag eine Mitgliederbefragung unter ihren rund 358.000 Parteimitgliedern. Diese Abstimmung läuft über einen Zeitraum von zwei Wochen und endet am 29. April.
Der von einigen langersehnte Neuanfang ist der Koalitionsvertrag mit Sicherheit nicht. Doch wenn die gesteckten Ziele tatsächlich erreicht würden, wäre für die deutsch-polnischen Beziehungen viel gewonnen.