01.06.2023 - Gesellschaft , Politik

Für jeden etwas Schönes - der Überbietungswettbewerb mit sozialen Wahlversprechen

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Die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) verdankte ihren Wahlerfolg 2015 unter anderem ihrem Versprechen, das Familiengeld „500 plus“, einzuführen. Ab dem 1. April 2016 erhielten Familien in Polen für das zweite und jedes weitere Kind 500 Złoty pro Monat. Seit dem 1. Juli 2019 (kurz vor den Parlamentswahlen im Herbst des Jahres) wird „500 plus“ bereits ab dem ersten Kind ausbezahlt. In den darauffolgenden Jahren führte die PiS-Regierung weitere Sozialleistungen ein, um die Wähler davon zu überzeugen, die Partei weiter zu unterstützen. Daher konnte man sicher sein, dass auch im Wahljahr 2023 Versprechungen zur Erhöhung bzw. Erweiterung dieser Leistungen gemacht werden würden. Wenn die Opposition Wahlen gewinnen will, muss sie sich entscheiden. Entweder sie tritt mit der PiS in einen Überbietungswettbewerb darüber ein, wer umfangreichere sozialpolitische Wahlversprechen abgibt, oder sie setzt mit dem Ziel einer Haushaltskonsolidierung auf eine Begrenzung der staatlichen Ausgaben. Dieser politische Ansatz dürfte vor allem im liberalen Lager der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) Anklang finden, deshalb konzentriert sich der Text auf die Positionen der PiS und der PO.

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst?

Das Karussell der sozialen Versprechungen wurde bereits von Donald Tusk im März dieses Jahres in Schwung gebracht, als er ankündigte, dass Mütter, die nach der Elternzeit in den Beruf zurückkehren, eine zusätzliche monatliche Leistung in Höhe von 1500 Złoty ausgezahlt bis das Kind das dritte Lebensjahr vollendet hat – erhalten werden. Diese auch scherzhaft als „Oma-Programm“ bezeichnete Unterstützung soll es Müttern ermöglichen, eine Kinderkrippe oder eine Tagesmutter zu bezahlen oder eben  dieses Geld beispielsweise der Großmutter zu geben, die sich um das Enkelkind kümmert (daher der Name Oma-Programm). Nach Ansicht der PO würde dies junge Mütter ermutigen, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Aus Sicht der Partei handelt es sich daher auch eher um eine Maßnahme zur beruflichen Aktivierung als um eine reine Sozialleistung.

Der Vorschlag rief zahlreiche Skeptiker auf den Plan. Dabei stieß weniger die Höhe der Leistung auf Kritik, sondern vielmehr die politische Fantasielosigkeit, die Familienförderung nur als direkte Transferleistung zu denken in der Lage ist und andere politische Lösungen wie eine Erhöhung der Zahl der Kitas, die Flexibilisierung der  Arbeitszeit oder die Erleichterung von Teilzeitbeschäftigung gänzlicher außer Acht lässt. Die Vorwürfe ähneln damit jenen aus dem Jahr 2015, als die PiS „500 plus“ vorgeschlagen hatte. Dazu kommt auch die Frage, wie das „Oma-Programm“ organisatorisch funktionieren soll (wie soll die Leistung ausgezahlt oder mit den anderen Leistungen für Eltern verbunden werden). Insofern wurde die Initiative als reines Wahlkampfgetöse der PO kritisiert.

Ebenfalls als populistisch und durch den Wahlkampf motiviert wurde die Idee der PO bezeichnet, zinsfreie Kredite für den Eigenheimerwerb zu vergeben. Zielgruppe der Initiative waren junge Leute – das Höchstalter für die Inanspruchnahme der Unterstützung sollte 45 Jahre betragen und auf den Kauf der ersten Wohnung beschränkt sein. Dass eine solche Maßnahme vor allem den Bauunternehmen dienen und die Preise auf dem Wohnungsmarkt nur ankurbeln würde, war nicht nur Wirtschaftsweisen klar. Der Vorschlag kam außerdem in einer Zeit, als die PiS-Regierung schon an einem ähnlichen Plan arbeitete. Der PiS-Vorschlag sah jedoch Kredite mit einer Zinshöhe von zwei Prozent vor. Die PO, so die Kommentare dazu, wollte mit ihrem Vorschlag „Nullzins“ die PiS-Pläne überbieten.

Für jeden etwas Schönes

Die Antwort der PiS  kam auf dem Parteikongress Mitte Mai und wurde von Parteichef Jarosław Kaczyński persönlich verkündet. Er versprach, die PiS würde nach einem erneuten Wahlsieg das bestehende Familiengeld ab dem 1. Januar 2024 von 500 auf 800 Złoty erhöhen. Darüber hinaus kündigte der Parteivorsitzende für Kinder und Senioren kostenlosen Zugang zu Medikamenten an und stellte die Abschaffung der Autobahnmaut in Aussicht. So hat die PiS unterschiedliche Wählergruppen angesprochen.

Der Hauptpunkt dieser Wahlversprechen war auf jeden Fall die Ankündigung zur Erhöhung des Familiengeldes. Da die Einführung dieser Leistung als der zentrale Erfolg der ersten Amtszeit der PiS nach der Regierungsübernahme 2015 gesehen wird, war die Nachricht klar – wir lassen nicht nach und kümmern uns weiter um Familien. Im Vergleich zum Jahr 2015 spielt die Frage nach dem Beitrag des Familiengeldes zur Steigerung der Geburtenzahl keine Rolle mehr. Bei einer Geburtenrate von 1,33 Kindern pro Frau im Jahr 2022 im Vergleich zu 1,39 Kindern pro Frau 2015 muss das ursprüngliche Ziel des Familiengeldes als verfehlt betrachtet werden. Dennoch hat „500 plus“ die finanzielle Lage vieler Familien in Polen positiv beeinflusst.

Der versprochene Betrag von 800 Złoty wurde gewählt, um eine Erhöhung des Familiengeldes über einen reinen Inflationsausgleich hinaus zu erreichen. Interessanterweise haben Vertreter der Partei Recht und Gerechtigkeit noch vor wenigen Monaten behauptet, dass selbst eine Erhöhung des Familiengeldes auf 700 Złoty die derzeitigen Haushaltsmöglichkeiten übersteige.

Jarosław Kaczyński hatte wahrscheinlich erwartet, dass die Opposition, insbesondere die PO, auf den Vorschlag negativ reagieren und behaupten würde, der Staat könne sich diese Ausgaben nicht leisten. Dies hätte es der PiS ermöglicht, die Konkurrenz – wie 2015 – als inkompetent und bürgerfern darzustellen. Donald Tusk umging diese Falle und schlug vor, das neue Familiengeld „800 plus“ bereits zum 1. Juni dieses Jahres einzuführen. Frei nach dem Motto: wenn ihr es wirklich machen wollt; warum dann bis nach den Wahlen warten? In der Folge legte die PO dem Sejm einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, was die PiS in eine missliche Lage brachte. Die Regierungspartei reagierte darauf, indem sie erklärte, dass ein solcher Schritt mitten in einem Haushaltsjahr unmöglich wäre (allerdings war „500 plus“ Mitte des (Haushalts-) Jahres 2016, so wie auch die Erweiterung auf das erste Kind in 2019, eingeführt worden) und dass die derzeitige Inflation der Grund dafür sei, mit einer Erhöhung der Leistungen zu warten (Anfang 2024 werde die Inflation nach Angaben der Partei Recht und Gerechtigkeit niedriger sein – dies wurde jedoch bereits mehrfach behauptet).

Die Idee der Erhöhung der Leistung wird von Experten für Sozialpolitik kritisiert. Sie meinen parallel zur Kritik am „Oma-Programm“, dass andere – nicht finanzielle – Programme wie mehr Kitas, mehr Kinderärzte, mehr zahlbare Wohnungen Familien viel stärker unterstützen würden. Und so lasse sich für weniger Geld auch die Kinderarmut besser bekämpfen.

Aber die Wähler halten die Idee für richtig. Die Anhebung der Leistung auf 800 Złoty wird von 54,7 Prozent der Befragten befürwortet. In einer anderen Umfrage wird der Plan von 53 Prozent unterstützt, während 42 Prozent dagegen sind. Dafür sind bei dieser Untersuchung aber vor allem die Regierungsbefürworter (97% von ihnen), bei den Anhängern oppositioneller Parteien sind es nur 29%.

Kostenlose Medikamente für Kinder und Senioren

Ein soziales Versprechen, das sich sowohl an Eltern von minderjährigen Kindern als auch an Senioren richtet, ist die Ankündigung kostenloser Medikamente für alle Personen unter 18 und über 65 Jahren, also für rund 14 Millionen Empfänger. Darunter befinden sich insbesondere viele ältere Menschen, also die traditionelle Wählerschaft der Partei Recht und Gerechtigkeit, für die die Gesundheitskosten eine große finanzielle Belastung darstellen. Der Wahlkampf-Slogan könnte jedoch irreführend sein – es geht nicht um alle Medikamente, sondern nur um ausgewählte, die auf eine spezielle Liste aufgenommen werden. (In Polen werden etwa bislang Arzneimittel zur Behandlung chronischer Krankheiten nicht zu 100 Prozent erstattet, im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern.) Eine solche Liste kostenloser Medikamente gibt es seit 2016 bereits für Menschen über 75. Wie viele und welche Arzneimittel es jetzt sein werden, ist bisher nicht klar. Skeptiker weisen darauf hin, dass die Liste viele teure Medikamente nicht berücksichtigen wird, was ihre Bedeutung vor allem für schwerkranke Patienten in der Praxis erheblich mindert. Die Kosten dieser Reform schätzt das Gesundheitsministerium auf 1,5 Milliarden Złoty jährlich.

Gegen den Strom

Das dritte große Versprechen richtet sich an die Autofahrer. Die PiS hat angekündigt, die Autobahnmaut abzuschaffen. Auch hier ist die Realität komplexer. Dem Staat gehören nämlich nur zwei bislang kostenpflichtige Autobahnabschnitte (hier hat die PiS-Regierung vor, schon ab Juli dieses Jahres die Gebühren für Pkw abzuschaffen). Der Rest liegt in privaten Händen. Falls also auch sie ohne Mautsystem funktionieren sollten, müsste die Regierung sie den Betreibern zuerst abkaufen.

Durch die Abschaffung der Mautpflicht würden dem polnischen Staat allein auf den staatseigenen Strecken mehrere hundert Millionen Złoty pro Jahr entgehen. Hinzu kommt der Wegfall der Maut auf konzessionierten Abschnitten, der viele Milliarden kosten könnte. Das alles kann dazu führen, dass weniger Geld für den Bau neuer Straßen zur Verfügung stehen wird. Die Verkehrsunternehmen befürchten deshalb, dass die Abschaffung der Autobahnmaut für Pkw zu einer Erhöhung der Maut für Lkw und Busse führen wird.

Letztendlich ist zahlreichen Beobachtern klar, dass diese Maßnahme genau im Gegensatz zu den in anderen Ländern eingeführten Modellen steht. Fast überall in Europa will man erreichen, dass die Bürger anstelle des eigenen Autos verstärkt öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Deshalb geht der Trend eher in Richtung der Einführung von Mautsystemen und nicht in Richtung von deren Abschaffung, wie es die PiS nun plant.

The show must go on

Der Überbietungswettbewerb mit immer neuen Wahlversprechen hat sicherlich gerade erst begonnen. Schon jetzt hört man von Plänen der PiS über eine erhebliche Anhebung der Renten. Das sollte die wichtigste (und bevölkerungsmäßig sehr große) Wählerschaft der Partei weiter bzw. noch stärker an sie binden. Auch die PO hat ihr letztes Wort bestimmt noch nicht gesprochen. Sie will zum Beispiel auch den Steuerfreibetrag erhöhen. Ob sich alle diese sozialen Versprechen wirklich für die beiden Konkurrenten – PiS und PO – in einem signifikanten Anstieg des Wählerzuspruchs niederschlagen, wird sich im Herbst zeigen. Einige Experten spekulieren, dass ein Teil der Wähler es genau andersherum sehen beiden Parteien den Rücken zukehren wird. Diese Bürger könnten die kostspieligen Wahlversprechen ablehnen, da am Ende sie es sind, die Steuerzahler, die die Kosten hierfür tragen müssen. Vor allen junge, kinderlose Menschen und Firmenbesitzer kritisieren solche Vorhaben. Sie werden im Wahlkampf deshalb vor allem von den Parteien Polska 2050 und Bauernpartei angesprochen (die als ein Wahlbündnis starten und sich gerade deshalb auch „Der dritte Weg“ genannt haben) sowie zudem von der radikalliberalen und rechtsextremen Konfederacja.