21.11.2024 - Politik

Ein Kandidat von Kaczynskis Gnaden: Alles scheint möglich, solange es dem Vorsitzenden gefällt

640px Ulica Nowogrodzka 84 w Warszawie

Das Bild zeigt den Hauptsitz der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Warschau.
Autorstwa Adrian Grycuk - Praca własna, CC BY-SA 3.0 pl, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41515423

Im Mai 2025 wählen die Polinnen und Polen einen neuen Präsidenten  oder, wenngleich weit weniger wahrscheinlich, eine Präsidentin. Doch noch ist unklar, welche Namen es letztlich auf den Wahlzettel schaffen. Dies dürfte sich bald ändern. Bereits am kommenden Freitag stimmen die Mitglieder der regierenden Bürgerkoalition (KO) von Premierminister Donald Tusk in einer Vorwahl über ihren Präsidentschaftskandidaten ab. Damit wird im Laufe des Wochenendes klar sein, ob die KO den Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski oder den amtierenden Außenminister Radosław Sikorski ins Rennen um das höchste Staatsamt schickt. Bei der größten Oppositionsfraktion, der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) um den Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, deutet sich hingegen eine Hängepartie bei der Kandidatenfindung an.

Lange Zeit gingen Expert:innen und Beobachter:innen davon aus, dass Kaczyński, als starker Mann der PiS, den polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November wählen würde, um den Kandidaten bekanntzugeben, der im Wettkampf um die Nachfolge von Staatspräsident Andrzej Duda antreten wird. Doch je näher das Datum rückte, desto größer wurden die Zweifel, ob der PiS-Parteichef sich tatsächlich bereits auf einen Kandidaten festgelegt hat. Am 10. November erklärte er schließlich im Rahmen einer Kundgebung, dass sich der Auswahlprozess noch einige Zeit hinziehen werde. Im Laufe dieser Woche mehrten sich dann die Stimmen, die eine Bekanntgabe des Kandidaten für die Präsidentschaftswahl noch am kommenden Wochenende für möglich halten.

Diesen Termin hatte unter anderem der PiS-Abgeordnete und Kaczyński-Vertraute Ryszard Terlecki genannt. In gleicher Weise äußerte sich der ebenfalls zum engeren Kandidatenkreis zählende Tobiasz Bocheński, der für die PiS im Europaparlament sitzt, zuletzt in einem Radiointerview. Dem Europaabgeordneten zufolge sei die Parteiführung der PiS derzeit noch mit der Analyse interner Untersuchungsergebnisse befasst, die Aufschluss darüber geben sollen, welcher Kandidat die größten Chancen auf einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen haben wird. Bocheński selbst werden derzeit allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt. Laut einer veröffentlichten Umfrage von Pollster für das Boulevardblatt Super Express unterstützen gerade einmal 3 Prozent eine Kandidatur des Europaabgeordneten.

Am vergangenen Mittwochabend stellte der Fraktionsvorsitzende der PiS, Mariusz Błaszczak, allerdings klar, dass die Entscheidung ein weiteres Mal verschoben wird. Als neuen Termin für die Bekanntgabe nannte er einen Zeitraum von Ende November bis Anfang Dezember.

Klar schien bislang lediglich, dass die Wahl des PiS-Kandidaten für das Präsidentenamt in einem Zweikampf zwischen dem Direktor des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), dem Historiker Karol Nawrocki, und dem ehemaligen Bildungsminister Przemysław Czarnek entschieden werden dürfte. Pikanterweise sind die beiden Kontrahenten am Mittwoch, den 20. November, auf dem Pommerschen Kongress für Nationales Gedenken im Rahmen einer Paneldiskussion zum Thema “Errungenschaften und Perspektiven der modernen Geschichtserziehung” aufeinandergetroffen. Doch wer sich von der Veranstaltung eine inoffizielle Debatte zweier Präsidentschaftskandidaten erhofft hatte, wurde enttäuscht. Sowohl Nawrocki als auch – in noch stärkerem Maße – Czarnek konzentrierten sich vornehmlich darauf, die Bildungspolitik der aktuellen Regierung aufs Korn zu nehmen.

In der Politik ist Nawrocki bislang wenigin Erscheinung getreten und kann kaum auf Erfahrung zurückblicken. Politisch war er lediglich einige Jahre in der Kommunalpolitik aktiv. Allerdings gilt er als glaubwürdiger Vertreter der PiS-Geschichtspolitik. Zudem soll ihm seine Vergangenheit als Schwergewichtsboxer durchaus Pluspunkte unter den Anhängern der PiS einbringen. Die verfügbaren Zahlen sprechen allerdings eine andere Sprache. In der oben erwähnten Umfrage für Super Express hielten 6 Prozent der PiS-Wählerschaft Nawrocki für den geeignetsten Kandidaten. Beobachter:innen führen die niedrigen Zustimmungswerte auf die geringe landesweite Bekanntheit der Kandidaten zurück.

Anders sieht dies beim früheren Bildungsminister Czarnek aus, der in der zitierten Umfrage auf 19 Prozent Unterstützung kommt. Der ehemalige Minister ist bekannt für seine grobschlächtige Art, seine ablehnende Haltung gegenüber LGBT-Rechten und sein konservatives Familienbild. Während seiner Amtszeit sorgte er wiederholt für Aufsehen, etwa als er das Schlagen von Kindern als verfassungskonform bezeichnete oder als er der deutschen Minderheit in Polen den muttersprachlichen Unterricht kürzte. Auch wird ihm vorgeworfen, während seiner Amtszeit im Rahmen der 2023 aufgedeckten sogenannten “Willa Plus”-Affäre öffentliche Mittel in Millionenhöhe an PiS-nahe Organisationen verteilt zu haben. Czarnek gilt in seiner Partei als konservativer Hardliner, was seiner Beliebtheit bei der PiS-Anhängerschaft keinen Abbruch tut. Ihnen gilt der oft rüpelhafte Trump-Sympathisant als charismatisches Medientalent. Allerdings dürfte es einem PiS-Kandidaten Czarnek in der Stichwahl äußerst schwerfallen, Stimmen aus dem gemäßigt konservativen Lager zu gewinnen.

Vor Czarnek liegt in der bereits zitierten Umfrage lediglich der frühere Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, den 34 Prozent der PiS-Anhänger:innen gerne als Präsidentschaftskandidaten sehen würden, was aber als ausgeschlossen gilt. Ähnlich wie bei dem ehemaligen Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak und der früheren Premierministerin Beata Szydło ist deren Popularität im Lager der PiS für Partei-Chef Kaczyński nicht zwangsläufig ein Kriterium, das einer Nominierung förderlich ist. Neben einem Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen ist der Vorsitzende stets darauf bedacht, keine Konkurrenz zum eigenen Führungsanspruch in der Partei entstehen zu lassen.

Lange Zeit deutete vieles darauf hin, dass auch die PiS binnen weniger Tage ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen küren wird. Kaczyński wollte sicherlich das Ergebnis der KO-Vorwahlen am Freitag abwarten, das offiziellen Verlautbarungen zufolge am Samstag vorliegen und verkündet werden soll. Dann wird sich entscheiden, welchem PiS-Kandidaten die besten Chancen in einer wahrscheinlichen Stichwahl gegen einen KO-Kandidaten Radosław Sikorski bzw. Rafał Trzaskowski eingeräumt werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage, wem es in der Stichwahl um das Präsidentenamt am ehesten gelingen kann, die Anhänger der rechtsextremen Konfederacja von sich zu überzeugen. Gleichzeitig will der PiS-Chef keine Wiederholung des Szenarios von vor zehn Jahren, als mit dem Wahlsieg von Andrzej Duda nicht nur ein echter Coup bei den Präsidentschaftswahlen gelang, sondern ihm auch gewichtige Konkurrenz im Lager der politischen Rechten in Polen erwuchs.

Weshalb nun also die erneute Verzögerung? Gibt es doch noch einmal neue Überlegungen hinsichtlich der Kandidatenauswahl? Das konservative Nachrichtenmagazin Do Rzeczy berichtet, Einsicht in die internen Umfragen der PiS erhalten zu haben, die an über 2.000 Personen durchgeführt wurden. Hier schnitt der PiS-Europaabgeordnete Patryk Jaki am besten ab, gefolgt von Morawiecki. Abgeschlagen dahinter befinden sich die bislang am höchsten gehandelten Kandidaten Czarnek, Nawrocki und Bocheński. Gut möglich also, dass sich die Parteiführung um ihren Vorsitzenden Kaczyński auf der Zielgeraden doch noch einmal umentscheidet und einen anderen Kandidaten ins Rennen schickt.