13.05.2020 - Politik, Gesellschaft

Briefwahl in Polen – kaum Erfahrungswerte, aber zahlreiche Kontroversen

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Die Idee der allgemeinen Briefwahl für alle Wahlberechtigten ist in Polen nicht völlig neu, aber nach wie vor eher unbekannt. Dabei existierte auch in Polen zumindest für eine Wahlperiode das Recht auf Briefwahl. Damals haben aber nur wenige Bürger davon Gebrauch gemacht, so dass die Prozeduren in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt sind und die Verwaltung für diese Wahlmethode kaum vorbereitet ist. In Deutschland hingegen ist die Briefwahl seit Jahrzehnten etabliert und wird immer häufiger genutzt: Bei den Bundestagswahlen 2017 machten über 28 Prozent der Wähler von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Anders als in Deutschland, das die Möglichkeit, bei den Bundestagswahlen per Brief seine Stimme abzugeben, seit 1957 kennt, fand die Briefwahl in Polen erstmals 2011 Eingang ins Wahlgesetz. Und während sie in Deutschland von Beginn an sämtlichen Wählern offenstand (bis 2008 war jedoch eine spezielle Begründung notwendig), war die Möglichkeit der Briefwahl in Polen zunächst auf Menschen mit Behinderungen bzw. Wähler im Ausland beschränkt. Nach jahrelangen Bemühungen zahlreicher Nichtregierungsorganisationen und etlicher positiver Erfahrungen mit der Anwendung des neuen Verfahrens in der Praxis führte 2014 die damals amtierende Regierungskoalition von Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) und Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) die Briefwahl als allgemeine Wahlmöglichkeit in das polnische Wahlrecht ein. Damit stand bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2015 erstmals allen polnischen Wahlberechtigten im In- und Ausland die Möglichkeit der Briefwahl offen.

Die Resonanz bei der Wählerschaft war begrenzt. Wer sich von der Wahlrechtsänderung einen Anstieg der Wahlbeteiligung versprochen hatte – dies wurde als einer der wichtigsten Gründe für die Einführung der Briefwahl diskutiert –, wurde enttäuscht. Die neue Möglichkeit der Briefwahl wurde gerade einmal von einigen wenigen zehntausend Wählern genutzt, die meisten davon Auslandspolen. Bereits bei den folgenden Parlamentswahlen im Jahr 2019 wurde die Möglichkeit wieder drastisch eingeschränkt. Nach der von der amtierenden Regierung von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) eingeführten Wahlrechtsänderung hatten fortan nur noch Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, ihre Stimme per Brief abzugeben. Bei der Gesetzesnovelle machte die PiS vor allem Sicherheitsbedenken geltend. Die Briefwahl schien der polnischen Regierung zu anfällig für Fälschungen.

Doch wie stehen die polnischen Bürgerinnen und Bürger zum Thema Briefwahl? Die geringe Erfahrung der polnischen Gesellschaft mit der Briefwahl und wohl auch das wenig ausgeprägte Vertrauen in politische Institutionen lässt viele polnische Bürger dem Thema skeptisch gegenüberstehen. 2018 gaben in einer Umfrage 73 Prozent der Befragten an, den traditionellen Urnengang im Wahllokal bei der Stimmabgabe zu bevorzugen. Jüngste Umfragen zeichnen mit Zustimmungswerten zur Briefwahl zwischen 30 und 57 Prozent ein ambivalenteres Bild. Gleichwohl sind diese Werte mit Vorsicht zu genießen, wurde hier doch konkret nach der Teilnahme an den ursprünglich für den 10. Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen gefragt. Die Zahlen spiegeln demnach auch den hohen Grad der politischen Polarisierung der politischen Gesellschaft wider, die die Zustimmung zur Briefwahl mit einem Votum für Amtsinhaber Andrzej Duda und die PiS-Regierung gleichsetzte.

Wie wir wissen, fanden die Wahlen am 10. Mai nicht statt. Dennoch lassen sich aus den Daten wichtige Schlüsse ziehen, zumal die für Juni bzw. Juli zu erwartenden Präsidentschaftswahlen den Wählern voraussichtlich eine Wahlmöglichkeit zwischen dem traditionellen Gang ins Wahllokal und der Briefwahl offenhalten. Zweifelsohne ist auch in diesem Fall erst noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten, damit die polnischen Wähler Vertrauen in das ungewohnte Briefwahlverfahren gewinnen. Die jüngsten Versuche, die Briefwahl im Hauruckverfahren einzuführen, waren hier jedenfalls wenig hilfreich. In Zukunft müsste es daher darum gehen, klare und transparente Regeln zur Vorbereitung und Durchführung der Briefwahl aufzustellen, vor allem was den Versand der Wahlunterlagen und des Stimmzettels angeht. Dies müsste auch von einer breit angelegten Informationskampagne begleitet werden.

Vielleicht braucht eine breitere Akzeptanz der Briefwahl in Polen vor allem Zeit. Hier mag ein kurzer Blick über Oder und Neiße zum Nachbar Deutschland aufschlussreich sein. Zwar nutzt heute weit über ein Viertel der deutschen Wähler das Recht, die Stimme per Brief abzugeben. Allerdings war dies nicht immer so. Bei ihrer Einführung bei den Bundestagswahlen 1957 machten gerade einmal 4,9 Prozent der Wähler von dieser Möglichkeit Gebrauch. Wahrscheinlich benötigt auch die polnische Politik Zeit, um sich jenseits tagespolitischer Konjunkturen von den Möglichkeiten der Briefwahl zu überzeugen.

 

 

Briefwahl in Polen - Zahlen

Präsidentschaftswahlen 2015

Zahl der Wahlberechtigten insgesamt – 30,7 Mio.

Erster Wahlgang

Zahl der abgegebenen Stimmen insgesamt – 15 Mio.

Zahl der Wählern, an die die Briefwahlunterlagen verschickt wurden – 42 814

 

Stichwahl

Zahl der abgegebenen Stimmen insgesamt –  16,9 Mio.

Zahl der Wählern, an die die Briefwahlunterlagen verschickt wurden – 56 845

 

Parlamentswahlen 2015

Zahl der Wahlberechtigten insgesamt – 30,6 Mio.

Zahl der abgegebenen Stimmen insgesamt– 15,6 Mio.

Zahl der Wählern, an die die Briefwahlunterlagen verschickt wurden- 45 538

 

Parlamentswahlen 2019 – per Brief wahlberechtigt nur Behinderte

Zahl der Wählern, an die die Briefwahlunterlagen verschickt wurden - 2104

Zahl der Briefwahlunterlagen, die zurückgekommen sind – 2057

 

Quellen:

Państwowa Komisja Wyborcza https://pkw.gov.pl/wybory-i-referenda/

Bundeszentralle für politische Bildung https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/bundestagswahlen/280218/wahlbeteiligung-und-briefwahl

Jarosław Zbieranek, Głosowanie korespondencyjne – ważne ułatwienia dla Wyborców https://www.batory.org.pl/upload/files/Programy%20operacyjne/Masz%20Glos/Glosowanie%20korespondencyjne%20%E2%80%93%20wazne%20ulatwienia%20dla%20wyborcow%20.pdf

 

 

 

Aktualisierung vom 19.Juni

 

Für die am 28.Juni stattfindenden Präsidentschaftswahlen gilt:

 

Es wurde die Möglichkeit eingeführt, per Briefwahl zu wählen. Um von ihr Gebrauch zu machen, müssen sich die Wähler entsprechend registrieren. Anderenfalls müssen sie persönlich im Wahllokal in ihrer lokalen Gemeinde abstimmen. In einigen Staaten ist für die hier lebenden Polen die Briefwahl die einzige Möglichkeit, an den Wahlen teilzunehmen.

 

Staaten, wo nur Briefwahl möglich ist:

  • Großbritannien;
  • Frankreich;
  • Italien;
  • Spanien;
  • Irland;
  • Deutschland;
  • Schweiz;
  • Vereinigte Staaten;
  • Kanada

 

Staaten, wo es nur in Wahllokalen (vor allem in Konsulaten) möglich ist zu wählen:

  • Indien;
  • Vereinigte Arabische Emirate;
  • Katar.

 

Staaten, wo die Wahlen in beiden Formen stattfinden:

  • Tschechische Republik;
  • Slowakei;
  • Schweden;
  • Russland;
  • Südafrika;
  • China;
  • Australien;
  • Neuseeland;
  • Brasilien.

 

Bürger, die per Briefwahl abstimmen wollen, mussten sich bis zum 16. Juni registrieren. Briefunterlagen bekommen sie danach per Post zugeschickt. Die Polen im Ausland müssen sie danach auf eigene Kosten an das Konsulat zurückschicken. Briefwähler in Polen müssen den Umschlag auch entsprechend adressieren (mit der Adresse der lokalen Wahlkommission) und in einen Briefkasten der Polnischen Post werfen. In beiden Fällen bestehen auch Möglichkeiten, die Briefunterlagen persönlich abzugeben.

 

Mehr zu Wahlen im Ausland (auf Polnisch)

https://www.gov.pl/web/dyplomacja/glosowanie-za-granica

Mehr zur Briefwahl bei den Wahlen am 28.Juni 2020 (auf Polnisch) https://pkw.gov.pl/aktualnosci/informacje/informacja-o-mozliwosci-skorzystania-przez-kazdego-wyborce-z-korespondencyjnego-trybu-glosowania-ora