19.09.2023 - Gesellschaft , Politik

Frauen vor der Wahl

Wahlurne Head

Die knappen Unterschiede in den Umfragewerten zwischen der regierenden PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) und der Opposition vor den polnischen Parlamentswahlen am 15. Oktober veranlasst die beiden Lager zum Kampf um jede Stimme. Eine zahlreiche Gruppe der Wählerschaft bilden die Frauen – die Wahlbeteiligung der Polinnen war bei den letzten Präsidentschaftswahlen beinah um 7 Prozentpunkte höher als die der Männer. Die Fähigkeit ihre Kräfte zu mobilisieren, hat sich bei den seit 2016 immer wieder organisierten Protesten deutlich gezeigt. Auch deswegen kämpft jede Seite des politischen Spektrums in Polen um das weibliche Elektorat, in dem sie aufzeigen, was für Frauen ihrerseits getan wurde bzw. wird. Die Maßnahmen und Versprechen sind unterschiedlich und wirken sich dementsprechend unterschiedlich auf die Wahlstimmung der Frauen aus.

Wie entscheiden sich die Polinnen?

Abbildung 1: Wie wollen die Polinnen wählen?

Quelle: Sondaż Ipsos (CATI) dla OKO.press i TOK FOM 19-22.06.2023: https://oko.press/polki-sa-zupelnie-inne-niz-polacy Stand: 18.07.2023

 

Abbildung 2: Die Stimmen der Polinnen zwischen 18 und 39 Jahren.

 

Quelle: Sondaż Ipsos (CATI) dla OKO.press i TOK FOM 19-22.06.2023: https://oko.press/polki-sa-zupelnie-inne-niz-polacy Stand: 18.07.2023

 

(Abbildung 1) Rund 37 % aller befragten Frauen würden bei der bevorstehenden Wahl die Koalicja Obywatelska (KO, Bürgerkoalition) bevorzugen. An zweiter Stelle, mit 29 % der Stimmen, steht für die Polinnen die aktuell regierende PiS-Partei. Für die Koalition von Polskie Stronnictwo Ludowe (PSL, Polnische Volkspartei) und Polska 2050 (Polen 2050) sowie die Konfederacja (Konföderation) würden sich hingegen jeweils 7 % aller Befragten entschieden. Die Untersützung für Lewica (Linke) liegt bei 10 % und Agrounia (dessen Spitzenkandiat Michał Kołodziejczak nun auf den Listen der KO kandidiert, wie kürzlich verkündet) liegt weit außerhalb des Interesses der Polinnen mit nur 1 % der Stimmen.

Ein wenig anders gestaltet sich die Situation, wenn man die altersbedingten Unterschiede in die Analyse miteinbezieht und auf die jüngeren Wähler zwischen 18 und 39 Jahren blickt (Abbildung 2). Während die Unterstützung für die KO bei stabilen 38 % liegt, würden nur 7 % der Befragten im Alter zwischen 18 und 39 Jahren für die PiS stimmen. Einen Anstieg der Stimmen um rund 11 Prozentpunkte könnte die Konfederacja und um 7 Prozentpunkte die Lewica verzeichnen. Für die Koalition PSL/Polska 2050 würden sich 2 % weniger Frauen entschieden und Agrounia bliebe bei einprozentiger Unterstüzung. In dieser Altersgruppe lässt sich aber ein eindeutiger Anstieg der Zahl der Unentschiedenen beobachten – rund 13 % der Polinen zwischen 18 und 39 wüssten nicht, für wen sie stimmen würden.

 

Die Parteien und Frauen

PiS-Chef Jarosław Kaczyński betonte kürzlich in einem Interview, wie viel in der Amtszeit seiner Regierung für die Frauen getan wurde: die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen seien geringer geworden, es gebe einen besseren Schutz für die Opfer von häuslicher Gewalt, und Frauen, die bereits Mütter sind oder es werden wollen, würden besser unterstützt. Die Meinung des Parteichefs und seines Lagers ist eindeutig: Die Lage der Frauen ist besser geworden. Einer anderen Auffassung sind jedoch die Frauen selbst. Die Stimmen eines Teils des weiblichen Elektorats verlor die PiS aufgrund der Verschärfung des Abtreibungsrechts im Jahr 2020. Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, wonach ein Schwangerschaftsabbruch im Fall einer unheilbaren Krankheit des Fötus verboten wurde, mobilisierte die Polinnen zu massenhaften Protesten – bekannt als Czarny Protest (Schwarzer Protest). Die Prüfung des Gesetzes auf Verfassungsmäßigkeit geschah auf Initiative der PiS und mit Unterstützung der wertkonservativen und rechtsextremen Konfederacja. Auch die Äußerungen von PiS-Chef Kaczyński über den Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum junger Frauen und dem Phänomen der Kinderlosigkeit erzeugten ein breites Echo und Fassungslosigkeit in der öffentlichen Debatte. So würden sich die jungen Wählerinnen zwischen 18 und 39 Jahren nicht für diese Partei entscheiden. In diesem Fall hilft auch nicht die Erhöhung des Beitrags des Kindergelds von 500 auf 800 Zloty pro Monat, insbesondere da die Erhöhung gerade einmal die Inflation ausgleicht. Nun steht bei den Frauen an erster Stelle ihre Gesundheit, die sie durch das Urteil von 2020 gefährdet sehen. Es häufen sich Fälle, bei denen der Abbruch der Schwangerschaft so lange hinausgezögert wurde, dass es für die Schwangere tödliche Folgen hatte. Die Opposition sieht die Ursache hierfür hauptsächlich in der Angst der zögernden Ärzte und Ärztinnen, die für vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft rechtlich belangt werden könnten. Die Regierung weist als Gegenargument auf die Notwendigkeit, jeden dieser Fälle individuell untersuchen zu müssen.

Nicht alle Parteien versuchen jedoch die Polinnen mit liberalen Lösungen zu überzeugen: die bereits erwähnte Konfederacja bleibt in ihrer Rhetorik noch konservativer als PiS. In den Führungskreisen und auf den Wahllisten der Partei finden sich nur wenige Frauen – bis auf eine Ausnahme in Person Anna Bryłkas kandidiert keine andere Frau von einem ersten Listenplatz. Die Äußerungen der Parteimitglieder über die weibliche Psyche, die Legitimität des Wahlrechts für Frauen oder die Aussagen zu noch restriktiveren Verschärfungen des Abtreibungsgesetzes können als frauenfeindlich und abwertend bezeichnet werden. Deswegen können die Ergebnisse der letzten Umfrage verwundern: Immerhin 18 % der jungen Polinnen der Altersgruppe 18 bis 39 würden der Partei ihre Stimme geben. Bis vor Kurzem noch galt das Elektorat der Konfederacja zwar als „jung“, aber hauptsächlich „männlich“. Woher kommt also diese Wandlung? Die Gruppierung hat es geschafft, in der öffentlichen Debatte durchaus präsent zu werden und das Gefühl zu vermitteln, neu und gegen alle etablierten Parteien zu sein. So bietet sie manchen Wählerinnen eine Alternative zu dem eingefahrenen Duopol von PiS und PO. Mit zugänglichen Slogans und einem modernen Auftritt wirkt die Partei ansprechend für diejenigen, die einerseits gegen das bestehende System sind, andererseits für die, die die traditionalistischen Werte vertreten.

Durch die konservative Rhetorik des rechten Flügels ist die Thematik rund um die Frauenrechte zu einem wichtigen Gegenstand der politischen Machtspiele geworden und dies ist auch den anderen Akteuren durchaus bewusst.

Doch auch die Opposition weiß um die weibliche Wählerschaft zu kämpfen. Bereits im Mai verkündeten KO-Vertreterinnen die frauenbezogene Postulate ihrer Partei. Die wichtigsten Punkte lassen sich folgend zusammenfassen: Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes (Donald Tusk, der KO-Chef, betonte sogar, dass für Gegner dieser Idee kein Platz auf seinen Wahllisten gebe), Aufklärungsarbeit, vereinfachter Zugang zu Verhütungsmitteln und die Bekämpfung häuslicher Gewalt. Dabei hat die KO nicht vergessen, was viele immer noch anspricht – die Sozialleistungen. Eine neue Idee der Partei wurde babciowe genannt (dt. Oma-Programm) – unter dem kryptischen Namenversteckt sich eine monatliche Hilfe in Höhe von 1500 Złoty für alle Mütter, die in das Berufsleben zurückkehren und ihre Kinder in die Kita (der Zugang im ländlichen Raum soll vereinfacht werden) schicken oder in der Obhut der Oma lassen möchten. Darüber hinaus versprach die Partei in dem kürzlich beim Parteitag in Tarnów vorgestellten Programm „100 konkretów na 100 dni“ (100 Punkte für 100 Tage) eine bessere Vorsorge rund um die Schwangerschaft und die Gesundheit der Frauen sowie eine Steuerermäßigung in der breit verstandenen Beauty-Branche, inder vorwiegend Frauen tätig sind. Außerdem achtete die Koalition auf eine gerechte Aufteilung (48% der Frauen und 52% der Männer) der Listenplätze. Das bedeutet, dass in 17 Wahlkreisen der erste Listenplatz mit einer weiblichen Kandidatin besetzt ist.

Eine paritätische Vertretung der Frauen und der Männer sichert ebenfalls die Lewica. Diese hat bereits im Juni auf einer Konferenz in Warschau ihr Programm „Bezpieczna Polka“ (dt. sichere Polin) vorgestellt. Zu den Forderungen gehören: Kostenloser Zugang zu In-vitro-Befruchtung; Legalisierung der Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche; Kostenerstattung für Verhüttungsmittel; Frauenquote in der polnischen Regierung; Ausgleich des Gender Pay Gaps und zwei zusätzliche arbeitsfreie Tage im Monat aufgrund der Menstruation. Hinzu kommen die Wiedereinführung des Unterhaltsfonds, damit Frauen sich im Fall der Zahlungsweigerung des Vaters auf diese Mittel verlassen können und die Abschaffung der Gehaltskürzung im Fall von Krankheit (der eigenen oder aber auch des Kindes). Wieso gilt Lewica also erst als die dritte Kraft unter den Frauen? Es fehlt an dem Glauben an einen möglichen Wahlerfolg. So entscheidet man sich häufiger für den „sicheren Weg“, der zwar vielleicht einige Kompromisse abverlangt, jedoch eine höhere Erfolgsquote gegen die regierende Partei verspricht.

Unabhängig des Alters befindet sich die Koalition der PSL und Polska 2050, sowie Agrounia innerhalb des weiblichen Elektorats unter der 5% (für Parteien) bzw. 8%-Hürde (für Wahlbündnisse) und würden somit, den Frauen nach, den Einzug ins Parlament verfehlen.

 

Fazit

Es lässt sich kein eindeutiges Verhaltensmuster bei den polnischen Wählerinnen festhalten. Die Tendenzen sind zwar auf den ersten Blick oppositionell, die bedeutendste Phase des Wahlkampfs steht aber noch bevor. Außerdem müssten die jungen Wählerinnen erst einmal mobilisiert werden, an den Wahlen tatsächlich teilzunehmen – schließlich liegt ein tiefer Graben zwischen einer theoretischen und faktischen Stimmabgabe. Wird die PiS noch von sich überzeugen können oder schafft die Opposition die Polinnen für sich zu gewinnen? Entscheidend wird hierfür die Stimmung der letzten Wochen sein