Karol Nawrocki wird der nächste polnische Präsident: Was sind die Konsequenzen?

03.06.2025
Dr. Agnieszka Łada-Konefał, Bastian Sendhardt

Karol Nawrocki wird der nächste polnische Präsident: Was sind die Konsequenzen?

DPI-Blog #135

“Wir haben gewonnen”, verkündete Rafał Trzaskowski, Kandidat der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO), am Wahlabend, kurz nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse aus den Exit Polls gegen 21 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt lag Trzaskowski mit 50,3 Prozent knapp vor seinem Kontrahenten in der Stichwahl, dem von der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS)  unterstützten Karol Nawrocki mit 49,7 Prozent. Doch Trzaskowskis Freude über den vermeintlichen Wahlsieg wähnte nur kurz. Wenige Minuten nach 23 Uhr sahen die Ergebnisse der Late Polls, die eine weitaus höhere Genauigkeit aufweisen als die Exit Polls, Nawrocki mit 50,7 Prozent vor Trzaskowski mit 49,3 Prozent. Gegen 5:30 Uhr am Montagmorgen herrschte dann schließlich Gewissheit. Karol Nawrocki hatte die Stichwahl mit 50,89 Prozent (10 606 628 Stimmen) für sich entschieden und Trzaskowski mit 49,11 Prozent  (10 237 177 Stimmen) auf den zweiten Rang verwiesen. Karol Nawrocki wird damit der nächste polnische Präsident werden und das bei einer Rekordwahlbeteiligung von 71,6 Prozent.

Warum hat Nawrocki gewonnen und Trzaskowski verloren?

Das Wahlergebnis war denkbar knapp. Letztlich machten 369.591 Stimmen den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage aus. Für Trzaskowski war dies eine Verbesserung im Vergleich zu den Wahlen 2020, als der Abstand zu Wahlsieger Andrzej Duda 422.385 Stimmen betrug. Dies reichte allerdings nicht aus, um Karol Nawrocki in der Stichwahl zu schlagen. Nawrocki gelang es, den Großteil der Wähler, die im ersten Wahlgang für einen rechten Kandidaten wie Sławomir Mentzen oder Grzegorz Braun gestimmt hatten, für sich zu gewinnen.

Trzaskowski hingegen ist es nicht gelungen, das Wählerpotenzial des liberal-demokratischen Lagers vollends auszuschöpfen. Zwar erreichte er im zweiten Wahlgang mehr Wähler als noch 2020, blieb aber weit hinter den 11.599.090 Stimmen zurück, die die Parteien der aktuellen Regierungskoalition und die außerhalb der Regierung verbliebene Partei Razem bei den Parlamentswahlen 2023 erhalten hatten. Letztlich geriet die Präsidentschaftswahl auch zu einer Art Referendum über die bisherige Arbeit der von Premierminister Donald Tusk geführten Regierungskoalition, die nach gut anderthalb Jahren Amtszeit in einem Umfragetief steckt.

Was sind die Konsequenzen für …

… Polen?

Der knappe Wahlausgang ist Ausdruck der politischen Polarisierung in Polen, die sich jedoch weniger an Sachfragen als an dem Duopols PO-PiS orientiert.[1] Dementsprechend war der Wahlkampf auch stark von persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Nawrocki und Trzaskowski bestimmt. Mehrere polnische Beobachter der politischen Szene sehen in den diesjährigen Präsidentschaftswahlen den Anfang vom Ende des Duopols PO-PiS, das seit gut zwanzig Jahren die polnische Politik prägt. Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs deuten in der Tat auf eine Schwächung des Duopols PO-PiS hin, das eigentlich das Duopol Tusk-Kaczyński ist. Hier wird ein Generation Gap sichtbar. Während die älteren Wähler in ihrer überwältigenden Mehrheit für Nawrocki oder Trzaskowski und damit einen Vertreter des Duopols votiert haben, gingen die Stimmen der Jungwähler in der ersten Wahlrunde mehrheitlich an die Kandiaten des rechten (Sławomir Mentzen) bzw. linken politischen Lagers (Adrian Zandberg). Gleichzeitig jedoch lässt die Rekordwahlbeteiligung in der Stichwahl kein rasches Ende des Duopols erwarten. Schließlich pilgerte das Gros der Wähler von Kandidaten außerhalb des Duopols auch im zweiten Wahlgang an die Urnen, um diesmal einem der Vertreter des Duopols seine Stimme zu geben.

Fest steht, dass der 2023 von der Koalition des 15. Oktober eingeleitete politische Wandel, hin zu einem liberalen Polen und der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit im Land, einen herben Rückschlag erlitten hat.[2] Ähnlich wie beim noch amtierenden Präsidenten Duda wird die Tusk-Regierung auch gegen einen Präsidenten Nawrocki kaum eines ihrer Reformprojekte durch Gesetzesänderungen umsetzen können. Nawrocki wird wie Duda entsprechende Vorhaben mit seinem Veto blockieren und versuchen, die Regierungspolitik zu lähmen. Schließlich ist es Nawrockis erklärtes Ziel, den Sturz der Regierung von Donald Tusk herbeizuführen. Nawrocki wird ein weitaus schwierigerer Partner für Tusk sein als der scheidende Präsident. Er hat die zweitmeisten Stimmen in der Geschichte der Präsidentschaftswahlen in Polen nach 1989 auf sich vereinen können (das um 16.000 Stimmen bessere Ergebnis erzielte Lech Wałęsa 1990). Ihm wird eine durch die Wahlniederlage von inneren Spannungen gezeichnete und dadurch geschwächte Regierungskoalition gegenüberstehen.

Premierminister Donald Tusk reagierte prompt und kündigte am Tag nach der Wahl an, die Vertrauensfrage im Parlament stellen zu wollen. Dies dürfte vor allem zur Disziplinierung der Koalitionspartner dienen, dem  Dritter Weg (Trzecia Droga), der aus der Polnischen Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) sowie Polen 2050 (Polska 2050) besteht, und der Neuen Linken (Nowa Lewica). Diese Fraktionen dürften angesichts der aktuellen Umfragewerte wenig Interesse an vorgezogenen Neuwahlen haben, müssten sie doch um ihren Wiedereinzug ins Parlament bangen. Gleichzeitig dürfte es Tusk auch darum gehen, mögliche Renegaten der PSL, die mit einer Koalition zwischen PSL, PiS und Konfederacja liebäugeln, zur Räson zu bringen.

Für Nawrocki bestünde damit eine einzige Möglichkeit, ein vorzeitiges Ende der Tusk-Regierung herbeizuführen. Wenn es der Regierungskoalition aufgrund interner Spannungen nicht gelingen sollte, den Haushaltsentwurf für das Jahr 2026 fristgerecht im Parlament zu verabschieden, kann der Präsident das Parlament auflösen und vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Auch diesem Szenario scheint Tusk durch das Stellen der Vertrauensfrage zuvorkommen zu wollen.

Gleichwohl haben die Präsidentschaftswahlen das rechte politische Lager in Polen gestärkt, auch PiS-Chef Jarosław Kaczyński, über dessen Abschied aus der aktiven Politik immer wieder spekuliert wird, sitzt einstweilen wieder fest im Sattel. Allerdings werden erst die kommenden Wochen und Monate zeigen, ob der Wahlsieg Nawrockis tatsächlich der Vorbote für eine Einigung des fragmentierten rechten politischen Lagers im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2027 ist.

… die Europäische Union?

Nach dem Regierungswechsel 2023 setzten zahlreiche Beobachter große Hoffnungen auf Polen als neuen pro-europäischen Player innerhalb der Europäischen Union. Diese Hoffnungen haben nun einen erneuten Dämpfer erhalten. Ob der schwierigen Kohabitation mit Präsident Andrzej Duda gestanden die europäischen Partner Polen eine gewisse Schonfrist zu, insbesondere was die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit anbelangt. Dieser Vertrauensvorschuss sollte nach den Präsidentschaftswahlen und dem Sieg Trzaskowskis in Form von Gesetzesreformen zurückgezahlt werden. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Stattdessen wird sich Polen bis zu den Parlamentswahlen im Herbst 2027 prinzipiell im Dauerwahlkampf befinden, gesetzt den Fall, die Regierung Tusk kann sich bis dahin an der Macht halten. Denn der Unmut über nicht oder zu zögerlich umgesetzte Wahlversprechen wird tendenziell zunehmen. Die Regierungskoalition wird sich auf die Innenpolitik und den de facto gerade begonnenen Parlamentswahlkampf 2027 konzentrieren und daher kaum Kapazitäten haben, um auf europäischer Ebene aktiv zu sein.

Auch stellt sich die Frage, wie Nawrocki als Präsident agieren wird. Folgt er der PiS-Linie und versucht, sich als polnische Version von Donald Trump zu inszenieren, wäre eine weitere Obstruktion des pro-europäischen Kurses der Tusk-Regierung vorprogrammiert. Vor allem der weitere Verlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine und das damit verbundene US-amerikanische Engagement in Europa dürften darüber entscheiden, ob Nawrocki den Schulterschluss mit Trump sucht und diesem hilft, die Einheit der Europäer zu untergraben und für Polen sicherheitspolitische Sonderbeziehungen mit den Vereinigten Staaten zu erreichen.

… Deutschland und die deutsch-polnischen Beziehungen?

Im Vergleich zu den letzten Präsidentschaftswahlen 2020 spielte die sogenannte “deutsche Karte”, also das Thema Deutschland, in diesem Wahlkampf lediglich eine nachgeordnete Rolle. Gleichwohl war sie aber präsent. So ließ sich Karol Nawrocki etwa in der Grenzstadt Słubice filmen und erklärte, er werde es nicht zulassen, dass illegale Migranten von Deutschland aus die Grenze zu Polen überschreiten würden. Zudem kündigte Nawrocki an, dass er sich im Falle eines Wahlsiegs in der Reparationsfrage engagieren werde. Generell bediente er das altbekannte Narrativ, wonach Deutschland ein Polen übel gesinnter Nachbar sei, der mit Hilfe von Politikern wie Donald Tusk (die aus PiS-Sicht als “deutsche Agenten” agieren) dem Land seine eigenen Interessen aufzwingen und es steuern wolle.

Vor allem aber im Bereich Migrationspolitik unterscheidet sich Nawrocki eher in Nuancen von seinem Kontrahenten Trzaskowski und der Regierung um Donald Tusk, die sich auch gegen innereuropäische Grenzschließungen und die Zurückweisung von Migranten ausgesprochen haben. Die Tusk-Regierung erwartet auch eine “kreative  Lösung seitens Deutschland”, wie es Außenminister Sikorski  2024 formuliert hat, um die von Polen erlittenen Schäden und Verluste während der deutschen Besatzungsherrschaft 1939-1945 wiedergutzumachen. Wohl aber gibt es erhebliche Unterschiede in der Tonalität, mit der diese Forderungen an den deutschen Nachbarn herangetragen werden. Während Tusk und auch Trzaskowski in diesen Fragen stets eine gewisse Konzilianz an den Tag legten, ist von Nawrocki ein eher konfrontativer Ansatz zu erwarten.

Darüber hinaus dürfte, ähnlich wie im Falle der Europapolitik, der Fokus der polnischen Regierung auf die Innenpolitik die Kapazitäten für die Weiterentwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen begrenzen, zumal diese Beziehungen stets zum Spielball der der innenpolitischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Präsident geraten können.

Fazit: Was lässt sich von einem Präsidenten Karol Nawrocki erwarten?

Karol Nawrocki ist politisch ein unbeschriebenes Blatt, seine Präsidentschaft gleicht deshalb einem Sprung ins Ungewisse. Er ist parteipolitisch nicht verankert und besitzt kaum Kenntnisse über die Prozesse der polnischen wie auch der internationalen Politik. Jarosław Kaczyński dürfte all dies im Blick gehabt haben, als er den politischen Nobody Nawrocki zum Präsidentschaftskandidaten kürte: er wird ein Präsident sein, der politisch unerfahren und damit von externer Expertise abhängig ist und als Parteiloser keine Konkurrenz für Kaczyński innerhalb der PiS darstellt. Doch wird dieses Kalkül aufgehen? Nawrocki gilt als durchsetzungsstark und überaus ambitioniert. Sein Wahlsieg und die parteiübergreifende Unterstützung des rechten Lagers könnten dem politischen Quereinsteiger Lust auf mehr gemacht haben. Es bleibt demnach abzuwarten, ob Nawrocki die ihm zugedachte Rolle als Erfüllungsgehilfe der PiS bei ihrem Weg zurück in die Regierungsverantwortung einnimmt oder darüber hinaus eigene politische Ambitionen entwickelt, die über seine fünfjährige Amtsperiode als Präsident hinausgehen.



[1] Das Duopol PO–PiS bezeichnet die politische Dominanz der beiden größten Parteien Polens: der liberal-konservativen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) und der national-konservativen Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS). Seit den 2000er-Jahren prägen sie die politische Landschaft des Polens, wobei sie sich in ideologischer, gesellschaftspolitischer und europapolitischer Hinsicht teils deutlich voneinander abgrenzen.

[2]Die Koalition des 15. Oktober bezeichnet das Regierungsbündnis mehrerer oppositioneller Parteien in Polen, das nach der Parlamentswahl am 15. Oktober 2023 gebildet wurde. Es umfasst die liberalkonservative Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO), den agrarisch-konservativen Dritten Weg (Trzecia Droga) sowie die progressive Neue Linke (Nowa Lewica).

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