28.05.2020 - Geschichte, Gesellschaft , Politik, Kultur

Alle reden Polnisch. Deutsch-polnische Geschichte im polnischen Film (2)

Der junge Bodo verlaesst Warschau um in Posen auf Deutsch Schauspiel zu studieren c Akson Film

Der junge Bodo verlässt Warschau, um in Posen Schauspielkunst (auf Deutsch) zu lernen. In der Hauptrolle Antoni Królikowski.

Polens Filmindustrie verdankt ihre hohe Popularität im Lande und den internationalen Erfolg der letzten Jahre talentierten Regisseurinnen und Regisseuren, vor allem aber auch wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspielern, die ihr Können tagtäglich sowohl auf der Bühne als auch im Fernsehen und auf der Kinoleinwand beweisen. Am besten spielen sie natürlich Filmcharaktere, die in Polens Geschichte wie Gegenwart eingetaucht sind. Nun ist Polens Geschichte und Gegenwart oft mit der deutschen verbunden, so dass im polnischen Film relativ oft deutsche weibliche und männliche Filmrollen zu besetzen sind. Bisher fuhren die meisten Produktionsstudios eine Casting-Politik, die polnische Schauspieler für deutsche Rollen engagiert. Schauspieler, die in der Regel nur gebrochen Deutsch sprechen, was einem gewöhnlichen Zuschauer wahrscheinlich nicht auffällt. Leider fällt es einem aufmerksamen Zuschauer auf. Das ist kein Ruhmesblatt für den polnischen Film.

Diese These möchte ich am Beispiel von drei Filmen aufzeigen, die in den letzten Jahren in Polen gedreht wurden und deren Handlung sich mit der deutsch-polnischen Nachbarschaft verbindet, wo jedoch polnische Schauspieler den Anspruch nicht erfüllen, glaubhaft eine Deutsche oder einen Deutschen zu spielen. Es geht um die TV-Serie Bodo von Michał Kwieciński (2016 auch als gleichnamiger Kinofilm gedreht), die Grenz-Wende-Ballade Yuma von Piotr Murlak (2012) und Sługi boże von Mariusz Gawryś (2016).

Bodo – wie war das doch in Posen?

Der Film wie die TV-Serie Bodo zeigt die Karriere des polnischen Sängers Bohdan Eugène Junod, genannt Bodo, der es geschafft hat, zu den größten polnischen Entertainern der Zwischenkriegszeit aufzusteigen. Das Werk ist insgesamt ästhetisch und musikalisch gelungen, hinter der Großproduktion steht das Akson Studio, eines der größten polnischen Filmproduktionsstudios. Bodo hat als werdender oder schon etablierter Star auf Warschaus Filmfirmament natürlich Kontakte mit Deutschen. Gleich zu Beginn seiner Karriere geht er von Lodz über Warschau nach Posen (im ehemaligen Deutschen Reich), um dort Schauspieler zu werden, muss aber zunächst als Platzanweiser arbeiten. Was erstaunt: Alle Posener Gestalten, vom Direktor über Schauspieler und Tänzerinnen bis zum gesamten Theaterpersonal, sprechen im Film Polnisch. Schon merkwürdig: Auf der Bühne singen alle Deutsch, hinter der Bühne aber reden alle Polnisch mit deutschen Einwürfen, das soll offensichtlich signalisieren, dass sich die Szene in einem deutschen Theater abspielt. Das Schuldeutsch der polnischen Schauspieler ist dabei auffällig, manchmal sogar dilettantisch, dass es nur Schmunzeln hervorruft. Das Sprachwirrwarr zeitigt noch erstaunlichere Blüten: Der Direktor spricht in einer Szene dann doch ein paar ganze Sätze Deutsch, die von seinem Assistenten für die Künstler auf der Bühne ins Polnische übersetzt werden. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass im Posen des Jahres 1915 sicherlich kein Großpole einen Dolmetscher aus dem Deutschen brauchte und schon gar kein Schauspieler oder Tänzer. Der Eindruck, der dabei entsteht, ist irreführend: Posen war auch noch nach fast 120 Jahren preußischer (und deutscher) Dominanz immer noch so polnisch, dass selbst Bühnenkünstler im deutschen Theater (!) kein Deutsch konnten. Dadurch soll wohl Distanz zum Deutsch als Sprache der Besatzer hergestellt werden. So denkt man vielleicht in Warschau, wo fast alle polnische Filme entstehen … In Wirklichkeit kann es ganz anders gewesen sein – alle außer Bodo sprachen ein richtiges Deutsch, und wenn dort jemand einen Dolmetscher brauchte, dann er! Wie der Drehbuchautor den beschriebenen Sachverhalt gegenüber Regisseur und Produzent begründete, wäre an dieser Stelle wirklich spannend zu erfahren.

Yuma – ein Pole spielt einen Deutschen, der radebrechend Polnisch spricht …

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Die Grenzballade Yuma zeigt ein in Polen bekanntes Prozedere, das einige als „kleiner Diebstal-Grenzverkehr“, andere als „späte geschichtliche Gerechtigkeit“ auffassen. Zyga, gespielt von Jakub Gierszał, dem wohl einzigen polnischen Schauspieler, der akzentfrei Deutsch spricht, kommt an die Spitze einer Clique von Kleinganoven, die durch einfallsreiche Ladendiebstähle in der deutschen Grenzregion zum materiellen Wohl der polnischen Gemeinde Brzegi beiträgt. Noch vor der Wende hat er dem flüchtigen DDR-Bürger Ernst geholfen, sich in die bundesdeutsche Botschaft in Warschau zu begeben, nun – ein paar Jahre nach der Wende – begegnen sie einander wieder und buhlen um dieselbe Frau. Der ansonsten bemerkenswerte Schauspieler Tomasz Schuhardt wird hier der Rolle des Deutschen Ernst nicht gerecht, man merkt schnell, dass sein Deutsch bemüht ist, dadurch wird die Rolle nicht glaubwürdig gespielt. Oft wechselt Ernst ins „bemühte“ Polnische, aber wer glaubt schon, dass ein Deutscher fließend, wenn auch bemüht Polnische spräche. Hinzu kommt noch ein wichtiger sprachlicher Kontext: Es soll sich in Polen (leider nicht beim Casting zu dem Film) herumgesprochen haben, dass Deutsche in einigen an Polen grenzenden Bundesländern einen erkennbaren Akzent haben, um den sie in Deutschland nicht beneidet werden. Hier einen deutschen Schauspieler (z.B. aus Sachsen) einzusetzen, würde die Rolle des Ernst retten, denn auch wenn der Film an sich insgesamt sehenswert ist, so weiß der Zuschauer nicht, warum die schöne Polin Maja den wortkargen Deutschen dem Lokalmatador Zyga vorzieht.

 Schuldeutsch reicht einfach nicht!

Sługi boże ist ein Thriller der besonderen Art, in dem eine Breslauer Kirchengemeinde Zeuge von verdächtigen Selbstmordfällen junger Frauen wird. Im Hintergrund bewegt sich eine Mafia, die Profite aus dem Verkauf von ehemaligem Kirchenvermögen zieht und über ehemalige Stasi-Agenten Verbindungen zum Vatikan hat. Die Berliner Polizistin Ana Wittesch kommt zur Verstärkung des Ermittlungsteams nach Breslau, warum und vor allem wie das offiziell möglich ist, bleibt dem polnischen Kommissar Warski (Bartłomiej Topa) aber genauso wie dem Zuschauer unklar. Lange weiß man auch nicht, was Ana eigentlich tun soll: Den angeblichen Selbstmord einer deutschen Studentin aufklären oder verdeckt im Auftrag des Berliner Erzbischofs an der Vatikan-Affäre arbeiten. Hier zeigt das Drehbuch Schwächen, denn erstens darf kein deutscher Polizist offiziell in Polen ermitteln, die Filmemacher verwechseln den katholischen mit dem evangelischen Bischof (es wird mehrmals der evangelische Berliner Dom gezeigt), und was ein deutscher Kirchenmann mit Vatikangeschäften der polnischen Kirche zu tun hat, bleibt erklärungsbedürftig. Ana, die polnische Wurzeln hat (gespielt von Julia Kijowska), spricht Deutsch mit polnischem Akzent, und wie schon Schuchard in Yuma wechselt sie schnell ins „bemühte“ Polnische. Das muss schief gehen. Offensichtlich glauben Casting-Manager, dass polnische Schauspieler, die Schuldeutsch sprechen wie Kijowska, die „deutsche“ Rolle gut ausfüllen. Dem ist nicht so, denn diese Situation schafft Verwirrung. Ist Ana Deutsche, die zugleich schlecht Deutsch und schlecht Polnisch spricht? Hierzu hätte man eine deutsche Schauspielerin mit polnischem Migrationshintergrund verpflichten sollen. Eine, die wie Ana in Berlin groß geworden ist, aber auch von zu Hause aus Polnisch mit deutschen Akzent spricht. Das wäre authentischer. Filme, die nicht authentisch wirken, landen auf dem Regal, so auch Sługi boże.

Nun aber auch positive Beispiele: Die teuerste polnische Filmproduktion aller Zeiten, Warschau 44 (Miasto 44 von Jan Komasa, 2014) ließ sich in dieser Hinsicht nichts vorwerfen, den Deutschen Johann Krauss, der vom Kommandanten Kobra (Tomasz Schuchardt, diesmal als Pole) gerettet wird, spielt Max Riemelt, auch sonst hört man deutsche Soldaten Deutsch sprechen. Es geht also!
Einen Sonderfall stellt Juliusz Machulskis Komödie AmbaSSada dar, in dem zwar auch Polen Deutsche spielen, aber wie!!! Wer Adam „Nergal“ Darskis Deutsch als Reichsaußenminister Ribbentrop hört, staunt nicht schlecht, und Robert Więckiewiczs Hitlerrolle ist großartig, inklusive der undeutlich daherkommenden, aber unheimlich witzig gestalteten Aussprache! Das hätte nun wirklich ein großes deutsches Publikum verdient! Übrigens: Über deutsche Aussprache der polnischen Schauspieler hat hier ein Deutscher aus Warschau gewacht – Fred Apke, Glückwunsch! Insgesamt ist AmbaSSada – auch dank der deutsch-polnischen Misch-Sprache – ein Leckerbissen für das deutsch-polnische Publikum!