Polen nach der Wahl
DPI-Blog #132
Die Polinnen und Polen haben gewählt. Nach zehn Jahren wird Amtsinhaber Andrzej Duda aus dem Präsidentenpalast ausziehen und für einen Nachfolger Platz machen. Am vergangenen Sonntag, den 18. Mai fand der erste Wahlgang statt.

Die Polinnen und Polen haben gewählt. Nach zehn Jahren wird Amtsinhaber Andrzej Duda aus dem Präsidentenpalast ausziehen und für einen Nachfolger Platz machen. Am vergangenen Sonntag, den 18. Mai fand der erste Wahlgang statt
Kaum Überraschungen
Das Ergebnis des ersten Wahlgangs hält kaum echte Überraschungen bereit. Wie erwartet zogen die beiden Favoriten Rafał Trzaskowski von der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) mit 31,63 Prozent und der von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) unterstützte Karol Nawrocki mit 29,54 Prozent in die Stichwahl am 1. Juni ein. Ihnen folgen Sławomir Mentzen von der rechtsextremen Konföderation (Konfederacja) mit 14,81 Prozent und der für antisemitische Ausfälle und Verschwörungstheorien bekannte Grzegorz Braun, der früher ebenfalls der Konföderation angehörte, mit 6,34 Prozent. Auf den Plätzen 5 bis 7 landeten Szymon Hołownia vom Dritten Weg (Trzecia Droga) mit 4,99 Prozent, Adrian Zandberg von der Partei Razem mit 4,86 Prozent sowie Magdalena Biejat von der Neuen Linken (Nowa Lewica) mit 4,23 Prozent.
Durchgesetzt haben sich die Kandidaten des sogenannten Duopols PO-PiS, das seit rund zwanzig Jahren die polnische Politik bestimmt. Allerdings gelang es sowohl Trzaskowski als auch Nawrocki im ersten Wahlgang lediglich ihr jeweiliges Kernelektorat zu mobilisieren. Dies entspricht zusammengenommen rund 60 Prozent der Gesamtwählerschaft und stellt die geringste Mobilisierungsquote des Duopols aller Präsidentschaftswahlen seit 2005 dar. Fast 40 Prozent der Wählerschaft stimmten demnach für andere Kandidaten.
Ist die politische Rechte gestärkt? Nicht unbedingt!
Allseits kommentiert wird das starke Abschneiden von Braun. Der rechtspopulistische EU-Abgeordnete wurde aus der Konföderation ausgeschlossen, als er seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben hatte. Schließlich hatte die Partei mit Sławomir Mentzen bereits einen Kandidaten benannt. Braun gilt als Troublemaker der politischen Szene Polens, der immer wieder durch antisemitische und antiukrainische Äußerungen und kontroverse Aktionen auffällt und vor allem Protestwähler anzieht. Der Parteiausschluss Brauns mobilisierte seine Wählerschaft zusätzlich.
In dem stark polarisierten Wahlkampf, in dem die beiden Spitzenkandidaten vor allem darauf bedacht waren, keine Fehler zu machen, um keine potenziellen Wähler zu verprellen, können (rechts-) extreme Kandiaten wie Braun reüssieren. Grzegorz Braun hat diese Gelegenheit zweifelsohne genutzt. Er führte einen intensiven Wahlkampf, wobei er auch von den Auftritten in den diversen Debatten und Interview-Formaten der vergangenen Wochen profitierte, die landesweit große Aufmerksamkeit erhielten.
Andererseits ist das rechte politische Lager im Vergleich zu den Wahlen von vor fünf Jahren kaum gewachsen, sondern hat sich lediglich stark fragmentiert.
Gelbe Karte für die Regierung
Das Ergebnis von Rafał Trzaskowski wurde durch die Unzufriedenheit einiger Wähler mit der Regierungspolitik beeinflusst. Das bekamen auch die beiden anderen Kandidaten von Parteien der Regierungskoalition zu spüren. So blieben die Ergebnisse von Magdalena Biejat und Szymon Hołownia weit hinter denen ihrer Parteien bei den Parlamentswahlen 2023 zurück. Auch hier fordert die allgemeine Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierungskoalition ihren Tribut.
Doch die Enttäuschung hält sich in Grenzen. So schnitt Biejat weitaus besser ab als Robert Biedroń, der 2020 für die Linke gerade einmal 2,2 Prozent erreichte, und Magdalena Ogórek, die 2015 für die Vorgängerpartei SLD nicht mehr als 2,4 Prozent erhielt. Auch Hołownias Ergebnis lag klar über dem von Władysław Kosiniak-Kamysz, der 2020 nur 2,4 Prozent für die Polnische Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) einfuhr und den PSL-Kandidaten Adam Jarubas, der 2015 lediglich 1,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinte. Biejat betonte zudem, dass dies das beste Ergebnis einer weiblichen Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen in der Geschichte Polens sei.
Demografie spielt eine Rolle
Diese Wahlen bestätigten erneut die politische Spaltung Polens, die sich grob an den Grenzen der Woiwodschaften und dem allgemeinen Stadt-Land-Gefälle orientiert. Während der Westen und Norden die KO favorisiert, stimmen im Süden und Osten des Landes überproportional viele Wähler für die PiS.
Bei den jüngeren Wählern wiederum sind Mentzen und Zandberg die Favoriten. Gerade diejenigen Wähler, die bei den Parlamentswahlen 2023 zum ersten Mal ihre Stimme abgegeben haben, sind von der Regierungsarbeit enttäuscht, da der große Politikwechsel und die entsprechenden Reformen ausgeblieben sind. Nicht zuletzt diese Wählergruppe hat sich bei den Präsidentschaftswahlen von den Kandidaten der Regierungsparteien abgewendet und ihre Stimmen anderen Mitbewerbern gegeben.
Überhaupt fällt die Generationskluft zwischen den jungen Wählern, die mehrheitlich für Mentzen und Zandberg stimmten, und den älteren Wählern, die mit gut 90 Prozent für das Duopol PO-PiS stimmten, ins Auge. Sollte sich dieser Trend verfestigen, stünde der polnischen Politik in absehbarer Zeit ein Rückzug des Duopols aus Altersgründen ins Haus.
Auswirkungen auf die Stichwahl
Addiert man im Hinblick auf die Stichwahl am ersten 1. Juni die Stimmen des rechten Lagers, das für Karol Nawrocki stimmen könnte, so zeichnet sich ein leichtes Übergewicht gegenüber den potenziellen Unterstützern Rafał Trzaskowski ab. Doch diese Art der Wahlarithmetik taugt kaum für eine Prognose. Gerade die Wählerschaft außerhalb des Duopols fühlt sich weit weniger an ihre Kandidaten gebunden und wird auch deren etwaigen Empfehlungen für die Stichwahl nur bedingt folgen.
Dass die Unterstützer von Grzegorz Braun am 1. Juni Karol Nawrocki ihre Stimme geben werden, ist alles andere als gesichert. Und ob die Wähler Sławomir Mentzens einer möglichen Wahlempfehlung folgen würden, ist mehr als fraglich. Gerade diejenigen Wähler, die eine Alternative zum Duopol PO-PiS gesucht haben, könnten der Stichwahl gänzlich fernbleiben, dies gilt sowohl für potenzielle Unterstützer Nawrockis als auch für potenzielle Unterstützer Trzaskowskis. Letzterer dürfte in der KO-Wählerschaft im zweiten Wahlgang durchaus noch ein paar Prozentpunkte Steigerungspotenzial sehen. Die kommenden zwei Wochen bis zur endgültigen Entscheidung über den neuen polnischen Präsidenten werden daher vor allem von Mobilisierungs- und Demobilisierungskampagnen geprägt sein. Aller Voraussicht nach wird es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen, über dessen Ausgang am Ende Nuancen entscheiden werden.
Dementsprechend begannen sowohl Trzaskowski als auch Nawrocki noch am Wahlabend damit, die unterlegenen Kandidaten und deren Wählerschaft zu umgarnen. Zudem haben beide für den 25. Mai jeweils einen Großmarsch in Warschau angekündigt. Im Vorfeld der Parlamentswahlen 2023 brachte ein Marsch Tausende Anhänger der Bürgerkoalition zusammen und mobilisierte diese Wählerschaft. Trzaskowski baut auf ein ähnliches Szenario, dem Nawrocki nicht nachstehen wollte, weshalb er noch am Wahlabend mit der Ankündigung eines eigenen Marsches nachzog. Gleichzeitig dürften die Chancen Trzaskowskis, eine größere Anzahl von Unterstützern für den Marsch zu mobilisieren, weitaus größer sein als im Falle Nawrockis.
Eine Überraschung gab es dann doch
Die Wahlbeteiligung betrug 67,31 Prozent. Noch nie zuvor in der Geschichte der Dritten Republik nahmen derart viele Polinnen und Polen am ersten Urnengang der Präsidentschaftswahlen teil. Die Rekordwahlbeteiligung ist umso bemerkenswerter, als Umfragen zufolge davon ausgegangen werden konnte, dass gerade einmal 60 Prozent beabsichtigten, an der Abstimmung teilzunehmen. Bei der Stichwahl könnte die Beteiligung sogar noch einmal ein klein wenig ansteigen. Es könnten diese Prozentpunkte sein, die am Ende den Ausschlag über den Wahlsieg geben.