28.10.2024 - Geschichte, Gesellschaft , Kultur, Erinnerungskultur

Ein Baum, der Neugier und Erinnerung weckt

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Geht man in Würzburg durch den Ringpark, unweit der Friedensbrücke, die die Stadtteile westlich und östlich des Mains verbindet, kommt man an einer Stele vorbei, die neugierig macht. Sie gibt Auskunft über den danebenwachsenden Baum – er ist noch jung. Jung wie die Frau, an die er erinnert: Adela Duda.

 20240726 160135 1Wer war diese Frau? Und warum steht hier ein Baum für sie?

„In Andenken an Adela Duda“ ist auf der Stele der Stadt Würzburg zu lesen. Darüber hinaus ihre Lebensdaten: geboren am 22. Oktober 1925 war Adela auf den Tag genau 19 Jahre alt, als sie im Jahr 1944 zu Tode kam.

Der Baum steht unweit des Anatomischen Instituts, wo heute Medizinstudierende ein- und ausgehen. Auch im Jahr 1944 war das der Fall: im Anatomischen Institut wurden Leichname für Lehr- und Forschungszwecke aufbewahrt. So auch der von Adela Duda.

Der 2023 gepflanzte Gedenkbaum wurde von Alexander Kraus initiiert (Fotos zur Gedenkveranstaltung: https://stolpersteine-wuerzburg.de/gedenkveranstaltung-im-ringpark/). Kraus sagt im Gespräch, dass nicht nur ihm die Nähe zum Anatomischen Institut wichtig war, sondern auch anderen Mitgliedern des Arbeitskreises Stolpersteine Würzburg. Zu ihm war Kraus einige Jahre zuvor gestoßen: 2019 hatte Gunter Demnig in der Friesstraße Würzburg einen Stolperstein für Adela (hier „Adele“) und 20 weitere namentlich bekannte Menschen verlegt. Sie waren im Gestapo-Notgefängnis Friesstraße inhaftiert gewesen und kamen später durch die Umstände der Unrechtsbehandlung der Nationalsozialist:innen um bzw. - wie Demnig betont - wurden „ermordet“.

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              Hintergrund:

Bei Stolperstein-Verlegungen wie diesen kommen seit 1992 – seitdem Demnig diese Form des Gedenkens künstlerisch umsetzte – unterschiedliche Menschen zusammen: Verwandte der Verstorbenen, die ausfindig gemacht werden konnten und eingeladen werden, Nachbarn am ehemaligen Wohnort derer, für die ein Stolperstein verlegt wird, Vertreter:innen der Kommune und weitere Interessierte.

So trafen die Mitglieder des AK Stolpersteine Würzburg auf Alexander Kraus, den historisch interessierten Philosophen, der sich mit der Geschichte seiner Heimatstadt Würzburg befasst. Er blickt dabei auch auf die unschönen, auch die grausamen Geschichten. Zusammen mit Beata Surdyka, einer ebenfalls hier wohnhaften gebürtigen Polin, fand er nach der Verlegung der Stolpersteine im Staatsarchiv Dokumente: Briefe der jungen Adela in ihre Heimat: an die Verwandten in Dominikowice, Südpolen.

Adela schreibt unter anderem:

                                                      "...da sie dachten, dass ihr mich vielleicht durch eure Briefe beeinflusst, .... haben sie den Briefträger rumgekriegt, so dass er ihnen alle meine Briefe und Postkarten gibt, und sie geben die weiter einer Dame, die Polnisch lesen und sprechen kann, die irgendwo in einem Büro arbeitet, und sie liest alle eure Briefe und erst dann geben sie sie mir..." (Übersetzung Beata Surdyka, https://stolpersteine-wuerzburg.de/opfer/?q=707 , 30.08.2024)

Hintergrund:

Wie schwierig es für „Zivilarbeiter“ - so die Bezeichnung während der Zeit der NS-Herrschaft für die heute so genannten zivilen Zwangsarbeiter – war, Briefe zu versenden oder zu empfangen, dazu liefert Katarzyna Woniak in ihrer Studie „Zwangswelten“ Informationen und zahlreiche Beispiele. Die Zensur musste für Empfangende und Schreibende immer mitgedacht werden. „Ein Verbot des Briefverkehrs hielt man dennoch für falsch, da man vermutete, dass dies zu Verstimmungen und zur Senkung der Arbeitsleistung führen könnte. (Woniak, Katarzyna (2020): Zwangswelten. Emotions- und Alltagsgeschichte polnischer ‚Zivilarbeiter‘ in Berlin 1939 – 1945, S.172.).

Wie war Duda nach Würzburg gekommen?

Der QR-Code auf der Stele am Gedenkbaum verweist auf eine Website des AK Stolpersteine Würzburg, darin ein Abriss ihrer Biographie (auf Polnisch, Deutsch und Englisch), dazugehörige Quellen sowie weiteres Audio-, Video- und Bildmaterial (https://stolpersteine-wuerzburg.de/opfer/?q=707).

Am 16. Februar 1943 fuhr ein Zug mit 1000 Menschen, die im Deutschen Reich arbeiten sollten, aus Krakau (Polen) gen Westen: Es erwartete sie Zwangsarbeit. Aus Dudas Akte in den Arolsen Archives geht hervor, dass Adela Wiktoria Duda „1943 aus Gorlice zur ZA [Zivilarbeit] nach Dtschl. [Deutschland] deport.[iert]“ wurde. Sie hat sich also nicht freiwillig zum Arbeiten im Reich gemeldet.

Hintergrund:

Der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen „mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus“ unterhält eine offen zugängliche Online-Datenbank und steht darüber hinaus für Anfragen zu Nachforschungen zur Verfügung (https://arolsen-archives.org/ueber-uns/kurzportraet/ 16.10.2024).

Zwangsarbeit ist der Begriff, der sich nach Ende des Krieges 1945 im Sprachgebrauch der Alliierten und später der Forschung für die ausbeuterische Arbeit von Menschen aus anderen Ländern in Deutschland durchsetzte. Die Arbeitenden, die die an den Fronten kämpfenden deutschen Arbeiter ersetzen sollten, standen unter strengster Beobachtung. Kontakt zu Deutschen über das Notwendigste hinaus, wurde streng bestraft. Es gab keine oder in keiner Weise adäquate Entlohnung, die Verpflegung war meist unzureichend, die Unterbringung strikt von den Arbeitgebenden getrennt. Handzettel wie diese erklärten klar, welche Verhaltensregeln es im Umgang mit Menschen aus besetzten Kriegsgebieten gab:

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 Vorderseite einer Kopie des „Merkblatts“ aus der Ausstellung "Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit Südniedersachsen 1939-1945" in Göttingen, siehe auch https://schicksale-1939-1945.eu/goettingen-2/ (Foto: J. M. Rösch)

Die ortsansässige Zeitung schreibt rund 60 Jahre später, dass ohne den Einsatz der „Tausenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Würzburg … das Leben in der Stadt vor 1945 zusammengebrochen wäre.  (Mainpost, Roland Flade, 29.06.2022; Abruf: 19.07.2024)

Als Kraus während der Recherche eine Postkarte aus Würzburg von Adela an ihre Schwester Janina von einem Ansichtskartenhändler in Freiburg vermittelt bekommt, lässt ihn ihre Geschichte nicht mehr los. „Ich bin fast vom Stuhl gefallen“, meint er zu dieser Verquickung von Zufällen. Adelas Schwester war es auch, die sich 1991 an den Internationalen Suchdienst in Arolsen wendet. Ihre Familie hofft, verlässliche Daten zu Arbeitseinsatz und die Umstände des Todes ihrer Schwester in dessen Archiven zu finden.

Ihre Anfrage bringt dann die Gewissheit: Adela Duda war mit 17 Jahren nach Würzburg gekommen, hat dort unter anderem in einem privaten Haushalt gearbeitet, erkrankte an Tuberkulose und verbrachte ihre letzten Wochen im Notgefängnis Friesstraße, wo auch ihr Totenschein ausgestellt wurde.

Hintergrund:

Wie wir aus der Forschung wissen, vermerkten die im nationalsozialistischen System tätigen Ärztinnen und Ärzte häufig Krankheiten wie Tuberkulose als Todesursache im Totenschein. Man darf dabei aber nicht davon ausgehen, dass das immer die tatsächliche oder ursprüngliche Todesursache war. In Konzentrationslagern waren neben Verhungern, Erfrieren, Infektionen von nicht ausgeheilten Wunden auch andere Formen von Gewalteinwirkung sowie Folter die tatsächlichen bzw. die grundlegenden Todesursachen.

Wie wir heute wissen, wurde der Leichnam am 22.10.44 in das Anatomische Institut der Universität Würzburg eingeliefert. Er wurde nach Kriegsende beschlagnahmt und für ein Verfahren gegen den Leiter des Notgefängnisses Friesstraße verwahrt. „Nach der Freigabe des Leichnams werden die sterblichen Überreste von Adela Duda am 13. März 1947 im Hauptfriedhof in Würzburg im Grab Nr. 2.4.11.9 beigesetzt“, so die Recherchen des Arbeitskreises Stolpersteine (https://stolpersteine-wuerzburg.de/opfer/?q=707, 9.10.2024)

Wie wird die Erinnerung wachgehalten?

Neben Mahnmalen, Gedenksteinen und –bäumen ist auch die Bildungsarbeit ein wichtiger Träger, um Erinnerung wachzuhalten.

Wie wird Bildungsarbeit gestaltet – wie wird in der Schule, im außerschulischen Bildungskontext, in den Gemeinden und Städten mit einem Schicksal wie dem von Adela Duda umgegangen?

Ich frage nach. Benita Stolz, Koordinatorin des Arbeitskreises Stolpersteine Würzburg, nennt zahlreiche Beispiele, denn von Anfang an war die Bildungsarbeit ein wichtiger Baustein: Die Jugendbildungsstätte Unterfranken gab eine Broschüre für Jugendliche/Schüler:innen heraus, u. a. mit Routen der in Würzburg verlegten Stolpersteine. Die Mitglieder des AKs machen dazu passende Führungen für Schulklassen und stellen ihre Arbeit dabei vor oder stehen bei P-Seminaren der Gymnasien zur Verfügung. Manche Schule führt inzwischen regelmäßig eine Gedenkveranstaltung durch. Die Kontakte haben zu einem dichten Netzwerk mit erinnerungskulturellen Initiativen geführt und zu Kooperationen über das Netzwerk hinaus.

Im Zusammenhang mit der Verlegung von Stolpersteinen – in der Regel zweimal im Jahr – wird einige Tage zuvor das Umfeld informiert: In der Nachbarschaft des Verlegeorts, meist dem letzten Wohnort des Menschen, an den erinnert wird, werden Einladungen zur Gedenkveranstaltung mit Biografien der Menschen, für die der Stein verlegt wird, verteilt. Jeder Stein bekommt eine Patenschaft vermittelt, die Paten putzen in der Regel die Messingplatten der Steine, damit die Schriftprägung stets lesbar bleibt. Außerdem organisiert der AK öffentliche Ausstellungen, publiziert dazu unter Mithilfe von Fachleuten Handreichungen, auch in einfacher Sprache. Auch mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg besteht eine Kooperation, u. a. im Bereich der Lehrkräfte-Ausbildung, z. B. bei der Begleitung von Abschlussarbeiten im Rahmen eines Didaktikseminars. Daneben halten die Mitglieder des Arbeitskreises Stolpersteine immer wieder Vorträge in der Volkshochschule.

Wie in Würzburg engagieren sich auch an anderen Orten in Deutschland viele Bürgerinnen und Bürger, um die Erinnerung an Schicksale aus der Zeit des Nationalsozialismus wachzuhalten, oft in Zusammenarbeit mit Vereinen, Geschichtswerkstätten, Verbänden und Stadtarchiven. Für neue Interessierte sind sie in der Regel offen.

Es bleibt zu hoffen, dass die erinnerungskulturelle Arbeit von Menschen wie den oben genannten und allen weiteren meist ehrenamtlich Engagierten – nicht nur in Deutschland – dazu beträgt, dass die lokalen Schicksale von Abertausenden Opfern des nationalsozialistischen Kalküls, von Willkür und Gewalt nicht in Vergessenheit geraten.

 

Nachtrag:  

Im Projekt „Schicksale aus Polen 1939 – 1945“ unterstützt das DPI Erinnerungsinitiativen in Deutschland dabei, „lokal und digital“ an Menschen aus Polen zu erinnern, die unter den Menschen und Verhältnissen während dieser Zeit des Nationalsozialismus gelitten haben. Die Projektergebnisse aus Berlin, Frankfurt/Main, Frankfurt/Oder, Göttingen, Lauchheim, Meppen und München sind hier beschrieben: https://schicksale-1939-1945.eu/lokale-erinnerungsinitiativen/.

Die Verfasserin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Schicksale aus Polen 1939 – 1945. Erinnern lokal & digital“, das 2023 und 2024 vom DPI in Kooperation mit der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, durchgeführt wird.

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                                                                         Foto: J. M. Rösch