02.03.2022 - Gesellschaft , Politik, Ukraine

Polen bereitet sich auf ukrainische Schülerinnen und Schüler vor

Jestesmy z Wami3

Tausende ukrainischen Frauen und Kinder befinden sich auf dem Weg nach Polen oder sind bereits in Polen. Die polnischen Behörden bereiten sich vor, diese Kinder in das polnische Bildungs- und Sozialsystem aufzunehmen. Erfahrungen gibt es schon seit längerem, da derzeit etwa 1,3 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Polen leben, die mehrere Tausend Kinder im Schulalter haben.

Bisherige Erfahrungen

Bereits 2020 besuchten über 57.000 Ausländer polnische Schulen (davon 43 764 aus der Ukraine), wobei die Zahl seit 2019 um über 20.000 Personen gestiegen ist. Laut Daten des Bildunsgministeriums vom September 2021 besuchen etwa 60.000 Kinder aus der Ukraine polnische Schulen (Grundschulen und Lyzeen) und Kindergärten. Weitere 40.000 profitieren von der Ausbildung in weiterführenden Aufbauschulen.

Besonderheit der Lage

Schon ein Tag nach dem Kriegsausbruch am 24. Februar hat das polnische Bildungsministerium »Regeln für die Aufnahme von Kindern aus der Ukraine auf polnische Schulen« publiziert. Das für die Eltern von Schülern aus der Ukraine vorbereitete Material  enthält Informationen über die für die Einschulung eines Kindes erforderlichen Dokumente. Generell gilt: Kinder im Alter von 7 bis 18 Jahren können polnische Schulen kostenlos besuchen. Für die Aufnahme an Schulen muss ein Antrag gestellt werden, über den die  Schulleitung entscheidet. Die öffentlichen Grundschulen nehmen von Amts wegen die aus dem Ausland stammenden Kinder auf, die in ihrem Schulbezirk wohnen. Die anderen öffentlichen Grundschulen und weiterführenden Schulen machen dies, solange bei ihnen freie Plätze vorhanden sind. Gibt es in der gewählten Einrichtung keine freien Plätze mehr, muss man sich an die Gemeinde wenden. Die Einstufung in eine Klasse, in der ein solcher Schüler oder eine solche Schülerin weiter unterrichtet wird, erfolgt auf der Grundlage der Summe der im Ausland absolvierten Schuljahre. Normalerweise wird die Klasse anhand der von der Auslandsschule ausgestellten Dokumente bestimmt, aber das ist nicht unbedingt notwendig. Eine Erklärung der Eltern über die gesamten im Ausland verbrachten Schuljahre ist ausreichend.

Sprache – das entscheidende Faktor

Sprachkenntnisse sind und bleiben immer eine der größten Herausforderungen. Jedoch stellt sich die Integration der ukrainischen Kinder und Jugendlichen aus sprachlicher Perspektive  weniger problematisch dar als bei anderen Nationalitäten, da die Sprachen miteinander verwandt sind. Von allen slawischen Sprachen ist das Ukrainische dem Polnischen am ähnlichsten, nämlich bis zu 70%. Im westlichen Teil der Ukraine wird ein Dialekt verwendet, in dem häufig polnische Substitute vorkommen. Kinder aus der Zentral-, Ost-, Nord- und Südukraine haben dagegen eher keinen Kontakt zur polnischen Kultur und Sprache. Für sie wird es schwieriger, aber wiederum einfacher als für viele anderen Migranten.

Mangelnde Kenntnisse der polnischen Sprache sind kein formales Hindernis bei der Einschulung. Schüler aus der Ukraine können am kostenlosen Polnischunterricht teilnehmen, der von den Schulen organisiert wird, und erhalten aufgrund ihrer Migrationserfahrung psychologische und pädagogische Betreuung.

Besondere Unterstützung für Kinder aus der Ukraine

Schon bisher gab es verschiedene Möglichkeiten, wie die Schule die ausländischen Schüler unterstützen konnte:

-          Teilnahme an zusätzlichen Polnischkursen. Der Einzel- oder Gruppenunterricht von mindestens zwei Stunden pro Woche kann für einen unbestimmten Zeitraum erteilt werden;

-          Lernen in Form eines vorbereitenden Kurses, in dem der Unterricht an die Bedürfnisse und Lernmöglichkeiten der Schüler angepasst wird. (Solch ein Bildungsangebot dauert ein Jahr, mit der Möglichkeit einer Verlängerung auf zwei Jahre.) Der Unterricht findet in Gruppen von bis zu 15 Schülern statt und umfasst mindestens 20 bis 26 Stunden pro Woche (je nach Schuljahr und Schultyp). In diesen Stunden lernen die Schüler die polnische Sprache und die Inhalte der einzelnen Fächer in dem Umfang, der ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entspricht.

-          Unterstützung von einer Person, die die Sprache des Herkunftslandes spricht und als Assistent des Lehrers angestellt wird – die als Assistent des Lehrers angestellte Person muss keine pädagogische Ausbildung haben.

-          Zusätzlich von der Schulleitung organisierter Förderunterricht in den Fächern des Lehrplans (jedoch nicht länger als 12 Monate)

Ausländische Schüler können in Zusammenhang mit ihren Migrationserfahrungen psychologische und pädagogische Hilfe in Anspruch nehmen. Die Schulleitung entscheidet ebenfalls über die Form dieser Unterstützung. Wichtig ist, dass in der gegenwärtigen Situation die psychologische und pädagogische Unterstützung auch auf die Eltern der Schüler ausgedehnt werden kann.

Weitere Schritte

Die immense Zahl der Kinder erhöht aber die Herausforderung. Zu den aktuelle Fragen diesbezüglich gehören u.a.:

-          die Notwendigkeit, Mittel für interkulturelle Assistenten für Schüler bereitzustellen

-          Unterstützung für Polnischlehrer, die nur teilweise qualifiziert sind, Polnisch als Fremdsprache zu unterrichten

-          die Frage der raschen Anerkennung der ukrainischen Lehrerdiplome. Dabei ist zu beachten, dass einige von ihnen über ausreichende Polnischkenntnisse verfügen, um zu unterrichten, während andere unterstützend in den Schulen arbeiten können

-          Vorbereitung der polnischen Schüler auf die Aufnahme von Geflüchteten

-          Aufklärung der Lehrer über kulturelle Unterschiede und Vorurteile

-          Maßnahmen, um einer möglichen Ausgrenzung von Kindern russischer und belarussischer Herkunft entgegenzuwirken

Die bisherige Erfahrung mit der Unterstützung ausländischer Kinder zeigt aber, dass es auch viele weitere altägliche Herausforderungen gibt, die die grundsätzliche Integration der jungen Migranten betreffen. Die Lehrergewerkschaft sowie Kommunen thematisieren diese Herausforderungen. Laut Äußerungen des Bildungsministeriums ist eine Lockerung der Vorschriften für die Qualifikation von Lehrepersonal aus der Ukraine in Planung. Das Ministerium versichert, eswerde die lokalen Behörden unterstützen und erinnert daran, dass bereits jetzt auf der Website des Ministeriums Informationspakete zu finden sind, z. B. über psychologische Unterstützung für polnische und ukrainische Kinder.

Kommunen sind gefragt

Die Kommunen, die in Polen für die Schulen zuständig sind, bereiten sich auch selbst vor. In Warschau, wo schon bisher 3900 ukrainische Kinder  zur Schule gehen (zum Vergleich, in Krakau waren es 1900), gibt es schon konkrete Maßnahmen.  Die psychologisch-pädagogischen Beratungsstellen der Stadt bieten kostenlose Hilfestellungen für ukrainische Kinder und Eltern an. Warschau hat auch Informations- und Bildungsmaterialien erstellt, die für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine, die sich zurzeit in Warschau aufhalten, nützlich sind. Darunter befinden sich Willkommenspakete für Schüler und Eltern. Es gibt bereits Kulturassistenten von NGOs, die in den Schulen der Stadt arbeiten. Sie helfen den Ausländern bei der Integration, unterstützen sie im Unterricht, in den Pausen und bei außerschulischen Aktivitäten. Darüber hinaus leisten die Kulturassistenten Hilfe als Übersetzer im Alltag, etwa beim Lernen, aber auch bei anderen Aktivitäten wie bei der Übersetzung von (amtlichen) Dokumenten usw. In Warschau sind ebenfalls grundlegende Informationen über Kindergärten auf Ukrainisch verfügbar. Das sind aber Maßnahmen einer großen Stadt, die über die entsprechenden Ressourcen und Kapazitäten verfügt. In kleineren Orten ist die Lage bestimmt viel schwieriger.

Die Realität wird es zeigen

Diese Aktivitäten, Pläne und erste Schritte zeigen, dass die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen. Überoptimistisch darf man aber nicht sein. Alle diese Maßnahmen benötigen viele finanziellen Mittel und Personal. Die polnischen Lehrerinnen und Lehrer sind ohnehin noch von der COVID-Pandemie überfordert, schlecht bezahlt und fühlen sich von der Regierung nicht genug wertgeschätzt. Die polnische Flexibilität und die enorme Bereitschaft, die Ukrainer zu unterstützen, wird vorerst helfen. Mittel- und langfristig braucht es aber weitere strategische Entscheidungen, so dass auch in kleineren Kommunen die geplanten Maßnahmen wirklich umgesetzt werden können.

 

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