musekampzwischen

Band Nr. 27

Zwischen Stettin und Szczecin

Metamorphosen einer Stadt von 1945 bis 2005

Inhalt

1945 wurde aus dem deutschen Stettin das polnische Szczecin. Die neue Verwaltung übernahm nach Monaten der Unsicherheit über die staatliche Zugehörigkeit eine stark zerstörte Hafenstadt mit einem Bruchteil ihrer ursprünglich 400.000 deutschen Einwohner. Die Studie untersucht die Folgen, die dieser historische Bruch für die Stadt und ihre Bevölkerung bedeutet hat. Ausgangspunkte sind die fast vollständige Vertreibung der verbliebenen Deutschen, die langwierige Neubesiedlung mit polnischer Bevölkerung aus den unterschiedlichsten Regionen sowie der Wiederaufbau. Dabei werden die Strategien der Stettiner in den Blick genommen, sich die Stadt zu eigen zu machen: Welche Mythen wurden geschaffen, um den Zugezogenen das Gefühl zu vermitteln, in einer urpolnischen Stadt zu leben? Wie gestaltete sich die Umkodierung des Stadtraumes im Bereich der Denkmallandschaft, der Straßenbezeichnungen und des angetroffenen materiellen Kulturerbes? Wann endlich konnte die Bevölkerung angesichts der nahen und immer wieder in Frage gestellten Grenze heimisch werden und wie gestalteten sich die Wechselbeziehungen der polnischen zu den früheren deutschen Bewohnern der Stadt? Thematisiert wird aber auch die Suche der Stettiner nach einer neuen Identität in den 1990er Jahren, als man, vom ideologischen Ballast der vorangegangenen Jahrzehnte befreit, daran gehen konnte, selbstbewusst an die eigenen Erfolge der Nachkriegszeit anzuknüpfen und das kulturelle Erbe der deutschen Zeit auch als das eigene zu begreifen.
Die Arbeit wurde von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius unterstützt und 2008 mit einem Förderpreis des Botschafters der Republik Polen für herausragende Dissertationen ausgezeichnet.

Jan Musekamp studierte Kulturwissenschaften und Geschichte in Frankfurt (Oder), Thorn und Brünn. Im Auswärtigen Amt war er für die deutschen EU- und G8-Präsidentschaften tätig. Seit 2007 lehrt er osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Zwangsmigrationen, kulturelle Aneignung, Grenzregionen sowie die preußische Verkehrsgeschichte im internationalen Kontext. Darüber hinaus ist er ehrenamtlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Geschichte Frankfurt (Oder).

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Forschungsstand und Quellenlage

Metamorphosen einer Stadt

I Der Untergang Stettins?

II Monate des Übergangs: 30. April bis 4. Oktober 1945

III Die Inbetriebnahme der Stadt

IV Stettin als Kreuzungspunkt erzwungener Wanderungen

1 Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung
2 Stettin als östlichster Vorposten der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands?
3 Die »einheimische« polnische Bevölkerung: so genannte Autochthone
4 Neusiedler: Dorf und Stadt
Bevölkerung aus Zentralpolen 
/ Remigranten: "Repatrianten aus dem Westen" / "Repatrianten von jenseits des Bug" / Neue Heimat? Die jüdische Bevölkerung / Ukrainer und Lemken / Nachhall des griechischen Bürgerkriegs: Makedonische und griechische Flüchtlinge
5 Ein neuer "Typ des Stettiners"? 
6 Die nahe Grenze und die "Psychose der Vorläufigkeit”
 
V „Wir fühlten uns damals fremd“: Kulturelle Aneignung vor Ort

1 Deutsche Inschriften als Ersatzfeind?
2 Stadt der Mythen
Die Piasten: Staatsmythos der Volksrepublik / Der Greifenmythos: Erfolg des Regionalen / „Seestadt Stettin“: Die Entwicklung des Meereskultes / Verklärung der Pionierjahre / Personenkult: Konstanty Ildefons Gałczyński
3 Denkmäler
Die Zeit der leeren Sockel: Kaiser, Sedina und Loewe / Import eines Erinnerungsortes? Das Denkmal für Kornel Ujejski / Denkmal-»Amnesie«: Colleoni und "Mutter Erde" / Lokale Stärke: Bogislav der Große, "Drei Adler" und der Aufstand von 1970
4  Spiegel des Geschichtsverständnisses: StraßennamenStraßenumbenennungen als Pioniertat / Aufstieg sozialistischer Helden / Rückkehr der Geschichte?
5 "Eine neue Stadt errichten": Der unvollendete Wiederaufbau
Zwischen Modernität und Ideologie: Der Wiederaufbau der 1940er Jahre / Sozialistisch-realistischer Wiederaufbau: Das "Innerstädtische Wohnquartier" / Baudenkmäler zwischen Polonität und Abriss / Erster Paradigmenwechsel: Baudenkmäler im Dienst der kulturellen Aneignung / Zweiter Paradigmenwechsel: Die Stettiner Unterstadt und die Entdeckung des preußischen Stettin
6 Literaten zwischen Ideologie und kultureller Aneignung
Aneignungsliteratur: Traditionen des Westgedankens / Im Zeichen des sozialistischen Realismus / Der historische Roman der West- und Nordgebiete / Literatur der Entwurzelung
7 Wechselspiel: Deutsche Stettiner und polnische Szczeciner

VI Stettins Identitätssuche nach 1989: Ein "local turn"

1 750 oder 60 Jahre? – Jubiläen
2 Gründerzeit in der Stettiner Unterstadt: Die neue Altstadt
3 Oberbürgermeister Hermann Haken: Deutscher oder Stettiner?
4 Unbekannt oder unbequem: Schwedische und russische Spuren
5 Neue Helden: Denkmäler nach 1989
Die Helden von 1970 / Die Rückkehr Colleonis / Rückkehr der Sedina? 
6 Literatur als Klammer: Artur Daniel Liskowacki 
7 Eine Stadt? Deutsche und polnische Stettiner nach 1989 

Auf der Suche – Stettin zwischen Preußen, Deutschland, Polen und Europa

Danksagung

Anhang

Rezensionen

"Well described is how the conflicting influences of national, socialist, ethnic, and local policies molded a plase-based identity and transformed it over three generations. [...] A core section of this study of local history and identity deals with changes in urban design philosophies or paradigms for the process of cultural appropropriation. [...] Using case studies, he offers a cogent history and analysis of these shifts to the local. This is a strength of the book."
John Czaplicka, in: Slavic Review 71 (2012), H. 3, S. 674-675

"Im Ergebnis liegt eine Stadtgeschichte vor, die trotz ihrer Datenfülle und der Verflechtung vielfältiger Betrachtungsebenen stets gut lesbar ist und der es geling, das Nachkriegsschicksal Stettins als work in progress unter dem Einwirken mannigfaltiger Faktoren zu zeigen. [...] Freilich bestätigt die Arbeit auch, dass eine vollständige Kongruenz zweier um denselben historischen Raum rivalisierender nationaler Gedächtnisse letztlich nicht möglich ist."
Jens Boysen, in: Sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [zur vollständigen Rezension]

"Musekamps Studie analysiert, wie aus Stettin Szczecin gemacht wurde, und sie ist ein gutes Lehrbuch darüber, wie Geschichte konstruiert oder zu konstruieren versucht wird. [...] Die vorliegende Studie ist gut lesbar, was an ihrer Anschaulichkeit liegt. [...] Musekamps Untersuchung ist somit eine ideale Reiselektüre für den historisch Interessierten, und es gibt wohl keinen besseren Ort, diese Arbeit zu lesen, als Szczecin selbst."
Hans-Christian Dahlmann, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 60 (2012), H. 3, S. 335-437

"Das Werk ist sehr überzeugend geschrieben, es zeugt vom Einfühlungsvermögen des Autors, der seinen Akteuren mit großer Empathie begegnet."
Hanna Kozinska-Witt, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 61 (2012), H. 1, S. 137-139

"A formidable achievement in the application and integration of varied historical and cultural-studies research approaches, Musekam's book will be of interest not only to historians, but also to a broader audience of humanities scholars and enthusiasts. (...) it will surely encourage scholars to apply multidisciplinary cultural approaches to these topics throughout the modern era and with regard to other parts of Europe and the world."
Peter Polak-Springer, in: The Journal of Modern History 84 (2012), H. 2, S. 526-529

"Dieses Buch gibt auch Antwort auf die Frage, die wir alten Stettiner, die wir diese alte See- und Hafenstadt an der Oder, unsere Vaterstadt, lieben, vielfach immer wieder stellen: Wie konnte es dazu kommen, dass die Stadt dazu verdammt wurde, ihre Kinder zu verlieren und ein anderes Gesicht zu bekommen? [...] Jan Musekamp verdeutlicht uns die Verwandlung der Stadt, nachdem wir sie verlassen mussten."
Hans-Gerd Warmann, in: Stettiner Bürgerbrief Nr. 38 (2012), S. 84-85

"Szczecin erscheint [Musekamp] als eine Art Collage, eine willkürliche Realität, ein eklektischer Text, der aus verschiedenen Teilen zusammengekittet ist und erst einmal entziffert werden muss. (...) Die Metamorphose [von Stettin zu Szczecin" ist vollendet, was Musekamp in seinem wahrlich faszinierenden Buch erzählt. Er hat den Text Szczecins gewissenhaft entziffert (...)."
Bogdan Twardochleb, in: Dialog 99 (2012), S. 82-88

"Die Pointe der Monographie ist, dass eine vollständige Polonisierung des Stettin-Bildes zu keinem Zeitpunkt gelang, dies jedoch der Entsehung einer Stettiner Identität nicht im Wege stand. (...) Vor dem Hintergrund der historischen Situation kann der Umgang mit der deutschen Kultur beinahe als besonnen dargestellt werden. Dieses Ergebnis überrascht und deutet auf noch offene Forschungsfragen hin".
Yaman Kouli in: Inter Finitimos 9 (2011), S. 206-210

"(...) eine umsichtige und behutsame Vivisektion des polnischen Stettin (...), die die Vielschichtigkeit der Aneignungsprozesse seit 1945 vor Augen führt".
Jörg Hackmann in: H-Soz-u-Kult, 7.3.2012 [zur vollständigen Rezension]

"Die von der Zeit-Stiftung unterstützte Dissertation ist in ihrer detaillierten und auf breitem Quellenmaterial fußenden Schilderung spannend und aufschlussreich zugleich."
Sedina-Archiv 2012, H. 1, S. 271.

Hinter der lapidaren Feststellung, daß 1945 aus dem deutschen Stettin das polnische Szczecin wurde, versteckt sich viel menschliches Leid, das erst jetzt langsam aufgearbeitet wird, wozu die hier angezeigte, an der Viadrina 2008 verteidigte Dissertation fraglos einen wichtigen Beitrag leistet.(...)
Die polnischen Kommunisten und zu einem nicht geringen Teil auch die kahtolische Kirche Polens bemühten sich, besonders die polnischen Vertriebenen aus den von der Sowjetunion annektierten polnischen Ostgebieten hier heimisch zu machen. Ihnen wurde die historische Mission und patriotische Pflicht suggeriert, zwischenzeitlich geraubten Volksboden wieder in Besitz zu nehmen. (...) Anfangs hatten sie damit nur mäßigen Erfolg, da die Vertriebenen sich hier fremd fühlten und nur in ihre eigentliche Heimat zurück wollten. (...)
Erfreulich ist, daß die Historiker auf beiden Seiten der Oder inzwischen etwas unverkrampfter mit den schwierigen Kapiteln der gemeinsamen Geschichte umgehen. (...)
Klaus Steinke, in: Informationsmittel (IFB). Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft [zur vollständigen Rezension]

Musekamp devotes a large part of his thesis to the physical transformation of the city. Everything German - street names, tombstones, monuments - would be erased or made Polish, first in a return to a mythical Slavic prehistory, later on in Stalinist social realism. The city’s long German history was changed into an empty parenthesis; only in recent years have people carefully started referring back to the German period. (...) well written, almost essayistic, well documented (...)
Thomas Lunden, in: Balticworlds.com [zur vollständigen Rezension]

Musekamps gut lesbare, methodenbewusste Darstellung erschließt am Beispiel Stettins erstmals in dieser Vertiefung ein wichtiges Thema des deutschen und des polnischen Umgangs mit der "gemeinsamen Geschichte" nicht nur für "Stettiner" und "Szczeciner". So wird sie nicht nur zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen, sonder auch eine breitere Öffentlichkeit für das im deutsch-polnischen Kontext komplexe und im Umgang mit dem Verlust der "alten Heimat" komplizierte Thema.
Z.W. in: ABDOS-Mitteilungen 30 (2010), Nr. 1, S. 45 f.