02.06.2021 - Politik

Der Deal mit der PiS: Ein Schritt zur Konsolidierung der polnischen Linken

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Nach dem erfolgreichen Abschneiden bei den polnischen Sejm-Wahlen 2019, als das linke Parteienbündnis Lewica mit beachtlichen 12,6 Prozent der Stimmen den Wiedereinzug ins Parlament feierte, schien die polnische Linke zuletzt in der medialen Versenkung verschwunden. Bei den letztjährigen Präsidentschaftswahlen erlitt der Lewica-Kandidat, der EU-Parlamentarier Robert Biedroń, mit gerade einmal 2,2 Prozent der Stimmen bereits im ersten Wahlgang eine verheerende Niederlage. Auch von den Ende 2020 im Rahmen des Gesamtpolnischen Frauenstreiks (Ogolnopolski Strajk Kobiet) organisierten Protesten gegen eine weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts, an denen zahlreiche Abgeordnete der Linken teilnahmen, konnte das Bündnis kaum profitieren. Erst durch die Unterstützung des von der polnischen Regierung eingebrachten Gesetzes zum sogenannten Eigenmittelbeschluss, der den Weg für den EU-Wiederaufbaufonds freimacht, geriet die polnische Linke jüngst wieder vermehrt in die Schlagzeilen.

Der Deal

Zur Bekämpfung der negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mitgliedstaaten hat die Europäischen Union den Wiederaufbaufonds NextGenerationEU (NGEU) mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro ins Leben gerufen. Zur Beschaffung der finanziellen Mittel zur Ausstattung des Fonds will die EU Kredite am internationalen Finanzmarkt aufnehmen, wobei die Mitgliedstaaten für die Rückzahlung garantieren. Voraussetzung für das Inkrafttreten des Wiederaufbaufonds ist daher die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten zum sog. Eigenmittelbeschluss im Einklang mit den jeweiligen mitgliedstaatlichen Verfassungen.

In Polen hatte die europaskeptische Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska), die als Juniorpartner gemeinsam mit den Parteien Porozumienie und Recht und Gerechtigkeit (PiS) die polnische Regierung bildet, frühzeitig angekündigt, dem Gesetz nicht zuzustimmen, da der Eigenmittelbeschluss der EU weitreichende neue Kompetenzen einräume und somit die Souveränität des polnischen Staates bedrohe. Solidarisches Polen, mit dem polnischen Justizminister Zbigniew Ziobro an der Spitze, lehnt eine Ausweitung der Kreditaufnahmefähigkeit der EU, für die die Mitgliedstaaten bürgen, ab. Zudem fürchtet die Partei, die EU-Kommission könne die Auszahlung der Gelder an Rechtsstaatlichkeitskriterien knüpfen, was der Justizminister als treibende Kraft hinter dem Umbau des polnischen Justizwesens verhindern möchte. Da die Regierungskoalition Vereinigte Rechte lediglich über eine Mehrheit von drei Mandaten im Parlament verfügt, war die PiS in dieser Situation auf die Zustimmung der Opposition angewiesen.

Am 27. April trafen die Spitzen des linken Parteienbündnisses, Włodzimierz Czarzasty (Nowa Lewica, ehemals SLD), Robert Biedroń (Wiosna) und Adrian Zandberg (Razem) mit Premierminister Mateusz Morawiecki und weiteren Vertretern der PiS zusammen, um über die Bedingungen einer Zustimmung zum EU-Wiederaufbaufonds durch die Abgeordneten der Linken zu beraten. Die Linke stellte der Regierung insgesamt sechs Forderungen:

  1. Mindestens 30 Prozent des Wiederaufbauplans für die Selbstverwaltungseinheiten
  2. Bau von 75.000 günstigen Mietwohnungen
  3. 850 Mio. Euro für Kreisspitäler
  4. 300 Mio. Euro für durch die Pandemie geschädigte Firmen
  5. Berufung einer Kommission zum Monitoring der Ausgaben im Rahmen des Wiederaufbaufonds
  6. Vorlage eines detaillierten Plans zu den Ausgaben aus dem Darlehensteil

Die Regierung von Ministerpräsident Morawiecki stimmte sämtlichen Forderungen zu und machte somit den Deal perfekt. Am 4. Mai stimmten die Abgeordneten der Linken gemeinsam mit der PiS-Fraktion für die Annahme des Gesetzes und machten damit den Weg für den EU-Wiederaufbaufonds frei. Gleichwohl konnte die Einigung zwischen der stärksten Kraft der Regierungskoalition Vereinigte Rechte und der zweitstärksten Oppositionsformation im Parlament nicht ohne Reaktionen bleiben. Die Entscheidung der Linken, sich auf einen Deal mit der PiS einzulassen, stieß auf ein geteiltes Echo.

Die Reaktionen

Vertreter der PiS zeigten sich wenig überraschend voll des Lobes ob der Unterstützung der Linken für den EU-Wiederaufbaufonds. So würdigte der PiS-Fraktionsvorsitzende, Ryszard Terlecki die Linke als „verantwortungsbewusste Opposition“ und Premierminister Morawiecki dankte im Anschluss an die Abstimmung „allen, die sich über das Parteikalkül erhoben haben“. Die Linke selbst wiederum begründete ihr Vorgehen mit ihrer Verantwortung für Polen und die europäische Gemeinschaft. Ein Scheitern des Gesetzes hätte im Zweifel den gesamten Wiederaufbaufonds in Frage gestellt, zumindest aber sein Inkrafttreten verzögert. Kritik an dem Deal kam verständlicherweise von Seiten der parlamentarischen Opposition. So erklärten Vertreter der rechtsnationalistischen Konfederacja, die PiS habe „sich mit den Kommunisten geeinigt“ und gefährde mit dem europäischen „Verschuldungsfonds“ die polnische Souveränität. Die Bürgerkoalition (KO) wiederum, die sich als stärkste Oppositionsfraktion bei der Abstimmung enthalten hatte, warf der Linken „Verrat“ vor. Ähnlich harte Kritik an der Linken war vom Aushängeschild des Gesamtpolnischen Frauenstreiks, Marta Lempart, zu vernehmen, wenngleich sich andere Aktivistinnen von dieser Pauschalkritik distanzierten. Die Linke habe Kaczyński „eine helfende Hand gereicht“ anstatt ihm das Leben schwerzumachen, so Lempart.

Das Kalkül der Linken

Worin bestand das Kalkül der Linken, sich auf einen Deal mit der PiS einzulassen? Vor allem drei Aspekte scheinen ausschlaggebend. Die erste wichtige Botschaft der Linken lautet, dass sie im Zweifel bereit ist, das Wohl des Landes über den Parteienzwist zu stellen. Dabei dürfte es der Linken tatsächlich um ihre Verantwortung für die Polen und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegangen sein. Wie in anderen Ländern sind auch in Polen zahlreiche Unternehmen, Selbstständige und Arbeitnehmern durch die Corona-Krise arg gebeutelt worden. Eine Verzögerung der Verabschiedung des Gesetzes zum EU-Wiederaufbaufonds aus parteipolitischen Gründen wäre hier nur auf wenig Verständnis gestoßen. Dies legen auch Umfragen nahe, in denen sich eine klare Mehrheit der Unterstützer der Oppositionsparteien für eine Annahme des Gesetzes ausspricht. Zum zweiten dürfte es der Linken, die zuletzt merklich an Schwung verloren hatte, darum gegangen sein, ein politisches Lebenszeichen zu senden und ihre Handlungsfähigkeit als eigenständige politische Kraft unter Beweis zu stellen. Die Linke wollte die Gelegenheit nutzen, der Wählerschaft zu zeigen, dass sie selbst aus der Opposition heraus im Stande ist, zumindest Teile ihres politischen Programms durchzusetzen. Drittens gelang es der Linken zumindest kurzfristig wieder ins mediale Rampenlicht zurückzukehren, nachdem das Parteienbündnis zuletzt in der Versenkung verschwunden schien.

Trotz durchaus berechtigter Kritik, etwa an der Hinterzimmerdiplomatie, durch die der Deal zustande kam oder daran, eine Chance verpasst zu haben, noch weitreichendere Forderungen durchzusetzen, scheint das Vorgehen der Linken aus parteipolitischen Gründen nachvollziehbar. In den vergangenen Monaten konnte sich das Bündnis in den Umfragen bei gut 9 Prozent stabilisieren. Das ist nach der herben Schlappe bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr zwar ein ordentliches Ergebnis, aber immer noch weit weg von den 12,6 Prozent, die die Linke bei den Parlamentswahlen 2019 unterstützt hatten. Der Wunsch der Linken nach Konsolidierung ist verständlich, schließlich konkurriert sie mit anderen und stärkeren politischen Formationen bisweilen um die gleiche Wählerschaft. So finden sich sozialpolitische Punkte auch im Programm der PiS wieder. Die neue Partei Polska 2050 um den Politik-Newcomer Szymon Hołownia wiederum hat sich die Trennung von Kirche und Staat auf die Fahnen geschrieben und auch die Bürgerkoalition liebäugelt bisweilen mit einer Liberalisierung des rigiden polnischen Abtreibungsrechts. Damit finden sich zentrale programmatische Forderungen der Linken im Angebot anderer Parteien wieder. Hier stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Existenzberechtigung einer Partei, die mit weniger als 10 Prozent Unterstützung derzeit kaum eine realistische Machtoption besitzt.

Eine Alternative wäre gewesen, dem Vorschlag von Senatsmarschall Tomasz Grodzki folgend, auf die wenig realistische Option eines Auseinanderbrechens der Vereinigten Rechten und vorgezogene Neuwahlen zu setzen. Allerdings ohne überzeugende programmatische und personelle Alternativen und ohne Koalitionsalternativen zur aktuellen Regierung. Für die Linke ging es auch darum, sich gegenüber der Bürgerkoalition zu profilieren, die das Parteienbündnis bisweilen als reine Verfügungsmasse einer KO-geführten Opposition zu sehen schien. Als Juniorpartner einer solchen Koalition hätte die Linke wohl auch nicht mehr ihrer Forderungen durchsetzen können, als es ihr nun durch den Deal mit der PiS gelungen war. Zudem nutzte die Linke die anhaltende innere Krise der KO aus, deren Vorsitzender Borys Budka es bislang nicht verstanden hat, die Partei programmatisch und personell neu aufzustellen und daher regelmäßig zur Anti-PiS-Rhetorik zurückkehrt, die zwar eine maximale Polarisierung innerhalb der polnischen Wählerschaft bewirkt, der Partei aber bei sechs aufeinanderfolgenden Wahlen nur Niederlagen einbrachte.

Wie der Vorsitzende von Nowa Lewica, Włodzimierz Czarzasty bei Radio TOK FM erklärte, müsse die Opposition, um die nächsten Parlamentswahlen für sich zu entscheiden, einen Teil der heutigen PiS-Wählerschaft überzeugen, die Seiten zu wechseln. Die Linke wolle „einen Teil der sozialen PiS-Wählerschaft“ von sich überzeugen, der mit dem Umbau des Justizsystems nicht einverstanden ist.

Ausblick

Der Deal der Linken mit der PiS brachte die polnische Parteienlandschaft erneut in Bewegung. Wojciech Mazarski sprach in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza gar von „einer radikalen Reorganisation der politischen Szene Polens“. Dabei scheint die Bewertung des Deals vor allem eine Frage der Perspektive. Aus Sicht der parlamentarischen Opposition half die Linke der PiS aus einer (weiteren) Regierungskrise heraus und schwächte damit die Chancen auf einen baldigen Regierungswechsel. Für die Linke selbst dürfte aktuell jedoch eher die eigene Konsolidierung als fester Bestandteil des polnischen Parlaments im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die Niederlage bei den Sejm-Wahlen 2015 als die Linke den Einzug ins Parlament verpasste, sind den Verantwortlichen ebenso in Erinnerung geblieben wie das Schicksal zahlreicher einst großer linker Parteien anderer europäischer Staaten, die heute in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Zudem stehen für zwei Partner des Dreiparteienbündnisses im Oktober große Veränderungen an, wenn sich Robert Biedrońs Wiosna und Nowa Lewica (ehemals SLD) vereinen werden. Im Zuge dessen werden sich interne Machtkämpfe, etwa in der Frage des Zugangs zu erfolgversprechenden Listenplätzen bei den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2023 kaum vermeiden lassen. Zumal sich dann abermals die Frage stellt, wie sich Razem in dem neuen Zweierbündnis behaupten wird. Verständlicherweise ist der Linken derzeit vor allem daran gelegen, ihren Aufenthalt im polnischen Parlament auf Dauer zu stellen. Damit dies gelingt, muss sie sich intern konsolidieren und nach außen von den anderen Parteien inhaltlich abgrenzen. Der Deal mit der PiS scheint ein Schritt auf diesem Weg zu sein.