10.02.2021 - Gesellschaft , Politik, Kultur

Eine Sondersteuer auf Reklame. Dient der neue Vorschlag der polnischen Regierung zur Sanierung des Staatshaushalts oder zur Einschränkung der Medienfreiheit?

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In der Geschichte der polnischen Medien hat es noch nie einen Protest von solchem Ausmaß gegeben: Unabhängige TV- und Radiosender, Zeitungen, Zeitschriften und Internetportale protestieren am 10.Februar 2021 gleichzeitig. Im Radio ist nur die Ankündigung zu hören, dass heute kein normales Programm gesendet wird, Zuhörerinnen und Zuhörer müssen sich mit dem verlesenen Aufruf zufrieden stellen. Zeitungen haben den für die gesamte Branche gemeinsamen Protesttext auf ihren leeren Titelseiten abgedruckt. Die Informationsseiten im Internet sehen schwarz aus. Das ist der gemeinsame Protest der privaten Medien gegen die Pläne der Regierung, eine zusätzliche Werbesteuer einzuführen. Die Einnahmen daraus sollen, laut der Regierung, aufgrund der von der Pandemie verursachten Zusatzkosten vor allem zur Unterstützung des Gesundheitswesens verwendet werden. In Wirklichkeit, so behaupten die privaten Medien, soll der Vorschlag es ihre Situation verschlechtern und damit die Medienfreiheit in Polen bedrohen. Er erinnert an eine von der Orbán-Regierung 2014 eingeführte Sondersteuer für Medien, durch die die unabhängige Medienlandschaft in Ungarn erheblich eingeschränkt wurde.

 

Ausgangspunkt

Anfang Februar dieses Jahres gab die Regierung bekannt, dass sie an einem Gesetzentwurf zur Einführung einer Steuer für Online- und Print-Werbung arbeitet. Das Finanzministerium erklärte: "Das Projekt sieht vor, zusätzliche Mittel zu beschaffen, die dazu dienen, die langfristigen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu lindern. Sie werden sich aus Abgaben auf Werbung im Internet und in konventionellen Medien speisen." Laut der Regierung soll das Gesetz vor allen "die größten digitalen Giganten", die in Polen Geld verdienen, dazu zwingen, in Polen Steuern zu zahlen.

Der Berechnungsmechanismus ist vielfältig und besteht aus verschiedenen Steuersätzen. Zum Beispiel sollen für TV-, Radio-, Kino- und Außenwerbung bei Werbeeinnahmen von mehr als 1 Mio. PLN 7,5 Prozent zusätzliche Steuern erhoben werden, ab 50 Mio. PLN sollen es 10 Prozent sein. Im Falle der Presse sind die Sätze und Schwellenwerte niedriger. Für Einnahmen aus Werbung für gesundheitsschädliche Produkte, z.B. zuckerhaltige Getränke, sollen höhere Sätze gelten. Die Einnahmen dienen, so der Gesetzentwurf, der Unterstützung des Gesundheitswesens und des Denkmalschutzes. Außerdem soll ein ominöser „Fonds zur Unterstützung von Kultur und Nationalem Erbe im Bereich der Medien“ geschaffen werden. Das Ministerium schätzt, dass sich die Einnahmen im Jahr 2022 auf 800 Mio. PLN belaufen könnten.

Das Thema der Besteuerung von globalen Internetkonzernen, die in jedem Land der EU kolossale Gewinne erzielen, diese in diesen Ländern jedoch nicht versteuern, ist nicht neu. Die Arbeit an einem entsprechenden Richtlinienentwurf wurde vor einigen Jahren von der Europäischen Kommission in Angriff genommen, aber nie abgeschlossen. Die polnische Regierung verweist auf ähnliche Regelungen, die in EU-Ländern wie Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien gelten.

Antwort der Branche

Experten, Vertreter der Wirtschaft und vor allem die Medien selbst bleiben skeptisch. Viele sind der Meinung, dass die Steuer eindeutig Akteure einige auf Kosten anderer begünstigt. Betroffen sind Fernsehsender, Internetkonzerne und große Presseverlage. Kleine Presseverlage (wie diejenigen, die die Partei Recht und Gerechtigkeit unterstützen, auch die von Orlen übernommene Medienholding Polska Press, der viele kleine Verlage als separate Unternehmen angehören) können Werbung künftig um 10 Prozent günstiger anbieten als große.

Die Regierung verweist in ihrem Konzept auf die Notwendigkeit, die durch die Pandemie entstandenen Schäden auszugleichen. Doch die Pandemie selbst hat auch Verlage der traditionellen Presse sowie andere private Medien bereits stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Werbeeinnahmen sind zurückgegangen, die Zeitungsauflagen stark gesunken. Rückläufige Einnahmen aus Verkaufserlösen und Werbung haben den finanziellen Spielraum der Medienunternehmen verringert und sie zu Einsparungen gezwungen. Viele private Medien behaupten deshalb, sie seien durch die Pandemie in eine Krise geraten, die langsam existenzbedrohend wird. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden hingegen von der Regierung mit 2 Milliarden Zloty gefördert. Und noch im letzten Frühjahr versicherte si, dass sie während der Pandemie keine neuen Steuern für Unternehmen erheben werde.

Wirtschaftsexperten weisen auch darauf hin, dass die Steuer zwar ein breites Spektrum von Unternehmen erfassen soll, in der Praxis aber schwer zu berechnen und durchzusetzen sein wird. Es heißt auch, dass das Gesetz nicht, wie von der Regierung angestrebt, vor allem die globalen Internetkonzerne betreffen wird.

Laut dem Gesetzentwurf soll das Gesetz soll am 1. Juli 2021 in Kraft treten. Der Sejm soll sich in März damit befassen.

 

Den Protesttext der unabhängigen Medien veröffentlichen wir hier in deutscher Übersetzung.

Mehr zum Thema Presselandschaft in Polen und über die neusten Ereignisse finden Sie in den Polen-Analysen Nr. 269.

Ein Text zur Lage auf dem Fernseh- und Radiomarkt erscheint am 16.Februar auf https://www.laender-analysen.de/polen-analysen/

 

 

 

Offener Brief an die Behörden der Republik Polen und an die Führer der politischen Gruppierungen

Wir beziehen uns auf die angekündigte neue, zusätzliche Belastung der auf dem polnischen Markt tätigen Medien, die irreführend als „Abgabe“ bezeichnet wird und unter dem Vorwand von Covid-19 eingeführt werden soll. Es handelt sich hierbei um nichts anderes als eine Zwangsabgabe, die den polnischen Zuschauer, Hörer, Leser und Internetnutzer sowie die polnischen Produktionen, Kultur, Unterhaltung, Sport und Medien trifft.

Ihre Einführung bedeutet:

  1. eine Schwächung oder gar Liquidierung eines Teils der in Polen tätigen Medien, was die Möglichkeit der Gesellschaft hinsichtlich der Auswahl der für sie interessanten Inhalte erheblich einschränken wird,
  2. die Einschränkung der Finanzierungsmöglichkeiten hochwertiger und in Polen generierter Inhalte. Deren Produktion sichert derzeit den Lebensunterhalt von hunderttausenden von Mitarbeitern und deren Familien und ermöglicht der Mehrheit der Polen einen weitgehend kostenlosen Zugang zu Informationen, Unterhaltung und Sportveranstaltungen,
  3. eine Vertiefung der Ungleichbehandlung der auf dem polnischen Medienmarkt tätigen Akteure. In einer Situation, in der die staatlichen Medien jedes Jahr 2 Mrd. Złoty aus den Taschen aller Polen erhalten, werden die privaten Medien mit einer zusätzlichen Zwangsabgabe von 1 Mrd. Złoty belastet,
  4. die faktische Bevorzugung von Unternehmen, die nicht in das Entstehen von in Polen generierter Medieninhalte investieren, zu Lasten derjenigen Unternehmen, die am meisten in Polen investieren. Schätzungen zufolge werden die von der Regierung als „globale digitale Giganten” bezeichneten Unternehmen nur etwa 50-100 Mio. Złoty Zwangsabgaben zahlen, im Vergleich zu 800 Mio. Złoty, die von anderen vor Ort in Polen tätigen Medien gezahlt werden.

 

Skandalös ist auch die asymmetrische und selektive Belastung einzelner Unternehmen. Darüber hinaus ist der Versuch einer Änderung der Konzessionsbedingungen während ihrer Gültigkeitsdauer in einem Rechtsstaat unzulässig.

                                                                                                                        

Als Medien, die seit vielen Jahren in Polen tätig sind, entziehen wir uns nicht unseren Pflichten und unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Jedes Jahr zahlen wir eine zunehmende Anzahl von Steuern, Abgaben und Gebühren an den Staatshaushalt (CIT, Mehrwertsteuer, Emissionsgebühren, Abgaben an die Urheberrechts-Organisationen, Konzessionen, Frequenzen, Buchungsentscheidungen, VoD-Gebühren usw.). Darüber hinaus unterstützen wir die schwächsten Gruppen in unserer Gesellschaft mit unserer eigenen karitativen Arbeit. Wir unterstützen die Polen wie auch die Regierung im Kampf gegen die Epidemie, sowohl durch die Vermittlung von Informationen als auch durch die Bereitstellung von Ressourcen im Wert von hunderten Millionen Złoty.

Wir lehnen es daher entschieden ab, die Epidemie als Vorwand zu benutzen, um eine weitere, neue, außerordentlich schwere Belastung der Medien einzuführen – eine dauerhafte Belastung, die die Covid-19-Epidemie überdauern wird.

 

Unterzeichner des Briefes

Agencja Wydawnicza AGARD Ryszard Pajura

Agora S.A.

AMS S.A.

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Dziennik Trybuna

Dziennik Wschodni

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Eleven Sports Network sp. z o.o.

Gazeta Radomszczańska

Green Content sp. z o.o.

Gremi Media S.A.

Grupa Eurozet

Grupa Interia.pl sp. z. o.o.

Grupa Radiowa Agory sp. z o.o.

Grupa RMF

Grupa ZPR

Helios S.A.

Infor Biznes

Kino Polska TV S.A.

Lemon Records sp. z o.o.

Marshal Academy

Music TV sp. z o.o.

Muzo.fm sp.z o.o.

NaTemat.pl

Polityka

Polska Press Grupa

Ringier Axel Springer Polska

STAVKA sp. z o.o.

Superstacja sp. z o.o.

Telewizja Polsat sp. z o.o.

Telewizja Puls sp. z o.o.

TIME S.A.

TV Spektrum sp. z o.o.

TVN S.A.

Tygodnik Powiatu Wołowskiego Kurier Gmin

Tygodnik Powszechny

Wydawnictwo Bauer

Wydawnictwo Dominika Księskiego Wulkan

Wydawnictwo Magraf

Wydawnictwo Nowiny

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 Übersetzt von  Nathalie Waxin