17.12.2020 - Geschichte, Gesellschaft , Politik

Frauen in der polnischen Politik

Woman2 AL 18.12.20 6

 

Gerade in den letzten Wochen haben Frauen im politischen Leben Polens Präsenz gezeigt, als Tausende von ihnen auf die Straßen gegangen sind. Langsam steigen in den letzten Jahren die Zahlen der Frauen im Parlament und in politischen Führungsfunktionen. Es geht aber längst nicht nur um Zahlen. Von einer gleichberechtigten Teilhabe sind Frauen in der polnischen Politik noch weit entfernt.

 

Frauen sind in Führungsfunktionen deutlich unterrepräsentiert, aber ein Wandel hat begonnen

Einerseits sind Frauen in einigen Positionen deutlich unterrepräsentiert, wie die polnische Präsidentschaftswahl 2020 kürzlich zeigte. Unter insgesamt 11 Kandidaten war eine Frau vertreten, die letztlich auch durch einen Mann ersetzt wurde. Nach dem neusten Umbau der polnischen Regierung im Herbst 2020 sitzt im ganzen Kabinett nur eine Frau. Auch im polnischen Außenministerium befindet sich schon seit Monaten keine Frau mehr auf der Führungsebene. Andererseits gab es in den dreißig Jahren nach der Wende 1989 drei Premierministerinnen, drei Sejm-Marschallinnen, eine Außenministerin, eine Chefin der Nationalbank und eine EU-Kommissarin. Das Verfassungstribunal wird von einer Frau geleitet. Auch einige polnische Städte, darunter auch die Großstädte Danzig, Łódź oder Warschau, wurden oder werden von Stadtpräsidentinnen regiert. Frauen prägen also durchaus die polnische Politik, obwohl die gläserne Decke in Polen gut sichtbar ist.

 

Deutschland und Polen im Vergleich

Wie in Deutschland wurde das Wahlrecht für Frauen auch in Polen 1918 eingeführt. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es jedoch eine gesetzliche Regelung zu Quoten. Die Einführung von Geschlechterquoten auf den Wahllisten in 2011 war ein wichtiger Schritt in Richtung der Erhöhung der Präsenz und der Rolle von Frauen in der polnischen Politik. Seither müssen auf jeder Wahlliste des Europäischen Parlaments, des Sejms und von regionalen Parlamenten beide Geschlechter mit einer Quote von 35% vertreten sein. Diese Reform war nicht unumstritten und bis heute sind auch unter Frauen die Meinungen gespalten, ob dies rechtlich geregelt sein sollte. Aber auch Frauen, die ohne rechtliche Regelungen viel erreicht haben, geben zu, dass es ohne solche Regelwerke für Frauen noch schwieriger gewesen wäre an Einfluss zu gewinnen.

Diese Regelung zeigt nämlich Wirkung. Bei der letzten Wahl des Sejm 2019 stellten Frauen 42,1% der Gesamtzahl der Kandidaten auf den Wahllisten dar, was etwas schlechter als vier Jahre (42,4%) und acht Jahre (43,5%) zuvor war. Dennoch sind diese Prozentsätze deutlich höher als in den Jahren 2005 und 2007, als die Quote noch nicht in Kraft getreten war. Damals lag der Frauenanteil bei etwa 23-24%. Auch bei den Ergebnissen der gewählten weiblichen Abgeordneten ist ein stetiges – wenn auch langsames – Wachstum zu beobachten. Das Ergebnis für 2019 (28,7%) ist eineinhalb Prozentpunkte höher als bei den vorherigen Wahlen (27,2%) und fast fünf Prozentpunkte höher als 2011 (23,9%). Vor Inkrafttreten des Quotengesetzes war der Anteil der Frauen im Parlament sogar noch niedriger (20,4%).

Die Einführung der Quotenregelung hat polnischen Frauen auch auf der lokalen Ebene dazu verholfen, in die Parlamente zu kommen. Die Daten für die Wahlen der Woiwodschaftslandtage (Sejmiki) in den Jahren 2010, 2014 und 2018 zeigen eine Erhöhung des Frauenanteils auf den Wahllisten. Im Jahr 2010 stellten Frauen knapp 30 % aller für die Sejmiki Kandidierenden dar. Im Jahre 2014 waren das 44,5 % und 2018 45,8 %.

 

Bedeutet dies, dass das Glas bereits halb voll ist? Nicht unbedingt. Man braucht keine besonderen mathematischen Fähigkeiten, um festzustellen, dass es noch lange dauern wird, bis Frauen in der polnischen Politik so zahlreich repräsentiert sind wie Männer. Sollte der Trend der vergangenen Jahrzehnten anhalten, würde sich der Anteil der im Sejm oder in den lokalen Parlamenten gewählten Frauen erst in 50-70 Jahren dem der Männer angleichen.

 

 

Quoten und Funktionen versus Einfluss

In den Debatten um die Frauenquoten ist nicht selten zu hören, dass nicht nur der Anteil der Frauen, sondern auch die Positionen, die sie innehaben, eine Rolle spielen. Auch hier sollte man aufpassen, da der erste Blick täuschen mag, wie die aktuelle Situation in Polen deutlich zeigt. Der Sejm wird derzeit von einer Sejm-Marschallin geführt. Sie ist seit 1989 bereits die dritte Frau, die diese Funktion besetzt. Im Sejm-Präsidium sitzen aktuell, mit ihr eingeschlossen, vier Frauen und zwei Männer. Zum Vergleich: Im Bundestag sind momentan drei Frauen und drei Männer vertreten. Ähnlich ist der Frauenanteil auch in den beiden Parlamenten der Europa- und Finanzausschüsse. In Polen sind es 22% und 24%, während es in Deutschland 23,1% und 22% sind.  

Die entscheidende Frage bleibt aber, inwieweit diese Frauen einen starken Einfluss auf die Politik haben. Trotz der hohen Ämter ist die Lage in Polen diesbezüglich nicht mehr so rosig. Stehen im Parlament wichtige Entscheidungen an, springt meistens ein Mann ein. Die Frauen der regierenden nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS) Partei geben eher die Worte des Parteivorsitzenden Jarosław Kaczyński wieder, anstatt sich selbst zu Wort zu melden. Keine der Frauen, die in der PiS vorübergehend Karriere gemacht haben, verfügt wirklich über Macht. Weder die Sejm-Marschallin, Elżbieta Witek, noch die Präsidentin des Verfassungstribunals, Julia Przyłębska, oder die ehemalige Regierungschefin, Beata Szydło – keine wird als Autorität wahrgenommen. Szydło, wie auch einige andere ehemalige PiS-Abgeordnete, aber auch die ehemalige PO-Premierministerin, Ewa Kopacz, sitzen heute im Europaparlament und sind nur selten und leise in Polen zu hören. Letztlich mag es aber auch dem persönlichen Charakter der genannten Personen, der Politik der Parteiführung oder der Einstellung zu Frauen in der Gesellschaft geschuldet sein, wie viel Bedeutung ihnen in ihren jeweiligen Positionen zukommt. Auch einige der von Jarosław Kaczyński geförderten Männer üben sehr wenig Einfluss aus, obwohl sie wichtige Posten innehaben.

Bezüglich der heutigen polnischen Regierungspartei lässt sich jedoch sagen, dass sie die Frauenquoten und die Frauen selbst nicht ernst nimmt, was sich dementsprechend deutlich auf deren Rolle auswirkt. Das zeigt auch der Anteil der Frauen in der aktuellen polnischen Regierung. Während sich im aktuellen deutschen Bundeskabinett unter 16 Mitgliedern sieben Frauen befinden, findet man in Polen unter insgesamt 22 Personen (Premier, stv. Premierminister und Minister) im Kabinett nur eine Frau. Vom Frauenanteil war in der öffentlichen Debatte bei der Regierungsgründung und dem späteren Umbau in Polen keine Rede, wohingegen in Deutschland thematisiert wurde, wie viele Frauen Angela Merkel an der Regierung beteiligt.

 

Außenpolitik bleibt Männersache

Wie in Deutschland gibt es auch in Polen immer noch bestimmte Bereiche, in denen wirklich wenige Frauen an wichtigen Stellen vertreten sind. Einer davon ist die Außenpolitik. Viel schlechter als in der Bundesrepublik sieht in Polen die Frauenverteilung im Außenausschuss des Parlaments aus – dort sitzt keine Frau im Präsidium und generell beträgt der Anteil der Frauen gerade mal 16,7% (in Deutschland 26,7%). Wenn es um die außenpolitischen Debatten geht, sind jedoch in beiden Ländern keine Frauen öffentlich wahrnehmbar. Theoretisch ist die Anzahl der Frauen in beiden Außenministerien hoch; dennoch ist die Zahl der polnischen Diplomatinnen auf den höchsten Posten sehr gering. Auf der Führungsebene des Ministeriums befindet sich derzeit keine Frau; Frauen sind vor allem in leitenden Positionen im Bereich der Verwaltung vertreten. In der Regierung der Bürgerplattform (2007 bis 2015) waren wiederum in den wichtigsten Abteilungen sehr viele Frauen in Führungspositionen zu finden, so auch in den Abteilungen für Wirtschaft und Sicherheit, die oft als Männersache gelten. Damals wurden die polnischen Verhältnisse im Vergleich zu den deutschen viel positiver beurteilt.

Deutliche Unterschiede sind in Polen auch im Bereich der Außenpolitik zwischen Think Tanks und Hochschulen sichtbar. In den Think Tanks sind das Bewusstsein für Gleichberechtigung und die Anstrengungen, Frauen nicht zu diskriminieren, relativ hoch und es werden Lösungen entwickelt, um familiäre und berufliche Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren. An den Hochschulen treten hingegen nach wie vor deutliche Formen der Diskriminierung auf und über Maßnahmen für die Gleichstellung von Frauen wird selten nachgedacht. Jedoch hat sich auch hier die Lage in den letzten Jahren verbessert.

 

 

Immer noch zu geringe Sichtbarkeit

Der immer noch zu geringe Frauenanteil in Behörden und Vertretungen sowie die geringe Bedeutung, der sich Frauen in bestimmten Funktionen erfreuen, führen dazu, dass auch ihre Repräsentanz in den politischen Debatten viel zu niedrig ausfällt. Im breit gefächerten polnischen öffentlichen Raum dominieren Männer immer noch deutlich. Das zeigen vor allem auch die wenigen weiblichen Vertreter bei Diskussionsveranstaltungen, wichtigen Treffen oder als Kommentatorinnen in den Medien. Der Grund dafür ist, dass sich der Großteil der Frauen auf den unteren und mittleren Entscheidungsebenen bewegen, wo die Arbeitsintensität am höchsten, der reale Einfluss jedoch eher gering ist. Am Ende wird ein Mann eingeladen, weil die Frau „nur“ seine Stellvertreterin ist, oder, wie oben schon erwähnt, nicht als entscheidungsfähig wahrgenommen wird. Dies hat sich unter der PiS-Regierung leider weiter verschlechtert.

Genauso wichtig wie die Repräsentanz und der Frauenanteil ist es, dass diejenigen Frauen, die es in einflussreiche Positionen geschafft haben oder schaffen wollen, sich hierfür nicht mehr als Männer bemühen müssen. Auch das ist leider noch oft in beiden Ländern der Fall. Hoffnung macht, dass sich in jüngeren Generationen positive Tendenzen entwickeln: Einerseits treten junge Frauen viel selbstbewusster auf, andererseits unterstützen ihre Partner, Vorgesetzten, Mitarbeiter und Kollegen sie dabei. Zusätzlich engagieren sich zunehmend mehr männliche Partner im Haushalt, was den Weg zu mehr Verantwortung in Politik und Gesellschaft für Frauen ebnet.

 

Der Text erschien in Dezember 2020 in der Zeitschrift „Civis“www.civis-mit-sonde.de