14.06.2021 - Gesellschaft , Politik, Kultur

Oberschlesien im polnischen Film (ganz ohne Oberschlesier)

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Seit dem demokratischen Umbruch ist in Polen eine Renaissance der Provinz zu spüren, von der hauptsächlich ehemalige deutsche Gebiete profitieren konnten, da überall dort Gruppen von Aktivisten entstanden sind, die sich der deutschen Heimatgeschichte dieser Region widmen; auch zahlreiche Ausstellungen, Bildbände, Konferenzen und das Interesse der lokalen Politik und Öffentlichkeit zeugen dafür. Während diese Bestrebungen von polnischen Angehörigen der 2. und 3. Ansiedler-Generation von Allenstein über Danzig, Stettin, Grünberg, Breslau bis zu kleinen Gemeinden in den Sudeten reichen, ist die Lage in Oberschlesien anders. Denn hier – in Teilen der Woiwodschaften Oppeln und Schlesien - leben noch einige „Authochtone“ (alteingesessene Bevölkerung), allerdings dezimiert durch einen jahrzehntelangen Exodus Richtung Westen und majorisiert durch Ansiedler aus anderen Teilen Polens. Unter ihnen ist auch die deutsche Minderheit aktiv, hauptsächlich in der Gegend um Oppeln, im östlichen Teil der Region machte eine oberschlesische Autonomiebewegung in den letzten Jahren von sich hören, die auf Distanz zu Berlin und Warschau geht und auf die kulturelle Eigenart der Oberschlesier abhebt. Die Region insgesamt wird heute in Polen als multikulturell, multikonfessionell und sprachlich differenziert wahrgenommen. Die „Andersartigkeit“ der Region wird vom Rest des Landes zumindest zur Kenntnis genommen, wenn auch nicht immer wohlwollend.

In diesem Kontext möchte ich auf drei Filme aufmerksam machen, die in den letzten Jahren Oberschlesien auf die Leinwand brachten und dabei auch ein starkes Interesse der Medien und der Öffentlichkeit weckten: Skazany na bluesa von Jan Kidawa-Błoński (2005), Bogowie von Łukasz Palkowski (2014) und Gwiazdy (2017) unter der Regie des bereits erwähnten Jan Kidawa-Błoński. Von Interesse ist für mich die Bereitschaft der Filmemacher, auf die oberschlesische, deutsche und polnische Eigenart der Region einzugehen. In erster Linie geht es hier um sprachliche, kulturelle und geschichtliche Sensibilität, die die Film-Wirklichkeit für den an der Region interessierten Zuschauer glaubwürdig macht.

51tQZ+kw96L. SY445 Skazany na bluesa gehört zu den erfolgreichsten polnischen Biografiefilmen und porträtiert den Bluessänger Ryszard Riedel, Frontman der legendären Musikband Dżem, die in den 1980er und 1990er Jahren in Polen große Popularität genoss und heute auch noch genießt. Die charismatische Gestalt Riedels ist in Oberschlesien insoweit ein Phänomen, als dass es verhältnismäßig wenigen „Authochtonen“ gelang, in der Popkultur des Nachkriegspolens zum Ruhm zu gelangen. Die Besetzung der Rolle durch Tomasz Kot scheint ideal, Kot verkörpert zu 100 Prozent Riedel im Leben wie auf der Bühne, im Gesang, Gang, Erscheinungsbild. Nur ein Einwand: Kot spricht keinen oberschlesischen Dialekt. Dem Regisseur ist hier die Sprachdimension der Filmgestalt zum Teil bewusst, aber wirklich nur zum Teil, denn nach einigen anfänglichen Dialogen – erste Dachszene mit dem Freund Indianer sowie einige Familiengespräche, die im bemühten Oberschlesisch ablaufen - spricht Kot was er am besten kann: Hochpolnisch. Auch Indianer, Riedels Ehefrau Gola, Familienmitglieder und einfache Nachbarn sprechen keinen Dialekt, ja nicht einmal Polnisch mit dem typisch oberschlesischen Tonfall. Das wird dem genius loci - der Industriestadt Tichau (Tychy) der 1970-1980er Jahre - sicher nicht gerecht. Auch wenn es zu Kot wahrscheinlich keine Alternative gab, so hätten andere Rollen hier durchaus durch Schauspieler ersetzt werden können, die imstande gewesen wären, mehr lokales Sprachkolorit zu vermitteln. Theater in Oberschlesien gibt es schließlich genug, mit Sicherheit gibt es auch dort Schauspieler, die des oberschlesischen Dialekts mächtig sind.

Wenn Tomasz Kot zu 100 Prozent den Sänger Ryszard Riedel verkörpert, so geht der Schauspieler in der Rolle des Kardiologen Zbigniew Religa in Bogowie zu 110 Prozent auf. Dr. Religa hatte für seine Idee, eine moderne Klinik in Polen einzurichten, an der vor allem Herztransplantationen möglich wären, einen einflussreichen, herzkranken Grubendirektor in Zabrze (Hindenburg) eingenommen. So spielt der Film in der „deutschesten Stadt Polens“, so der Historiker Dawid Smolorz[1], allerdings merkt man das im Film überhaupt nicht. Religa war kein Oberschlesier, seine Assistenzärzte vielleicht auch nicht, aber z.B. das Personal? Krankenschwester, Pfleger, Hausangestellte haben im Zabrze der 1970-1980er Jahre sicher nicht alle Hochpolnisch gesprochen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest unter Religas Patienten doch einige Oberschlesier waren. Das entgeht jedoch dem Filmemacher, kein einziger der Schauspieler spricht Dialekt und Zabrze ist hier eine ganz normale polnische Stadt.

GwiazdyNicht so in Kidawa-Błońskis Gwiazdy, einem Kassenschlager, in dem die Karriere des Fußballspielers Jan (Hans) Banaś vor dem Hintergrund der erfolgreichsten Phase des polnischen Fußballs 1967-1974 gezeigt wird. Banaś kommt aus Hindenburg, das nach 1945 wieder Zabrze heißt, sein Fußballklub Górnik Zabrze exemplifiziert den Anspruch der unter Parteichef Gierek aufstrebenden Industrieregion nach höchsten polnischen wie europäischen Fußballtrophäen. Zabrze darf hier zum Glück noch als eine nicht ganz polnische Stadt erscheinen, die Protagonisten wohnen in typischen oberschlesischen Familoki, man sieht die Industriesilhouetten der Grube Pstrowski, man erlebt einen typischen (in Polen sonst unbekannten) Polterabend. Viele in der Stadt wissen noch, dass das Górnik-Stadion vor dem Krieg den Namen Adolf Hitlers trug, was dem Klubpräsidenten mal zum Verhängnis wird. Aber damit enden die Zugeständnisse an die lokale Geschichte des Geschehensortes.

Wenn dieser Film auch ein Verständnis in Polen für die komplizierte Geschichte der Region und ihre Menschen wecken sollte, so haben die Filmemacher die Chance vertan. Das Leben des Hauptprotagonisten wäre dafür wunderbar geeignet: Ein in Berlin geborener Oberschlesier, der in Polen der Nachkriegszeit Fußballer werden möchte, zum Klub seiner Träume einberufen wird und auch in der polnischen Nationalmannschaft spielt, dann (illegal) zum 1.FC Köln wechselt, wo er von der FIFA gesperrt wird, kehrt wieder nach Polen zurück, wo er mit Górnik polnischer Meister wird und im Finale des Europapokals der Pokalsieger gegen Manchester City verliert.

Diese Biografie hat es in sich und diese Stadt hat auf jeden Fall das Potential, mit dem die Herzen der Oberschlesier und all derer, die diesen Streifen Erde schon immer besser kennenlernen wollten, hätten erobert werden können. Von dieser Möglichkeit sieht Kidawa-Błoński durch seine Castingpolitik ab. Erstens: Nur ganz wenige Protagonisten sprechen im Film den oberschlesischen Dialekt, wodurch nicht klar ist, wer Oberschlesier ist und wer nicht. Das ist für eine Filmgeschichte, die 20 Jahre nach dem Krieg in einer deutsch-polnischen Grenzregion spielt, allerdings ungeheuer wichtig! Alle Hauptfiguren sprechen Polnisch, manchmal bemüht den oberschlesisch-polnischen Dialekt, „bemüht“ heißt dabei einfach nicht echt: Man merkt sofort, dass die Phrasen gelernt wurden und dass der typische regionale Tonfall fehlt. Wie in Skazany na bluesa vergessen Kidawa-Błoński und seine Filmemacher nach anfänglichen Szenen auf die bemühte, aber immerhin oberschlesische Art der Aussprache der Schauspieler zu achten. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Hauptdarsteller in Gwiazdy kommen nicht aus Oberschlesien und sprechen, was sie am besten können: Hochpolnisch! Das ist weitgehend problematisch, denn wie erklärt man, dass die deutsch-oberschlesische Mutter des Hauptprotagonisten (gespielt von Magdalena Cielecka), die mit einem Berliner Fußballer eine Affäre hat und nach 1945 nach Zabrze zurückkehrt, perfekt Polnisch spricht? Klar, es gab viele Menschen im oberschlesischen Revier, die Polnisch sprachen, aber der oberschlesischen Dialektvariante, niemals Hochpolnisch!

Überhaupt fehlt in Zabrze von Kidawa-Błoński neben dem typischen oberschlesischen Tonfall auch die Präsenz der damals noch allgegenwärtigen deutschen Sprache und der deutschen Alltagsrituale (der Polterabend ist eine Ausnahme). Während andere oberschlesische Städte wie Oppeln, Gleiwitz und Beuthen einen fast vollständigen Bevölkerungstausch nach 1945 erfahren haben, hatte Zabrze in den 1950er Jahren, so der erwähnte Smolorz, noch zu 75 Prozent eine Bevölkerung, die im Deutschen Reich groß geworden war, und auch in der Volksrepublik Polen noch Deutsch sprach, wenn nicht offiziell, dann sicher privat. Bei Familienfeiern im Film hören wir aber alle nur Polnisch reden, die Bewohner singen „Sto lat“ und zur Abwechslung „Poszła Karolinka do Gogolina“, das einzige regionale Volkslied, das wohl einem Polen zum Thema Oberschlesien einfällt, von den Bambino-Plattenspielern hört man angelsächsische Popmusik eines Paul Anka. Selbst wenn es das gab, so war es nicht typisch: In Zabrze wie in ganz Oberschlesien waren zu jener Zeit deutsche Schlager-Platten präsent, die in Paketen oder beim Familienbesuch „aus dem Reich“ in die Region gelangten: Heintje, Udo Jürgens, Hildegard Knef oder Peter Alexander waren mindestens so bekannt wie die im Film zu hörenden Krzysztof Krawczyk und Dżem (die Band gab es zu Zeiten der Filmhandlung noch nicht); schon eher könnte die populäre Oberschlesierin Karin Stanek (Chłopiec z gitarą) für musikalische Stimmung auf Partys in Zabrze sorgten.


Zurück zu dem Anspruch glaubwürdig zu sein: Leider sind alle Schauspieler in Gwiazdy eine Fehlbesetzung, vielleicht bis auf Eryk Lubos, Marian Dziędziel und einen weiteren Oberschlesier im Team, der ausgerechnet einen Sicherheitsbeamten spielt. Keiner der Stars, und davon gib es nicht wenige: Mateusz Kościukiewicz, Sebastian Fabijański, Magdalena Cielecka, Karolina Szymczak sprechen glaubwürdig Oberschlesisch oder Deutsch. Kurios ist auch die Rolle von Adam Woronowicz als westdeutschen Polizisten, der als Kind aus Oberschlesien nach Frankfurt kam, und dem immer noch Polnisch als Deutsch leichter fällt, eine trügerische Annahme! Und bei aller Ehre für den polnischen Fußball (an dem die oberschlesischen Spieler bis 1989 ja ihren stolzen Anteil hatten) drückten die Oberschlesier selbst meistens Beckenbauer & Co. die Daumen, nicht der polnischen Nationalmannschaft. Demnach zeigt die letzte Szene im Film („Wem hast Du Daumen gedrückt?“ fragt der deutsche Polizist den verzweifelten Banaś nach der 0:1-Niederlage gegen die deutsche Mannschaft 1974 im Waldstadion) nur das Wunschdenken des mit der Realität in Oberschlesien nur oberflächlich vertrauten Drehbuchautors aus.

Zum Schluss: Es ist erstaunlich, dass der „wahre“ Jan Banaś am Film mit beteiligt war und auch die Stadt Zabrze einen finanziellen Beitrag zum Film leistete. Es wäre interessant zu erfahren, wie sie sich in dem Film wiederfinden, in dem so vieles dilettantisch, wenn nicht gar die Wirklichkeit verfälschend, daherkommt.



[1] Dawid Smolorz: Die deutscheste Stadt in Polen, siehe: http://wochenblatt.pl/die-deutscheste-stadt-in-polen/ (Arbruf am 28.4.2020)