09.07.2020 - Gesellschaft , Politik

Der Kampf um die Unentschiedenen – die Nichtwähler*innen im Fokus vor dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen

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 Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Andrzej Duda und Rafał Trzaskowski wissen, dass am Ende einige hunderttausend, vielleicht sogar nur einige zehntausend Stimmen darüber entscheiden können, wer Präsident wird. Sie versuchen daher, die Wähler*innen der geschlagenen Kandidaten des ersten Wahlgangs auf die eigene Seite zu ziehen. Ob dies letztlich für den Sieg reicht, bleibt bei beiden Kandidaten fraglich. Neben Versuchen, die Anhänger des Konkurrenten zu demobilisieren, kämpfen sie deshalb besonders intensiv um die Nichtwähler*innen des ersten Wahlgangs.

Diese Gruppe war gerade bei diesen Wahlen kleiner als früher. Nur im Jahr 1995 war im ersten Wahlgang die Wahlbeteiligung geringfügig höher (1995 – 64,7%, 2020 – 64,51%). Die heutige Spaltung der Gesellschaft und die starke Polarisierung haben viele Wähler*innen mobilisiert.

 

Tabelle: Präsidentschaftswahlen – Wahlbeteiligung in Polen seit 1990

 

Quelle: Staatliche Wahlkommission

 Dennoch ist eine große Zahl potenzieller Wähler*innen zu Hause geblieben. Die Ergebnisse der exit polls und die offiziellen Daten der Staaatlichen Wahlkommission zeigen, welche Gruppe unter den Nichtwähler*innen besonders zahlreich war. Hiermit lassen sich wiederum einige Ereignisse der letzten Tager des Wahlkampfes erklären.

 

Je größer die Gemeinde, desto mehr Wahlberechtigte stimmen ab

 Der größte Prozentsatz der Wähler ging in Großstädten (ab 500.000 Einwohnern) zur Wahl. Man kann fast (mit einer kleinen Ausnahme) sagen: Je größer die Gemeinde ist, desto mehr Bürger*innen nehmen an den Wahlen teil  – bis zu 72 Prozent in den größten Städten. So wundert es nicht, dass die Kandidaten in den zwei Wochen zwischen erstem und zweitem Wahlgang besonders oft in kleinere Orte gefahren sind, um sich dort den Bürger*innen zu präsentieren. Dabei motivieren sie nicht immer mit positiven Aussagen. Nicht selten schüren sie vorhandene Ängste vor dem Rivalen und wollen so weitere Wähler*innen für sich gewinnen. Andrzej Duda beschreibt Rafał Trzaskowski gerne als Repräsentanten der „Warschauer Eliten“, der die Bürger*innen kleiner Orte nicht verstehe. Trzaskowski wiederum zeigt sich in seiner Funktion als Bürgermeister (er ist Stadtpräsident von Warschau) als Kenner der täglichen Sorgen auf kommunaler Ebene und wirft Duda und der PiS-Partei vor, die kommunale Verwaltung zu unterdrücken.

 

Tabelle : Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach Woiwodschaften

Quelle: Staatliche Wahlkommission

 

Karte: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach Woiwodschaften (je dunkler die Farbe, desto höher die Wahlbeteiligung)

 

 Quelle: Staatliche Wahlkommission

 

 Tabelle: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 in Großstädten (über 250000 Einwohner)

 

Quelle: Staatliche Wahlkommission

 

Tabelle: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach Stadt und Land

 

Quelle: Staatliche Wahlkommission

 

Tabelle: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach der Bevölkerungszahl der Gemeinde

 

Quelle: Staatliche Wahlkommission

 

Die Jüngsten und die Ältesten bleiben oft zu Hause

Auch das Alter der Wähler*innen spielt eine besondere Rolle. Die geringste Wahlbeteiligung war einerseits bei den jüngsten und andererseits bei den ältesten Wähler*innen zu verzeichnen.

 

Grafik: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach Altersgruppen laut Nachwahlbefragungen

 

 Quelle: IPSOS für TVN24, TVP und Polsat.

 

Während die Ergebnisse bei den jüngsten Wählern nicht überraschen, da diese Gruppe immer schwer zu mobilisieren war, mögen die niedrigen Zahlen bei den über Sechzigjährigen auf den ersten Blick verwundern. Die Antwort liegt in der Corona-Pandemie. Gerade diese Personengruppe hat am meisten Angst vor der Krankheit und ist deshalb teilweise zu Hause geblieben. Die gerade für diejenigen, die sich um die Gesundheit sorgen, eingeführte Möglichkeit per Briefwahl abzustimmen (mehr dazu im Blogbeitrag Nr. 5), haben diese Wähler*innen nicht genutzt, weil der Beantragungsprozess kompliziert wirkte. Das genau ist wiederum die Wählerschaft von Andrzej Duda. Die Ergebnisse der Nachwahlbefragungen zeigen, dass bei den Wähler*innen über Fünfzig der amtierende Präsident in der ersten Runde gewonnen hätte.

 

Tabelle: Unterstützung für die einzelnen Kandidaten im ersten Wahlgang 2020 nach Altersgruppen laut Nachwahlbefragungen

 

Quelle: IPSOS für TVN24, TVP und Polsat.

 Deshalb wollen die PiS und Duda diese Gruppe besonders stark ansprechen und davon überzeugen, am 12. Juli in die Wahllokale zu gehen. So sind die Worte von Premierminister Mateusz Morawiecki zu verstehen, dass man vor dem Coronavirus keine Angst haben solle, und seine Ermutigung an die älteren Menschen, sich vor den Wahllokalen zu „drängen“. Dabei muss betont werden, dass sich die Daten über die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Polen nicht wesentlich von denen im April unterscheiden, als Gesundheitsminister Łukasz Szumowski argumentierte, dass Wahlen mit traditionellem Urnengang frühestens in zwei Jahren stattfinden sollten. So kann man auch eine jüngst von der Regierung eingeführte Regelung verstehen. Senioren über 60, Menschen mit Behinderung und schwangere Frauen müssen am kommenden Sonntag beim zweiten Wahlgang nicht in der Schlange warten, sondern dürfen außer der Reihe abstimmen. Grundlage ist eine Verordnung des Gesundheitsministeriums. Auch wenn die Verordnung richtig ist, weil sie die gesundheitlich Schwächeren schützt, kann man sie als Wink mit Zaunpfahl verstehen, um die potenzielle Wählerschaft von Andrzej Duda zum Urnengang zu bewegen.

Die beiden Kandidaten tun auch einiges, um diese Wähler für sich zu überzeugen. So hat Andrzej Duda schon am Wahlabend nach dem ersten Wahlgang die 14. Monatsrente angesprochen. Sie wurde schon vor einigen Monaten von der PiS versprochen (nach dem die 13. Monatsrente kurz vor der Europawahlen 2019 ausgezahlt wurde), noch ist sie aber nicht verabschiedet und angesichts der Virenkrise wird von vielen bezweifelt, ob sie jemals beschlossen wird. Der amtierende Präsident hat sie aber wieder ins Spiel gebracht. Auch die antideutschen Stimmen, die gerade in den letzten Tagen des Wahlkampfes von ihm zu hören waren, richteten sich an die ältere Wähler, die angeblich (die repräsentativen Untersuchungen der Deutsch-Polnischen Barometer Studie bestätigen dies nur teilweise) dafür empfänglicher sind. Rafał Trzaskowski weiß, dass er bei dieser Wählergruppe weniger erreichen kann, trotzdem hat auch er einen Versuch gemacht. Genauer gesagt hat sich hier seine Frau geäußert und vorgeschlagen, über die Ergänzung der Renten von Müttern um 200 PLN (50 Euro) monatlich nachzudenken.

In wieweit diese Maßnahmen sich als wirksam erweisen werden und wer von den beiden Kandidaten es schaffen wird, mehr Nichtwähler*innen zu mobilisieren, wird sich am 12. Juli zeigen. Am Ende sind viele weitere Aspekte (Urlaubszeit, Mobilisierung der bisherigen Wähler*innen, Wählerwanderung) genauso relevant für das endgültige Ergebnis.