17.06.2020 - Gesellschaft , Politik

„Das ist eine Schande und ein Gestank“: Emotionen im polnischen Präsidentschaftswahlkampf. Kommentierte Auszüge aus einer Rede Andrzej Dudas in der oberschlesischen Provinz

Duda 1 Header

Die polnischen Präsidentschaftswahlen sind, zehn Tage vor der ersten Runde, in ihre heiße Phase eingetreten. Laut Meinungsumfragen wird Amtsinhaber Andrzej Duda zwar mit deutlichem Vorsprung in die zweite Runde einziehen, vor dem liberalen Kandidaten Rafał Trzaskowski von der oppositionellen Bürgerplattform (PO), doch in der zweiten Runde am 12. Juli können die beiden Lager jeweils in etwa mit der Hälfte der abgegebenen Stimmen rechnen. Die Nervosität nimmt zu.

Weil das Rennen voraussichtlich so eng sein wird, und weil von seinem Ausgang so viel abhängt – mehrjährige Machtabsicherung durch die PiS oder Verhinderung der weiteren Machtkonsolidierung durch die PiS –, nehmen die Reden der derzeit durch das Land reisenden Kandidaten zunehmend schrille Töne an. Insbesondere Duda hat in den letzten Tagen seine Wortwahl verschärft. Beispielhaft soll im Folgenden ein nur leicht gekürzter Auszug aus seiner Rede in der oberschlesischen Kleinstadt Głogówek (Oberglogau) am 13. Juni analysiert werden.

Dabei wird deutlich: Der Wahlkampf wird in Polen sehr emotional geführt. Andrzej Duda operiert mit der Hassfigur Donald Tusk, um Anhänger zu mobilisieren. Und er betont aktuelle Kernthemen der Rechten, nämlich LGBT und Familie, um klare Frontstellungen zu errichten und um seine Wählerschaft zu konsolidieren.

Bei schönstem Wetter sagte Duda – eingefangen von den Kameras des staatlichen Fernsehens TVP, die ihn meist begleiten – Folgendes (die Rede kann man sich hier ansehen: https://www.tvp.info/48515119/prezydent-tusk-to-chyba-najwiekszy-klamca-polityczny-iii-rp)

Donald Tusk ist immer noch da

„(…) heute, vor einem Augenblick, schreibt er [Donald Tusk] (…)“

Deutlich wird der Versuch, den wichtigsten Oppositionskandidaten Trzaskowski mit der Erinnerung an den einstigen Ministerpräsidenten Tusk zu kontaminieren: Tusk, dem die PiS vieles Übel des gegenwärtigen Polen zuschreibt, ist beim harten Wählerkern der PiS eine Hassfigur, die negativ identitätsstiftend wirkt. Tusk kommentiert in seinen Tweets derzeit sparsam, aber meinungsstark die polnische Innenpolitik.

„(…) dass das, was ich über den Schutz der Familie sage, dass ich es nicht erlauben werde, dass unsere Kinder in der Grundschule mit Ideologie und Sexualisierung indoktriniert werden (…)“

In den vergangenen Tagen hat Duda in seinem Wahlkampf sehr scharf gegen LGBT Front gemacht. Damit nutzt er die Tatsache aus, dass Rafał Trzaskowski in seiner Funktion als Warschauer Oberbürgermeister die Schirmherrschaft für die Gleichheits-Parade in seiner Stadt übernommen hatte. Seitdem hängen ihm die PiS und andere Gruppen das Etikett an, „Schwulenfreund“ zu sein, was ihn in den Augen konservativer Wähler belasten soll.

„Aber ich sage es so: Schande! Es ist eine Schande zu lügen! Einfach den Menschen in die Augen zu sagen, dass das Renteneintrittsalter nicht erhöht wird, und das nur deshalb, um die Wahlen zu gewinnen, und um es nach den Wahlen gleich zu erhöhen.“

Duda greift auch hier ein altes politisches Streitthema auf: Die PO-geführte Regierung hatte 2013 trotz anderslautender Versprechen angesichts der demographischen Entwicklung und der problematischen Finanzierung der Rentensysteme die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters beschlossen. Die PiS verlangte in den Wahlkämpfen des Jahres 2015 die erneute Reduzierung (Frauen auf 60, Männer auf 65 Jahre) und setzte das nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen im Herbst 2015 auch gleich um. Seitdem behauptet sie, die Opposition würde nach einem möglichen Wahlsieg das Renteneintrittsalter sofort wieder erhöhen.

Eine herabwürdigende Sprache  

„Das ist eine Schande! Das ist eine Schande und ein Gestank, der sich das ganze Leben lang hinter einem solchen Politiker herzieht. Das ist eine Schande! Das ist eine Schande, ein Betrug und eine Lüge, die einen solchen Menschen für immer aus der Politik eliminieren sollte. Für immer.“

Die politische Sprache in Polen ist schon seit langem derber als in Deutschland, die Worte „Schande“ und „Lüge“ besitzen – neben dem Begriff „Verrat“ – insbesondere für die rechte Hälfte der politischen Szene einen geradezu mythischen Klang, um den politischen Gegner zu diskreditieren. Vor allem Donald Tusk ist hier zum Hassbild geworden, und Duda vermengt ihn und Trzaskowski in seiner Rede geschickt, um die in der Bevölkerung vorhandenen negativen Emotionen gegen die Liberalen weiter anzufachen.

„Und vielleicht hat er sich gerade deshalb nicht getraut, bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten, sondern sich zuerst hinter den Schultern von Frau Małgorzata Kidawa-Błońska versteckt, der Sejmmarschallin, und jetzt hinter HerrnRafał Trzaskowski,und hinter ihrem Rücken lauert er heute. Ein Lügner, wohl der größte politische Lügner in der Geschichte der Dritten Republik.“

Es wird deutlich, dass im Wahlkampf von Andrzej Duda Themen der in den Erfahrungshorizont der Wähler fallenden Vergangenheit wichtig sind. Die PiS hat stets vergangenheitsbezogene Themen verwendet, etwa die Notwendigkeit einer Abrechnung mit „postkommunistischen“ Seilschaften oder der „postkommunistischen“ Judikative. Nicht die Zukunft sollte bewältigt werden, sondern negative Aspekte der Vergangenheit behoben oder ausgemerzt werden.

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„Und darum, meine Damen und Herren, hat dieses Polen eine Reparatur benötigt, es musste nach Tusk repariert werden. Und darum habe ich, so wie versprochen, gleich nach dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen ein Gesetzesprojekt vorgelegt, um diese Anhebung des Renteneintrittsalters aufzuheben und das zuvor geltende Rentenalter wiederherzustellen. (…)“

Staatspräsidenten haben in Polen das Recht, Gesetzesvorschläge in den Sejm einzubringen, was Duda mit dem Renten-Gesetz tatsächlich auch getan hat. Andererseits haben polnische Präsidenten nur beschränkte Möglichkeiten, in die politische Exekutive einzugreifen. Deshalb ist es zur guten Tradition geworden, dass Kandidaten jede Menge konkrete Programme versprechen und Amtsinhaber sich in der Rückschau jede Menge Verdienste zuschreiben. Damit wollen sie Wähler ansprechen, in deren Vorstellungswelt die Amtsgewalt eines US-Präsidenten oder eines russischen Präsidenten das Bild auch von der Amtsführung des polnischen Präsidenten prägt.

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 „Die elementare Gerechtigkeit ist wiederhergestellt worden. Ich habe auch Unterstützung für die Familie versprochen. Und die Familie hat Unterstützung bekommen. Das Programm 500+ war einer der besten Einfälle, die in den letzten dreißig Jahren in Polen realisiert wurden, es setzt die Bestimmungen der polnischen Verfassung am besten um – und ich will das hier mit ganzer Macht unterstreichen. Hauptsächlich ihren Artikel 18, der besagt, dass der Staat Familie, Mutterschaft und Geburt schützt.“

Als größten Erfolg schreibt sich Duda das Programm 500+ zu, das rasch nach dem PiS-Wahlsieg im Herbst 2015 von der Regierung eingeführte Kindergeld. Tatsächlich wird Duda in der Bevölkerung mit dieser seinerzeit von ihm selbst im Wahlkampf geforderten sozialpolitischen Maßnahme assoziiert. Gleichzeitig flicht er in seine Bemerkungen ein, wie wichtig die Verfassung für ihn sei, was angesichts der Tatsache, dass ihm die Opposition mehrfachen Verfassungsbruch vorwirft, von besonderer Relevanz ist.

Für die traditionelle Familie

„Ich brauche nicht zu sagen, dass die Familie vor allem die Ehe ausmacht, und die Ehe ist eine Verbindung von Frau und Mann, in Übereinstimmung mit der polnischen Verfassung. Die Verfassung, so bestimmt es die polnische Verfassung in Artikel 18. Ja. Und genau auf die polnische Verfassung (…) bezieht sich die von mir vorgeschlagene Familiencharta (…) – der Schutz der Familie, der Rechte der Eltern, ihre Kinder nach ihrer Weltanschauung und ihren Überzeugungen zu erziehen.“

Gerade im ländlichen und kleinstädtischen Polen sind konservative weltanschauliche Fragen nach wie vor von großer Relevanz, und in den letzten Tagen hat Andrzej Duda seine Wahlkampfäußerungen noch einmal entsprechend verschärft. Während sich die wichtigsten Gegenkandidaten – mit Ausnahme des Nationalisten Krzysztof Bosak – in weltanschaulichen Fragen tolerant äußern und einer – Robert Biedroń von den Linken – sogar offen homosexuell lebt, stilisiert sich Duda zum Verteidiger der traditionellen Werte. Damit will er auch das Selbstbewusstsein einer Gesellschaftsgruppe stärken, die sich durch die jüngsten Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche und den massiven Vertrauensverlust der Kirche in die Defensive gedrängt fühlt.

„Und niemand hat das Recht, gegen den Willen der Eltern Kinder zu ideologisieren, indem ihre Sexualisierung in der Grundschule, in den untersten Klassen, erzwungen wird. Damit bin ich nicht einverstanden und ich werde das nie erlauben. Meine Pflicht als Präsident der Republik ist die Verteidigung der traditionellen Familie.“

Duda bezieht sich auf Wünsche einiger Gruppen, die sexuelle Aufklärung in den Schulen auszubauen, was die PiS als „Sexualisierung“ bezeichnet, also als Propagierung von Sex bei Kindern. Außerdem wendet Duda sich dagegen, unterschiedliche Lebensmodelle als gleichberechtigt darzustellen.  In Polen sind gleichgeschlechtliche Ehen oder Lebenspartnerschaften bis heute nicht erlaubt.

„Natürlich gibt es in Polen Freiheit, jeder kann die Ansichten haben, die er haben will, und hat das Recht, nach diesen Ansichten seine Kinder so zu erziehen, wie er will, ob er nun gläubig ist oder kommunistische Ansichten hat (…). Aber ich wünsche mir nicht, dass man in den Schulen gegen den Willen der Eltern den Kindern eine Weltanschauung aufzwingt, denn die Schulen sind nicht für die weltanschauliche Indoktrinierung da.“

Die Versicherung, für die Aufrechterhaltung von Freiheit und Meinungspluralismus zu sorgen, gehört zu den Standardargumenten der PiS, der ja von Seiten der Opposition oder auch internationaler Beobachter immer wieder vorgeworfen wird, genau diese einzuschränken. Aber Duda sagt auch, dass es Grenzen gibt, und zwar dort, wo der Kern polnischer Identität betroffen sei. Dieses hochgespielte Thema ist jedoch angesichts der gesellschaftlichen Realitäten und der Unterrichtspraxis in Polen eigentlich nur ein vorgeschobenes Problem, das es ermöglicht, implizit das „gesunde“, konservative Polen einem liberalen, „sexualisierten“ oder sonstwie zersetzten Westen gegenüberzustellen.

Inwieweit Duda mit seinem Wahlkampf Erfolg haben wird, ist offen. Kommentatoren weisen darauf hin, dass er mit seinem betont scharfen Auftreten gerade in weltanschaulichen Fragen nur eine Minderheit der Wähler – die sogenannte „harte Wählerschaft“ der PiS – ansprechen kann, gleichzeitig aber riskiert, gemäßigt konservative Wähler zu verlieren. Vermutlich handelt es sich aber nur um die Taktik vor dem ersten Wahlgang, während Duda sich in den zwei Wochen vor der Stichwahl Duda als besonnener, überparteilich agierender Präsident darstellen wird, während sein Widersacher – vermutlich Rafał Trzaskowski – zur Wählermobilisierung wahrscheinlich stärker polarisierende Themen aufwerfen wird.