28.05.2024 - Gesellschaft , Politik
Der Konsum von Cannabis in Polen. Ein Bericht über die aktuelle Lage im Land im Lichte der Legalisierung in Deutschland
Ab dem 01.04.2024 darf in Deutschland legal „gekifft“ werden. „Bubatz“, eine gängige Bezeichnung für die getrockneten Blüten der Cannabispflanze, ist nun endlich legal. Endlich, denn die jahrzehntelange Debatte in Deutschland um eine Legalisierung des Konsums von Cannabis hat fürs erste ein Ende gefunden. Etwaige dazu ausgesprochene Kritik von Markus Söder einmal ausgeklammert.
Selbstverständlich wird die Diskussion um Sinn und Unsinn der Legalisierung weiterhin die deutsche politische Bühne beschäftigen, aber solange die Legalisierung nicht gekippt wird, darf nun in Deutschland „Gras“ geraucht werden.
Dadurch wird ein Szenario plausibler, in dem sich vielleicht der eine oder die andere cannabisbegeisterte Studentin z.B. von der hier vor unserer Haustür liegenden Technischen Universität Darmstadt für ein Erasmus z.B. im polnischen Katowice (Kattowitz) begeistern kann. Nehmen wir mal an, diese Studentin heißt Tina und Tina, 19 Jahre alt, ist ob ihrer Leidenschaft für Chemietechnik keine begeisterte Zeitungsleserin. Sie weiß, dass sie selbstangebautes Cannabis laut deutschem Recht legal rauchen darf.[1] Katowice, das ist Polen, und Polen, das ist schließlich die EU. Auch in Tschechien, einem anderen ostmitteleuropäischen EU-Mitglied, ist der Konsum entkriminalisiert und so geht Tina davon aus, dass es in Polen mit dem Cannabis wohl keine nennenswerten Probleme geben wird. Begeistert reist sie, das Cannabis im Gepäck, in ihr Auslandsemester und wir spielen im Folgenden den Fall durch, was Tina rechtlich und gesellschaftlich erwartet, wenn sie erwischt wird. Helfen soll dabei ein dem Juristen bekanntes Schema des Strafrechts bestehend aus 1) Tatbestand der Straftat, 2) Rechtswidrigkeit und 3) Schuld. Denn was Tina nicht weiß: „Sie läuft geradewegs Gefahr, eine Straftat zu begehen. In Polen ist alleine schon der Besitz von Cannabis verboten und wird, je nach Fall, schwer bestraft.
Unser Beispielfall könnte vielleicht so lauten: Tina, offen wie sie ist, lernt sofort nach Semesterstart in Katowice ein paar ihrer Kommilitonen kennen. Schnell verabredet man sich und zündet im Zuge eines entspannten Abends ein Joint an. Gerne raucht der ein oder andere Student bei Tinas „Tüte“ mit, schließlich rauchen nach einer Befragung durch das Landesbüro für Fragen der Bekämpfung von Drogen (Krajowe Biuro do Spraw Przeciwdziałania Narkomanii) 21% der 15-16 Jährigen Polen Cannabis, Stand 2015.[2]
Im Zuge des Abends wird auch politisch diskutiert, Tina, als einzige Deutsche im Kreis der Studenten, wird gelobt. Die Reformen in Deutschland seien gut, denn auch die Polen, jedenfalls 60% der Befragten, so berichtet es die Gazeta Wyborcza in einem Artikel vom 04.10.2023, seien für eine Legalisierung des Besitzes von Cannabis für den privaten Gebrauch.[3] Tina gedankenverloren, überhört dieses Lob und macht sich auf den Heimweg.
Nach Cannabis-Rauch riechend wird sie auf dem Nachhauseweg von einer Polizeistreife angehalten. Schnell ist klar, dass Tina nicht nur Cannabis geraucht hat, sondern auch noch in kleinen Mengen mit sich führt. Wie viel ist für die Polizei egal, denn in Polen ist das 2005 zuletzt reformierte Gesetz über die Bekämpfung der Drogensucht (Ustawa o przeciwdziałaniu narkomanii) immer noch das anzuwendende Strafgesetz, das beim Besitz oder der Verbreitung von Betäubungsmitteln sowie psychotropischen Stoffen eingreift.[4] Was droht jetzt Tina und wie gestaltet sich die Politik in Bezug auf den Besitz und Konsum von Cannabis in Polen?
Wie oben bereits angekündigt soll hier das Schema helfen. Es steht im Raum, ob Tina mit ihrem Verhalten gegen einen Artikel des Gesetzes über die Bekämpfung der Drogensucht verstoßen hat.
Tina müsste dafür zunächst einen der Straftatbestände dieses Gesetzes erfüllt haben. Das bedeutet, dass sie etwas gemacht haben muss, was nach diesem Gesetz bestraft wird. Außerdem kann je nach Strafgesetz unter diesem Punkt relevant sein, ob der vermeintliche Täter auch die Straftat begehen wollte und um die Gefahren der Begehung wusste. Bei manchen Strafgesetzen kann es entlastend sein, wenn der Täter eine Verletzung des Gesetzes eigentlich nicht wirklich wollte und von bestimmten Umständen nichts wusste oder einfach darauf hoffte dass schon alles gut wird.
Für Art. 62 des Gesetzes über die Bekämpfung der Drogensucht ist das alles egal. Wer Betäubungsmittel sowie psychotropische Stoffen mit sich führt, dem droht eine Geld- oder Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Wer größere Mengen dabei hat, der sitzt mindestens ein Jahr und maximal zehn Jahre. Natürlich wird hier von Fall zu Fall entschieden und gemäß Art. 62a desselben Gesetzes sollen die Sozialschädlichkeit und Umstände der Tat eine Rolle dabei spielen, ob wirklich Klage erhoben wird. Es bleibt trotzdem dabei, dass alleine nur das Beisichführen egal wozu und warum zunächst den Straftatbestand erfüllt.
So wie Tina geht es auch vielen anderen. 2011 gab es laut Polizeistatistik 22.940 Straftaten gegen das Gesetz über die Bekämpfung der Drogensucht,[5] 2021 sind es schon 62 204 Straftaten, die meisten durch Umstände wie die von Tina.
Woher kommt diese Schärfe? In der kommunistischen Zeit hatte Polen ein Problem mit dem Konsum von Opioiden geleugnet. Erst Ende der 1980er Jahre wurden präventive Maßnahmen ergriffen. Wirklich rechtlich relevant wurde es aber erst im Jahr 2000 als das Gesetz über die Bekämpfung der Drogensucht in Kraft trat. Man hatte damals versucht mit dem Gesetz dem Drogenhandel entgegenzuwirken. So unterschiedslos wie Cannabis unter den Drogenbegriff des Gesetzes fällt, erhoffte man sich durch eine bedingungslose Strafgesetzgebung erfolgreiche gegen den Konsums und Handel von Drogen vorgehen zu können.[6]
Das man nur einige Jahre später immer noch nicht recht wusste, wie Cannabis zu interpretieren ist oder was überhaupt Cannabis sei, zeigt ein Ausschnitt aus einer Pressekonferenz von 2007 mit Jarosław Kaczynski, damals und heute Vorsitzender der Partei Recht und Gerechtigkeit (Link: https://www.youtube.com/watch?v=2OcXIhOOVTE). Hilfreich ist das alles für Tina jedenfalls nicht.
Rechtswidrigkeit
Tinas Tat müsste auch rechtswidrig sein. Das bedeutet, dass Tina vielleicht noch Gründe vorweisen kann, die erklären können warum sie Cannabis mit sich führen darf und somit doch nicht gegen das Gesetz verstoßen hat. Immerhin ist in Polen seit 2017 in Apotheken medizinisches Cannabis erhältlich.[7] Dabei wünschen sich die Verbände vor allem mehr und besseres Cannabis, importiert wird es zurzeit laut Gazeta Wyborcza mehrheitlich aus Kanada und Portugal.[8]
Leider konsumierte Tina aus reinem Genuss, die Schlinge zieht sich immer enger.
Schuld
Juristisch geht es bei der Schuldfrage hauptsächlich um die Schuldfähigkeit, die wir Tina mal unterstellen. Viel wichtiger für das hier behandelte Thema ist aber die Frage, wer schlussendlich an Tinas Misere schuld ist?
Dabei sei darauf hingewiesen, dass nicht ohne Grund Verbände und Krankenkassen vor der Schädlichkeit von Cannabis warnen. Es schadet der Entwicklung bei jüngeren Konsumenten und führt bei zu viel Konsum zu bleibenden Schäden in der Psyche.[9]
Ja, Alkohol und Zigaretten sind auch gesundheitsschädlich, der Konsum von Cannabis kann aber hochproblematisch sein. Vielleicht weiß das auch Tina und vielleicht ist das der Aufhänger für die Schuldfrage. Denn ob jemand selbst für sich verantwortlich sein kann und im Wissen um die Risiken, Cannabis genauso wie Alkohol und Tabak konsumiert, kann doch auch jedem selbst überlassen sein. Zumindest wird das von Verfechtern der Legalisierung des Konsums als stärkstes Argument vorangeführt. Das rechtsnationale Parteienbündnis Konfederacja argumentiert jedenfalls genauso und wirbt derzeit für eine Legalisierung des Konsums. In einem Interview mit der Gazeta Wyborcza weist Jakub Korczyńskider von der Partei „Lewica“ (Die Linke) darauf hin, dass es nicht sein kann, dass ein Mensch zwar z.B. 1,5 l Alkohol mit sich führen darf, aber für 1,5 g Cannabis bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen kann. Auch das linke Bündnis „Lewica“ unterstützt eine Entkriminalisierung des Besitzes und Konsums von Cannabis.[10]
Gleichgültiger zu dem Thema positionieren sich die zurzeit regierende Bürgerkoalition und der Dritte Weg. Beide Parteien der Mitte wollen nicht polarisieren oder Kontroversen aufwerfen. Gerade weil die PiS eine Legalisierung ablehnt und gegenteilige Schritte sofort politisch ausschlachten würde.[11]
Tina kann also auch politisch auf keine Hilfe hoffen und wir müssen feststellen, dass sich unsere junge Darmstädter Studentin in Polen mit ihrem Verhalten rechtswidrig und schuldhaft strafbar gemacht hat. Vielleicht wird hier noch ein guter Anwalt helfen können, immerhin müsste Tinas Fall ja auch noch vor Gericht verhandelt werden und bis zum Urteilsspruch gilt auch in Polen die Unschuldsvermutung.
Dies alles ist kein Plädoyer für eine Legalisierung, aber es soll zeigen, wie streng der Besitz von Cannabis in Polen immer noch geahndet wird. Gerade in Bezug auf die geringe Menge steht wie in dem Fall von Tina der Zweck, nämlich die Bekämpfung des Rauschgifthandels, mit dem starken Eingriff in die Freiheiten und Schicksale privater Konsumenten nicht mehr im Verhältnis. Das Gesetz zur Bekämpfung der Drogensucht ist zwingend reformbedürftig. Ob dies die jetzige Regierung während dieser Legislaturperiode noch wagen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.
[1] Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG)
[2] Raport o stanie narkomanii w Polsce 2020, Tabela 1.6., S. 11.
[3] Vgl. Wyborcza.biz vom 04.10.2023, auf: https://wyborcza.biz/biznes/7,177151,30246145,zielona-rewolucja-i-dekryminalizacja-po-wyborach-wybory-rozgrywaja.html
[4] Vgl. Art. 62 Nr. 1, in: https://lexlege.pl/ustawa-o-przeciwdzialaniu-narkomanii/
[5] Polizeistatistyk 2011 (https://statystyka.policja.pl/st/informacje/82014,Przestepstwa-narkotykowe-w-statystyce-policyjnej.html)
[6] Vgl. für historische Entwicklungen und Gründe der Gesetzgebung Artikel der bpb, auf: https://www.bpb.de/themen/europa/polen-analysen/41088/analyse-die-drogenpolitik-in-polen-zeit-fuer-eine-korrektur/.
[7] Vgl.: https://www.gazetaprawna.pl/wiadomosci/kraj/artykuly/9387932,pelna-legalizacja-marihuany-w-polsce.html
[8] Vgl. Wyborcza.biz vom 21.01.2024, auf: https://wyborcza.biz/biznes/7,177151,30589781,marihuana-w-polsce-w-2024-roku-w-aptekach-brak-leczniczej.html
[9] Vgl. Beispielhaft: Techniker Krankenkasse, auf: https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/sucht/probleme-2015710?tkcm=aaus; oder gerade bzgl. Der Risiken ausführlich im Ärzteblatt von 2/2015, auf: https://www.aerzteblatt.de/archiv/171108/Cannabis-Risiken-bei-nichtmedizinischem-Gebrauch
[10] Vgl. Wyborcza.biz vom 04.10.2023, auf: : https://wyborcza.biz/biznes/7,177151,30246145,zielona-rewolucja-i-dekryminalizacja-po-wyborach-wybory-rozgrywaja.html
[11] Vgl. Wyborcza.biz vom 21.01.2024, auf: : https://wyborcza.biz/biznes/7,177151,30589781,marihuana-w-polsce-w-2024-roku-w-aptekach-brak-leczniczej.html