24.02.2025 - Gesellschaft , Politik
Bundestagswahlen in Deutschland unter polnischer Beobachtung
Sondersendungen zu den Wahlen vor und nach 18 Uhr, Korrespondenten, die vor den Parteizentralen berichten, Wahlergebnisse ganz oben auf den Nachrichtenseiten und zu Beginn der Rundfunknachrichten, Morgensendungen im Radio, die sich mit der Zukunft der deutschen Politik befassen – nein, das ist nicht nur ein Bild der deutschen Medien am 23. und 24. Februar 2025, es ist auch ein Bild der polnischen Medien an diesen Tagen.
Das Interesse in Polen an den Bundestagswahlen war dieses Mal besonders groß. Die oben erwähnten Aktivitäten der Journalisten sind nicht rein als ihre Pflichtaufgabe einzuordnen. Für die polnische Bevölkerung waren und sind diese Wahlen und ihre Ergebnisse von großer Bedeutung. Natürlich ist das polnische Interesse an Deutschland generell groß. Im Fall dieser Wahl kann man das aber nicht einfach als eine Sonderbehandlung Deutschlands sehen. Die beschriebene Situation sollte niemandem in Deutschland die Genugtuung verschaffen, der Nabel der Welt für die polnische Meinung zu sein. Im Gegenteil, die polnische Beschäftigung mit der Art und Weise, wie die deutschen Bürgerinnen und Bürger abgestimmt haben, ist als wichtige Botschaft für die Deutschen und ihre Entscheidungsträger: Eure Entscheidungen und Euer Vorgehen in vielen Politikbereichen haben nicht nur Auswirkungen auf die Situation in Deutschland. In der aktuellen internationalen Lage können deutsche Stimmen auch indirekt oder sogar direkt die Situation in dieser Region Europas beeinflussen.
Was hat die Menschen in Polen also konkret an dieser Wahl so interessiert? Welche Themen und Anliegen standen im Mittelpunkt?
Sicherheit zum ersten, zweiten, dritten …
Eine absolute Priorität für die Polen ist derzeit die Frage der Sicherheit. Genau drei Jahre nach dem Ausbruch eines vollumfänglichen Krieges in der Ukraine ist die Möglichkeit einer russischen Aggression gegen weitere Länder – darunter auch Polen – wieder zum Thema an den polnischen Küchentischen geworden. Die Auffassung, dass Putin in fünf Jahren auch Polen angreifen könnte, macht vielen große Sorgen. Wie sich die künftige deutsche Regierung gegenüber Russland positionieren wird, der Frieden in der Ukraine, die deutsche Unterstützung für die Ukraine und die Äußerungen von Donald Trump – das sind Fragen, die für die polnische Sicherheit unmittelbar entscheidend sind.
Die Tatsache, dass ein Drittel der deutschen Wähler bei den Wahlen pro-russische Kräfte unterstützt hat, löst in Polen Besorgnis aus und wirft die Frage auf, ob die Deutschen in naher Zukunft wieder zum business as usual mit Russland übergehen wollen. Für Polen hätte das enorme Konsequenzen.
Imigranten ante portas
Friedrich Merz hat in seinen Ankündigungen zur Migrationspolitik deutlich gemacht, dass er diejenigen Migranten, die die deutsche Grenze illegal überschritten haben, zurückzuweisen will. Viele Menschen in Polen sind sich bewusst, dass dies gegen die Regeln der Europäischen Union verstößt, aber sie nehmen die Aussage ernst, diese Forderung umzusetzen, sobald die neue Regierung ihre Amtsgeschäfte aufnimmt. Die Frage, die polnische Journalisten im Namen der polnischen Bevölkerung stellen, lautet: Wird es in einigen Wochen regelmäßige Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze geben, die den deutsch-polnischen Grenzverkehr lähmen, und werden Hunderte von Flüchtlingen aus Deutschland nach Polen zurückgewiesen?
It’s economy, stupid!
Die Bedeutung der deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen für die polnische Wirtschaft ist unbestreitbar. Der Zustand der deutschen Wirtschaft hat direkte Auswirkungen auf die Situation in Polen. Wege zu wirtschaftlichem Wachstum in Deutschland und Ideen zur Gewinnung neuer Finanzressourcen, für Investitionen, aber auch für den Ausbau der Armee und für die Hilfe an die Ukraine sind daher nicht nur eine innendeutsche Frage.
Starker Partner oder Koloss auf tönernen Füßen ?
Die letzten Monate waren eine Zeit der Stagnation in Deutschland, das mit einer Regierung ohne starkes Mandat nicht in der Lage ist, wichtige Entscheidungen auf europäischer und internationaler Ebene zu treffen. Die Welt wartet aber nicht auf Deutschland, und für Polen ist ein stabiles Deutschland, das in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, Initiativen zu ergreifen oder auf die Initiativen anderer zu reagieren, eine Notwendigkeit, um die europäische Einheit angesichts einer unsicheren globalen Situation zu gewährleisten. Daher stellt sich für Polen die Frage, wann Deutschland eine entscheidungsfähige Regierung haben wird und wie stabil diese sein wird.
Blau an der Grenze
Betrachtet man die Ergebnisse der Bundestagswahl geografisch, so sieht man aus polnischer Perspektive zunächst eine große blaue Fläche – die Erfolge der Alternative für Deutschland in den an Polen angrenzenden Bundesländern sind für polnische Betrachter fast unbegreiflich. Eine offen pro-russische Partei, die die Fakten über die dunkelste Seite der deutschen Geschichte leugnet, ist die zweitstärkste Kraft im deutschen Parlament. Wie lange die Brandmauer um die AfD halten wird und inwieweit die Forderungen der AfD die öffentlichen Debatten in Deutschland dominieren werden, ist in Polen keine rein spekulative Frage.
Die oben genannten Punkte sind nur eine Auswahl der wichtigsten Fragen und Sorgen, die die Polen im Zusammenhang mit dem Ergebnis der Bundestagswahl haben. Auch die Fragen der Klimapolitik, der potenziellen institutionellen Reformen in der Europäischen Union, der Beziehungen zu China oder der Entwicklung der bilateralen Zusammenarbeit bleiben wichtig. Die Position Deutschlands in diesen Fragen wird Auswirkungen auf die Zukunft der Europäischen Union und Polen haben. Das polnische Interesse an der Situation in Deutschland sollte daher nicht nur in Deutschland erfreuen (denn es ist gut, dass die Bewohner benachbarter Länder Interesse am Nachbarland haben und versuchen, einander zu verstehen), sondern auch zu tiefgehenden Überlegungen in Deutschland anregen, wie sehr die heutige Welt miteinander verbunden ist und wie folgenschwere Konsequenzen einzelne Entscheidungen haben können.