25.02.2022 - Gesellschaft , Politik, Ukraine

Geplante polnische Hilfe für potenzielle ukrainische Flüchtlinge

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In Polen gibt es aktuell etwa 1,3 Millionen Ukrainer, darunter besteht die große Mehrheit aus Arbeitsmigranten. Wegen der aktuellen Lage hat die polnische Regierung auch neue gesetzliche Regelungen verabschiedet, die es ermöglichen, potentiellen ukrainischen Flüchtlingen Hilfe zu leisten. Regionen wurden gebeten, die Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen zu übermitteln.

Schritte der polnischen Regierung

Die polnische Regierung hat sich seit mehreren Tagen auf die Zuspitzung der Lage in der Ukraine vorbereitet. Am 19. Februar 2022 wurde das Regierungsprogramm – „Unterstützung der Ukrainer“ beschlossen.  Premierminister Mateusz Morawiecki hat auch interministerielle Teams  ernannt: für die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine in der Republik Polen und für die Aufnahme von Verletzten aus dem Gebiet der Ukraine in der Republik Polen.

Die polnische Regierung versichert, dass jeder Ukrainer, der nach Polen einreisen will, hereingelassen werden wird und bleiben darf. Der stellvertretende Außenminister Marcin Przydacz  hat unterstrichen, dass „die Kapazität der polnischen Grenzübergänge sogar bis zu mehreren zehntausend Menschen pro Tag beträgt. Je nach Verlauf des Konflikts können wir also nicht nur mit Tausenden, sondern mit Hunderttausenden und vielleicht sogar noch mehr Menschen rechnen". Er fügte hinzu: "Natürlich werden wir versuchen, all diese Menschen hier unterzubringen“. 

Die lokalen Behörden sollen Listen von Einrichtungen vorlegen, die für die Unterbringung von Ausländern in Frage kommen. Die Woiwoden, also die Regierungsvertreter in den Regionen, haben die Bürgermeister gebeten: „Sie sollten vorrangig solche Zentren angeben, die in weniger als 48 Stunden in Betrieb genommen werden können und Flüchtlinge aufnehmen können. Bitte geben Sie aber auch alle Orte in Ihren Gemeinden an, die für die Aufnahme von Flüchtlingen in Frage kommen, und nennen Sie die dafür benötigte Zeit". Zu den Gebäuden, die besonders zu berücksichtigen sind, gehören Pensionen, Erholungs- und Ausbildungszentren, Wohnheime, Schlafsäle, Hotels und verschiedene Arten von Hallen: Hörsäle, Messen und Sporthallen. Als wichtige Eigenschaften dieser Orte gelten der Zugang zu sanitären Einrichtungen und die Möglichkeit, Verpflegung zu organisieren.

Antwort der Kommunen

Inzwischen wurde bekannt gegeben, dass mehrere Städte und Kommunen solche Orte schon mitgeteilt haben. Die Zahlen sind jedoch nicht vergleichbar und in meisten Fällen nicht öffentlich bekannt. Die Behörden teilen mit, dass sie die Möglichkeiten prüfen und diesbezüglich in Kontakt mit der zentralen Verwaltung stehen. Um ein paar Beispiele zu nennen:

Die Stadt Warschau hat etwa 30 Standorte ermittelt, die für die Unterbringung von Flüchtlingen in Frage kommen, die Stadt Tschenstochau  13 (mit insgesamt 1100 Plätzen). Die Woiwodschaft Kleinpolen wäre bereit, 150 000 Personen aufzunehmen, die Stadt Allenstein 60 Personen. Und der Landkreis Kielce hat rund 200 Einrichtungen, in denen Plätze für Sammelunterkünfte ausgewiesen werden können, genannt.

Das Krisenmanagementzentrum der jeweiligen Provinz wird diese Orte überprüfen und entscheiden, ob sie in die Pläne aufgenommen werden. Die Kosten sollen vom polnischen zentralen Haushalt getragen werden.

Am 24. Februar (Donnerstag)  schrieben die Bürgermeister der 12 größten polnischen Städte in einem Appell an die Regierung: "Die Verpflichtung, Flüchtlingen zu helfen, wird eine große Herausforderung für die Kommunen sein, der wir uns gerne stellen. Daher fordern wir die Regierung auf, den lokalen Regierungen dringend konkrete Informationen über geplante rechtliche und finanzielle Lösungen in dieser Angelegenheit zukommen zu lassen".

Aufruf der Experten

Polnische Migrationsexperten unterstützen diese Vorbereitungen, warnen aber gleichzeitig, dass man eine gute generelle Strategie braucht. In ihrem Aufruf (der einige Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine publiziert wurde) schreiben sie: „Die Ankunft vieler Tausend Menschen in Polen erfordert ein Umdenken und die Vorbereitung eines Hilfssystems, vor allem die Klärung des Rechtsstatus der Ankommenden, die Vorbereitung auf die Aufnahme großer Menschengruppen an der Grenze und die Einrichtung von Aufnahmestellen dort sowie die Planung langfristiger systemischer Hilfe für den Fall, dass der Konflikt anhält. Sie erfordert auch einen garantierten Zugang zu sozialer und medizinischer Hilfe und neue rechtliche Lösungen, einschließlich der Einführung humanitärer Visa und vorübergehender Schutzmaßnahmen, die in einer Situation angewendet werden könnten, in der Zehn- oder sogar Hunderttausende von Kriegsflüchtlingen in Polen ankommen würden. Sicherlich könnten viele der Flüchtlinge zu ihren in Polen oder anderen EU-Mitgliedstaaten lebenden Familien nachziehen.“

Experten befürchten, Polen sei als staatliches System und als eine Reihe von Institutionen oder logistischen Ressourcen nicht bereit eine Million Flüchtlinge (von dieser Zahl war am 24. Februar die Rede) aufzunehmen. „Wir sind nicht in der Lage, eine Million Menschen in einem kurzen Zeitraum unterzubringen. Der Hauptgrund dafür ist das völlige Fehlen eines Dialogs zwischen den Stellen, die hier zusammenarbeiten könnten und sollten - Kommunalverwaltungen, Regierungen, der Nichtregierungssektor. Es gibt keine Einigung und keinen Dialog zwischen diesen Ebenen“, sagt Agnieszka Kosowicz vom Polnischen Migrationsforum.

Andere Stimmen  – aus dem Wirtschaftssektor – unterstreichen, dass die polnische Wirtschaft Arbeitskräfte braucht, was die Aufnahme von Migranten erleichtern werde. Der polnische Arbeitsmarkt ist laut Schätzungen in der Lage, innerhalb von sechs Monaten etwa 0,5 Millionen Arbeitskräfte zu absorbieren, weitere 200 000 könnten später hinzukommen. So können insgesamt 700 000 Menschen nicht nur eine Unterkunft, sondern auch Arbeit finden. In dieser Hinsicht betonen die Experten, es sei von entscheidender Bedeutung, dass für diejenigen, die ein humanitäres Visum oder internationalen Schutz beantragen, ein Schnellverfahren für alle Formalitäten eingerichtet wird, damit sie eine Beschäftigung in Polen aufnehmen können. Dadurch können sie sich schneller anpassen. Es wäre empfehlenswert, wenn die Arbeitsgeber den Flüchtlingen die Möglichkeit einer Lohnvorschusszahlung nach der ersten Arbeitswoche anbieten würden. So können die Geflüchteten von Anfang an ihren Lebensunterhalt sichern.

Entwicklung der Lage seit dem 24.Februar

Am Donnerstag, den 24.02., wurde bekanntgegeben, dass es an der Grenze neun Empfangsstellen geben wird, jeweils vier in den Woiwodschaften Lubelskie und Podkarpackie und eine weitere am Bahnhof in Przemyśl. Der Transport der Flüchtlinge ins Land wird von der Feuerwehr organisiert. Laut dem polnischen Gesundheitsminister gibt es bereits eine Liste von 120 Krankenhäusern im ganzen Land, in denen Verletzte aus der Ukraine aufgenommen werden können. Insgesamt geht man derzeit davon aus, dass mehrere tausend Patienten aufgenommen werden könnten.

Die Ausländerbehörde wird eine Hotline und eine spezielle Website einrichten. Das Sicherheitszentrum der Regierung hat außerdem eine Nachricht vorbereitet, die per SMS verschickt wird, "damit diejenigen, die nach Polen einreisen, umfassend über die Hilfe informiert sind, die wir anbieten können", wie aus der Regierung zu hören ist.

Jeder Flüchtling, der die Grenze überschreitet, wird ein Flugblatt erhalten, auf dem in vier Sprachen Grundinformationen für Flüchtlinge stehen, u.a. Adressen der Empfangsstellen, Telefonnummern und die Internetseite www.ua.gov.pl, wo man weitere Informationen erhalten kann.

Reaktionen von verschiedenen Seiten

In Anbetracht der aktuellen Situation in der Ukraine haben viele Notare im ganzen Land beschlossen, keine Gebühren für die Beglaubigung von Unterschriften auf Dokumenten zu erheben, die z.B. der Ausstellung eines Kinderpasses und der Ausreise aus der Ukraine gelten, sowie auf anderen Dokumenten, die für Ukrainer in der aktuellen Situation notwendig sind.

Das Polnische Rote Kreuz (PCK) startet eine Spendenaktion unter dem Slogan #napomocUkraine. Das PCK ist bereit, Hilfe für ukrainische Staatsbürger zu organisieren, die von dem bewaffneten Konflikt betroffen sind.