loewwidergewonnene

Band Nr. 22

Wiedergewonnene Geschichte

Zur Aneignung von Vergangenheit in den Zwischenräumen Mitteleuropas

Inhalt

 Wie wurde die staatliche Inbesitznahme europäischer Grenzregionen historisch legitimiert? Wie setzen sich die Einwohner mit diesen »Zwischenräumen« auseinander? Vom Topos der »wiedergewonnenen Gebiete« bis hin zur »wiedergewonnenen Geschichte« reicht das Spektrum der Fragen, mit denen sich 20 Historiker, Soziologen, Literaturwissenschaftler und Ethnologen aus Frankreich, Polen, Deutschland und Russland in diesem Band beschäftigen. Im Mittelpunkt stehen die von vielfältigen Aneignungsprozessen geprägten Kontaktzonen Mitteleuropas: die deutsch-polnischen Grenzgebiete, das Elsass und Lothringen, aber auch die Karpato-Ukraine, das nördliche Ostpreußen (Königsberg/Kaliningrad) und das Baltikum.

 »Europa als Patchwork der Regionen, als Collage vieler miteinander verflochtener Zwischenräume – diese gegen die nationalen Meistererzählungen gerichtete Konstruktion Europas ›von unten‹ als Bestandteil einer neuen Sicht auf die Geschichte Europas bedarf einer intensiven, vergleichenden Aufarbeitung regionaler Geschichten, die sich bislang vielfach nicht oder nur unvollständig Gehör verschafft haben.« (Aus der Einleitung)

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Peter Oliver Loew, Christian Pletzing, Thomas Serrier: Zwischen Enteignung und Aneignung: Geschichte und Geschichten in den »Zwischenräumen Mitteleuropas«

Artur Daniel Liskowacki: Kalt – Warm

I. Stadt

Jan Musekamp: Der Königsplatz (plac Żołnierza Polskiego) in Stettin als Beispiel kultureller Aneignung nach 1945

Jacek Grębowiec: Der Umbau der Breslauer Ikonosphäre nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund der Ausbildung einer neuen regionalen Identität

Peter Oliver Loew: Lokalgeschichte zwischen Heimat und Nation. Schulen und Geschichtskultur in Danzig, 1800 bis 2000

Barbara Bossak: Danzig – die Wahrnehmung einer Stadtlandschaft in den Kategorien von Vertrautheit und Fremdheit

Thomas Serrier: Posen und Straßburg im Kaiserreich. Ein Vergleich

Alexander Sologubov: "Kaliningrad – unsere Heimat". Ausgewählte Themen örtlicher Diskurse

Jörg Hackmann: Metamorphosen des Rigaer Rathausplatzes, 1938–2003. Beobachtungen zur Rolle historischer Topographien in Nordosteuropa

II. Region

Dorota Bazuń: Änderungen bei der Beziehung zum Kulturerbe, insbesondere zu Gebrauchsgegenständen, als Ausdruck der "Aneignung" von Geschichte durch die Bewohner der westlichen Grenzgebiete Polens

Ryszard Kaczmarek: Zwischen Regionalismus, Autonomismus und Separatismus. Elsass und Oberschlesien, 1871 bis 1945

Maciej Górny: Exotische Sommerfrische. Das Huzulenland im unabhängigen Polen und die Karpatoukraine im tschechoslowakischen Staat

Katarzyna Stokłosa: Identitäten in Bewegung: die deutsch-polnische und die ukrainisch-slowakische Grenzregion im Vergleich

Armin von Ungern-Sternberg: Perpetuierte Geschichte. Baltische Barone, Bauern und andere rhetorische Figuren

Marek Rajch: Geschichtskultur und Raumanspruch. Polnische Literatur und preußische Zensur in der Provinz Posen 1848–1918

III. Symbole

Christian Pletzing: Die Politisierung der Toponymie. Ortsnamenänderungen in den preußischen Ostprovinzen während des 19. Jahrhunderts

Stefan Dyroff: Ortsnamen im Gebiet der Provinz Posen. Zwischen Tradition, Fremdheitsgefühl und Nationalisierung

Joanna Wawrzyniak: Die Westgebiete in der Ideologie des polnischen Kommunismus. Symbolik und Alltag am Beispiel der Soldatensiedler

Tomasz Rakowski: Zwischen Sammeleifer und Archäologie. Die Erfahrung von Geschichte und Gegenwart bei degradierten Gemeinschaften in den polnischen Westgebieten (am Beispiel von Waldenburg und Umgebung)

Juliane Haubold: Der Gipfel der Symbolik. Der Sankt Annaberg als Verkörperung Oberschlesiens

Jean-Marc Dreyfus: Eine Grenze in Ruinen. Zur Symbolik der Gipfel in den Vogesen

Christiane Kohser-Spohn: Der Staat in Stein. Die Kriegerdenkmäler im Elsass 1918–1945

Étienne François: Resümee

Zu den Autoren

Ortsregister

Rezensionen

"Die Beiträge eröffnen dadurch neue Einsichten, dass sie dort Veränderungen und Berwusstseinsprozesse verdeutlichen, die sonst eher statisch dargestellt werden, und die - abseits des engeren Themas - Wirkungen gesamtstaatlicher Diskussionen und Entwicklungen aufzeigen. (...) In der Summe liegt in der Vielfalt der Zugänge ein typischer, allerdings ganz besonders anregender und innovativer Tagungsband vor."
W.[olfgang] K.[essler], in: ABDOS-Mitteilungen 26 (2006), Nr. 2, S. 27.

"(...) bieten alle Beiträge aufgrund ihrer Quellennähe und ihrer zum Teil unkonventionellen, stärker anthropologisch als historisch argumentierenden Perspektive interessante Einblicke in die Aneignung bzw. Konstruktion von Räumen. Gerade die Beiträge, die nicht allein auf die Frage einer Aneignung durch klassische historiographische Narrative (...) konzentriert sind, erscheinen hier besonders weiterführend. (...) Der Band kann als gelungenes Beispiel für eine neue Sicht auf die Geschichte Europas gelten, in der durch die Fokussierung auf die europäischen Zwischenräume nationale Meistererzählungen in Frage gestellt werden."
Claudia Kraft in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 56 (2007), H. 1, S. 133 f.

"Die 20 Beiträge dieses Sammelbandes wurden nach drei dominierenden Untersuchungsebenen gruppiert (...). Besonderes Interesse dürften die komparativen Beiträge finden, also die Vergleiche zwischen den Städten Straßburg und Posen sowie den Regionen Elsaß und Posen."
Helmut Neubach in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), H. 2, S. 166.

"Der sorgfältig lektorierte und übersetzte Sammelband bietet ein weites Spektrum an Narrativen von der symbolischen Aneignung historischer Kulturlandschaften, die insbesondere im Zuge der Nationalisierung in den Fokus rivalisierender Meistererzählungen geraten sind. Besonders aufschlussreich sind hier jene Regionen, in denen wie im Elsass oder in Schlesien ein eigenes regionales Selbstverständnis bereits stark genug war, um sich zumindest teilweise gegen nationale Vereinnahmungen zu behaupten."
Felix Ackermann in: H-Soz-u-Kult, 27.11.2007 (Zur vollständigen Rezension)

"'L'histoire réappropriée', n'est pas seulement une belle expression aux résonances proustiennes: le titre de l'ouvrage faut aussi écho à ses usages officiels à l'époque communiste, attestant cette tâche redoublée de l'histoiren, qui n'est pas seulement d'établir un discours vrai sur le passé, mais aussi d'étudier les usages révisionnistes et idéologiques de l'histoire. (...)
(...) la réapproriation du passé renvoie aussi à celle des populations, qui, depuis 1989, peuvent, à distance des récits nationaux imposés, découvrir ou énoncer publiquement une histoire régionale, plurielle et partagée dans laquelle se sont construites leurs destinées, détournées, instrumentalisées et violentées (...)."
Morgane Labbé, in: Bulletin d'information de la Mission historique Francaise en Allemagne 43 (2007), S. 396-398.

"(...) enthält der Band eine Reihe sehr gelungener Beiträge mit spannenden Einblicken in verschiedene Einzelthemen".
Markus Krzoska, in: Inter Finitimos 5 (2007), S. 246 f.

"In general, this book gives a good idea of the tension between national master narratives and regional memories in the European border regions. While the center perceives them as the nation's outposts and bulwarks, the intraregional perspective includes hybridity and fluctuation. Cities, towns, and sites of remembrance in such border regions can function as indicators for this tense center-periphery relationship (...)."
Stefan Troebst, in: Slavic Review 67 (2008), H. 2, S. 449 f.

"Der Sammelband zeigt an sehr verschiedenen Beispielen, wie filigran historische Konstruktion und die ortsgebundene historische Wahrheit sein können, auch wenn sie in der jeweiligen Gegenwart eine durchaus wichtige Rolle spielen. Er zeigt aber auch, dass 'Gedächtnisgemeinschaften' in verschiedenen, nicht nur nationalen Dimensionen entstehen und durchaus von Dauer sein können."
Andreas Lawaty, in: Osteuropa 58 (2008), H. 6, S. 433-436.
 

"(...) überzeugt der Band durch die Vielfalt, auch Multidisziplinarität seiner Ansätze (...).
Jens Boysen, in: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger 2008, H. 2, S. 45 f.

"Die einzelnen Beiträge (...) decken eine beachtliche Spannweite von Themen ab. (...) [Sie] liefern zahlreiche Beispiele für die symbolische Handhabung der Geschichte, Legitimationsprozesse und somit Überprüfungen von Symbolen und den bisher geltenden Bezugssystemen. (...) Die Lektüre des vorliegenden Bandes beweist die Tragfähigkeit der Untersuchung von Ent- und Aneignungsprozessen in den Überlappungszonen. Zugleich lädt sie dazu ein, der bottom-up-Perspektive noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen."
Kornelia Kończal, in: Nordost-Archiv N.F. 16 (2007), S. 648-651.

"Die im Band versammelten Studien spiegeln die Komplexität der Identitätsfindungen der Bewohner in den Zwischenräumen Europas zwischen Ideologie und Alltagspragmatik, im Zusammen- und Gegenspiel lokaler und zentralstaatlicher Akteure wider. Étienne François verweist in seinem Resümée treffend auf die Ähnlichkeit der vorgestellten Aneignungsnarrative. Mehrere Autoren konstatieren das Scheitern bisheriger nationaler, auf Eindeutigkeit zielender Aneignungsversuche - dementgegen beobachten sie nach 1989 einen gegenläufigen Trend zur 'Wiedergewinnung' und Integration der 'fremden' Geschichte in eine eigene, lokale und bewusst polyphone Identität."
Iris Engemann, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 57 (2009), H. 3, S. 423 f.