Kopernikus-Gruppe

Mitteilung über die 2. Sitzung der Kopernikus-Gruppe

Am 3. und 4. November 2000 trafen in Darmstadt auf Einladung des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt und des Deutschland- und Nordeuropainstituts Stettin 12 deutsche und polnische Experten zur zweiten Sitzung der „Kopernikus-Gruppe” zusammen. Sie berieten an den zwei Tagen über das Schicksal der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter in Deutschland und in Polen.

Auf Einladung der Gruppe gaben im ersten Teil der Sitzung der polnische Verhandlungsleiter Botschafter Prof. Dr. Wojciech Kowalski, der Leiter des Grundsatzreferats für Auswärtige Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Dr. Ulf-Dieter Klemm, Dr. Antonius Jammers, Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, und Dr. Andrzej Mężyński, Abteilungsleiter Sammlungen der Sejm-Bibliothek, Berichte über den Stand der Verhandlungen. Im zweiten Teil der Sitzung berieten die Teilnehmer intern über das Thema. Das vorliegende Arbeitspapier II der „Kopernikus-Gruppe” faßt die Anregungen und Ideen einer vertrauensvollen und intensiven Diskussion zusammen.

Die Teilnehmer des Treffens in Darmstadt waren:

  • Dr. Klaus Bachmann, Korrespondent und Kommentator deutscher und polnischer Tageszeitungen, Warschau
  • Dr. Dieter Bingen, Direktor, Deutsches Polen-Institut Darmstadt
    Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej, Historiker, stv. Rektor der Universität Warschau 
  • Prof. Dr. Hans-Henning Hahn, Osteuropahistoriker, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg
  • Basil Kerski, Chefredakteur „Dialog”, Berlin
  • Adam Krzemiński, Kommentator „Polityka”, Warschau
  • Markus Mildenberger, Arbeitsstelle Ostmitteleuropa, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin
  • Dr. Robert Traba, Historiker, Kulturgemeinschaft „Borussia”, Allenstein
  • Jürgen Vietig, Leiter der Parlamentsredaktion Deutsche Welle tv, Berlin
  • Dr. Kazimierz Wóycicki, Präses, Deutschland- und Nordeuropainstitut, Stettin
  • Prof. Dr. Klaus Ziemer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts, Warschau
  • Prof. Dr. Marek Zybura, Literaturwissenschaftler, Universität Oppeln 
  • Dr. Joachim Rogall, Robert Bosch Stiftung, Stuttgart, als Gast.

Die nächste Sitzung der „Kopernikus-Gruppe” findet am 23./24. März 2001 in Stettin statt.

Dr. Dieter Bingen, Darmstadt                                       November 2000
Kazimierz Wóycicki, Stettin

Word-Dokument zum Download 

Arbeitspapier II der Kopernikus-Gruppe

Entwurf für eine Lösung der Probleme um kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter in Deutschland und Polen

Zusammenfassung:

  1. Ausstellung über Verluste europäischen kulturellen Erbes in Deutschland und Polen
  2. Ergänzung der Satzung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
  3. Zusammenführung der Buchbestände und Handschriftensammlung der „Berlinka” in Berlin
  4. Dauerleihgabe von Teilen der Musikalien-Sammlung der „Berlinka” nach Krakau
  5. Zusammenführung des Deutschordensarchivs in Thorn
  6. Pragmatische Lösung für Archivalien

Der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 sieht in seinem Artikel 28.3 vor, „die Probleme im Zusammenhang mit Kulturgütern und Archivalien, beginnend mit Einzelfällen, zu lösen.” Dabei wollten sich beide Seiten vom „Geiste der Verständigung und Versöhnung” leiten lassen.

Wie in anderen besetzten Gebieten hatten deutsche Behörden während des Zweiten Weltkriegs in Polen planmäßig und in großem Stil Kunstraub und -vernichtung betrieben. Die drei westlichen Alliierten hatten nach der Besetzung Deutschlands geraubte Kunstwerke in sogenannten Collecting Points gesammelt und in die Ursprungsländer zurückgeführt. In der sowjetischen Besatzungszone hatten die sowjetischen Behörden deutsche sowie dorthin verbrachte ausländische Kulturgüter beschlagnahmt und in die Sowjetunion verbracht. Der Verbleib vieler seit dem Zweiten Weltkrieg vermißter Kunstwerke konnte nicht aufgeklärt werden. Einen weiteren Aspekt von „Verbringung” stellen Akten und andere Archivalien aus den deutschen Gebieten östlich von Oder und Lausitzer Neiße dar, die sich am Kriegsende in den vier Besatzungszonen Deutschlands befanden. 

Während des Krieges hatten Berliner Museen und Bibliotheken zum Schutz vor Bombardierungen umfangreiche Auslagerungen von Kulturgütern vorgenommen, u.a. nach Schlesien. Dort wurden ausgelagerte umfangreiche Bestände der Preußischen Staatsbibliothek („Berlinka”) nach dem Kriegsende von polnischen Behörden und Privatpersonen aufgefunden und galten lange als verschwunden. Sie befinden sich heute allgemein zugänglich als Sammlung in der Bibliothek der Jagiellonen-Universität Krakau.

Dies war im groben der Ausgangspunkt der seit Februar 1992 geführten Verhandlungen auf der Grundlage des Art. 28.3 des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags. Als Geste des guten Willens übergab die deutsche Seite den sog. Posener Goldschatz (über 1000 frühgeschichtliche Schmuckstücke/Münzen) aus Gold und Silber. Nach der vierten Verhandlungsrunde im Juni 1993 kam es zu einem längeren Stillstand. Bei der fünften Verhandlungsrunde im April 1995 gelang es erstmals, ein Sachprotokoll zu vereinbaren, welches ein für beide Seiten verbindlich vereinbartes Verhandlungsmandat fixiert, nämlich die Ermittlung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter, ihre Pflege und die Gewährung ungehinderten Zugangs zu ihnen sowie ausdrücklich die Rückführung (Restitution) der Kulturgüter. Zwischenzeitlich hat die polnische Seite der deutschen Seite eine umfangreiche Liste ihrer Wünsche in Bezug auf Archivalien vorgelegt. Auch wenn die Gespräche im Februar 1999 auf höherer Ebene fortgesetzt wurden, sind sich beide Seiten bisher kaum in ihren Vorstellungen näher gekommen.

Seit dem deutsch-polnischen Vertragsabschluß sind über neun Jahre vergangen. Die Verhandlungen über die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter sind festgefahren. Die unterschiedlichen, in Teilbereichen inkompatiblen Vorstellungen beider Seiten und langandauernde Verhandlungen ohne konkrete Ergebnisse können das an sich gute bilaterale Verhältnis belasten. Die Gefahr innenpolitischer Instrumentalisierung ist in beiden Ländern nicht von der Hand zu weisen. Andererseits werden Kernfragen des kulturellen Selbstverständnisses und kultureller Identität in Deutschland und in Polen angesprochen, die eine gegenseitig verständnis- und rücksichtsvolle Behandlung des Kulturgüterkomplexes verlangen. Aus diesem Grund erscheinen uns neue Impulse für eine konstruktive Lösung dringend notwendig zu sein.

Ein erfolgreicher Abschluß der Verhandlungen über die Kulturgüter würde nach der vor einiger Zeit gefundenen Regelung der Entschädigung der Zwangsarbeiter den Abschluß einer historischen Etappe im deutsch-polnischen Verhältnis besiegeln.

Zugleich deutet der bisher erfolglose Fortgang der Verhandlungen darauf hin, daß man mit rein völkerrechtlichen - eher auf deutscher Seite - , nationalen oder kompensatorischen Betrachtungsweisen - eher auf polnischer Seite - dem Komplex von Kulturgütern mit europäischer Bedeutung nicht gerecht werden kann. Es wird deshalb ausdrücklich für die Europäisierung eines Lösungsansatzes plädiert, der zugleich dem berechtigten Anliegen der Pflege von in unterschiedlichem Kontext verbrachten Kulturgütern in dem historischen Raum ihrer Entstehung entgegenkommt, soweit sie für die historisch-kulturelle Identität der Deutschen und Polen von wesentlicher Bedeutung sind. 

Bei der Behandlung der Kulturgüterfrage sind eine emotionalisierte öffentliche Meinung, Prestigegesichtspunkte, die eine Lösung der Fragen nach dem „gesunden Menschenverstand” behindern, und nachvollziehbare Sensibilitäten auf beiden Seiten zu berücksichtigen, aber auch die große Verantwortung der Politiker und der veröffentlichten Meinung, die sich der Aufklärung, nicht jedoch einseitiger Stimmungsmache verpflichtet sehen sollte. Die „Berlinka” eignet sich nicht als „Geisel”.

Die bisherige Herangehensweise, mit Hilfe von kleinen und kleinsten Schritten einer Gesamtlösung näher zu kommen, stößt immer mehr an ihre Grenzen. Notwendig erscheint uns deshalb ein explizit politischer Impuls von beträchtlicher Tragweite, der klare Vorgaben für die Verhandlungen auf Expertenebene macht. Die „Kopernikus-Gruppe” hat versucht, einen solchen Fahrplan für eine Gesamtlösung auszuarbeiten.

Ausgangspunkt: Die Unterschiedlichkeit von Verlust

In diesem Kontext sei daran erinnert, daß die ungeheuren Verluste an polnischem Kulturgut, an unersetzbaren öffentlichen und privaten Sammlungen durch zielgerichtete deutsche Vernichtungspolitik mit dem Ziel verursacht wurde, die kulturelle Identität Polens zu zerstören. Darüber hinaus gibt es den Komplex einer unbekannten Anzahl polnischer Kulturgüter, die während der deutschen Besatzung Polens widerrechtlich von amtlichen Stellen und Privatpersonen ins Ausland verbracht und bis heute nicht zurückgegeben wurden.

Der Verlust jahrhundertealter deutscher Kulturräume ist eine der schmerzlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs, Kulturgüter von unschätzbarem Wert sind durch die Kriegshandlungen in Deutschland verloren gegangen. Deutsche Kunstgegenstände und Archivalien sind durch die Änderung der deutsch-polnischen Grenze in polnischen Besitz gelangt. 

Hier eröffnet sich die bereits vielerorts wahrgenommene Chance der Wiedergewinnung von materieller Kultur und Gedächtniskultur durch gemeinsame Anstrengung der ehemaligen deutschen Bewohner und ihrer Nachfahren und  der heutigen polnischen Bewohner, ihre Aneignung der deutschen Geschichte und Kultur. Die polnischen Bewohner sind so zu Vermächtnisnehmern geworden. Dazu kommt der Wiederaufbau deutscher materiell-kultureller Hinterlassenschaft seit Jahrzehnten durch polnische Hände. Bei aller Schmerzlichkeit des Verlusts bleibt die Unvergleichbarkeit. Das Vernichtete ist verloren. Das durch neue Grenzziehung „Verlagerte” kann als europäisches kulturelles Erbe von Deutschen und Polen gemeinsam wiedergewonnen werden. 

Forderung: Die Verantwortung der Politik wahrnehmen

Von polnischer wie von deutscher Seite und insbesondere von den seit Jahren mit den Verhandlungen beauftragten Beamten und Spezialisten für das Archiv- und Bibliothekswesen wird fast ebenso lange wie die Verhandlungen andauern, eine politische Entscheidung von oben eingefordert. Die Beauftragten sehen sich mit einem Aufgabe betraut, die sie nicht lösen können. Die Verantwortung muß an die zurückgegeben werden, die sie im Vertrag von 1991 mit der Formulierung des Art. 28.3 übernommen haben, die beiden demokratisch legitimierten Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen. 

Die „Kopernikus-Gruppe” schlägt deshalb vor, auf der politischen Ebene einen Stufenplan zu verabschieden, der den Beteiligten klare Vorgaben für eine „große Lösung„ gibt. Dies schließt nicht aus, parallel und unkonditioniert mit „kleinen Schritten” ein Klima des Vertrauens zu schaffen, das einer umfassenden Lösung zusätzliche Schubkraft verleiht. 

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der im folgenden vorgestellte Stufenplan von den Unterzeichnenden mit Zustimmung aller Teilnehmer der Kopernikus-Gruppe aus Anregungen und Ideen innerhalb einer vertrauensvollen und außerordentlich konstruktiven Diskussion entwickelt worden ist. 


Stufenplan zur Lösung der Kulturgüterfrage im deutsch-polnischen Verhältnis

1. Ausstellung Verluste europäischen kulturellen Erbes 

auf Initiative und unter Schirmherrschaft des deutschen Bundeskanzlers und des polnischen Ministerpräsidenten

zur Erhöhung der Aufmerksamkeit der deutschen und der polnischen Öffentlichkeit für die riesigen Verluste an Kulturgütern in Deutschland, in Polen und im größeren europäischen Kulturkreis als Folge des Zweiten Weltkriegs. Die Ausstellung sollte zur Sensibilisierung für die Verluste des Anderen beitragen und einen Eindruck von den in vielen Jahrhunderten angesammelten Kulturgütern und Schätzen von europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Bedeutung geben, die durch den Zweiten Weltkrieg unwiderbringlich verlorengingen. Zugleich sollte die Ausstellung dafür werben, daß nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung als europäische Aufgabe von Deutschen, Polen und europäischen Nachbarn das noch vorhandene materielle und geistige Erbe bewahrt und wiederbelebt und als „Erbmasse” in die Europäische Union eingebracht werden kann, die ja um Bestand zu haben, mehr als eine Wirtschafts- und Währungsunion sein muß. 

Die Frage nach der Finalität der Europäischen Union läßt sich in Zeiten der Globalisierung und weitverbreiteter Ängste um Identitätsverluste zumindest teilweise durch die aktive Aneignung und „Renovatio” des europäischen Kulturerbes beantworten. Dabei kann die Bewußtwerdung der Verluste und der Verantwortung für das Gerettete einen positiven und die europäischen Kulturräume verbindenden Impuls geben.

Die Ausstellung wäre als Wanderausstellung vorstellbar, die in größeren deutschen, polnischen, aber auch anderen vornehmlich mitteleuropäischen Städten gezeigt wird und ihre dauerhafte Bleibe in einem Museum des Krieges und der Versöhnung im 20. Jahrhundert in Warschau finden könnte. Die Errichtung eines solchen Museums im Zentrum der polnischen Hauptstadt wäre ein in die Zukunft gerichtetes Mahnmal gegen die rassistische Politik des Nationalsozialismus, die nach der Vernichtung des jüdischen Volkes die dauerhafte Versklavung der slawischen Völker zum Ziel hatte. Das Museum sollte zugleich durch eine geeignete zukunftsorientierte Konzeption einen überzeugenden Beitrag zur Förderung des Verständnisses für die Grundwerte der europäischen Zivilisation und Kultur leisten. 

2. Das Dach Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Variante I: Ergänzung der Satzung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK)

Sowohl die ursprünglich aus Berlin stammenden, in Krakau bewahrten Bestände der Sammlung Preußischer Kulturbesitz als auch deren in Berlin archivierte Teile genießen derzeit im jeweiligen Land einen rechtlichen Sonderstatus. Die Berliner Bestände sind formal eine Leihgabe des Staates an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einer Zweckbestimmung „bis zu einer Neuregelung nach der Wiedervereinigung” (Gesetz zur Errichtung einer „Stiftung Preußischer Kulturbesitz” vom 25. Juli 1957, § 3). Die deutsche Einheit wurde vor mehr als zehn Jahren hergestellt. Die Möglichkeit einer Änderung des Stiftungsgesetzes ist gegeben. Da das historische Preußen zu keiner Zeit ein auf das Gebiet des heutigen Deutschland beschränkter Nationalstaat war, sondern ein a-nationaler Territorialstaat, an dessen kulturellem Erbe heute mehrere Nationen teilhaben, erscheint es eine Verengung des Blickwinkels auf die historische Bedeutung des preußischen Staates, ihn allein auf Deutschland zu projizieren. Vor 1918 war beispielsweise ein hoher Prozentsatz der auf dem Territorium Preußens lebenden Bevölkerung polnischer Nationalität. 

Es wird deshalb für erwägenswert gehalten zu prüfen, ob die Republik Polen nach einer Ergänzung der Satzung als gleichberechtigter Partner in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufgenommen werden kann. Nach erfolgter Aufnahme Polens in den Stiftungsrat der SPK befände sich die „Berlinka” als Deposit in einer neuen Außenstelle der Stiftung, nämlich in dem Teil der Bibliothek der Jagiellonen-Universität, die das Deposit seit Jahrzehnten verwahrt. Das wäre der Ausgangspunkt für weitere Schritte. 

Variante II: Stiftung (mittel)europäisches Kulturerbe

Als Alternative zu der Satzungsänderung der SPK wäre die Gründung einer Stiftung Europäisches Kulturerbe bzw. Stiftung Mitteleuropäisches Kulturerbe vorstellbar. In diese Stiftung könnte von deutscher Seite die SPK eingebracht werden. Andere Länder, darunter Polen, könnten eingeladen werden, ihrerseits Kulturgüter von europäischem Rang (z.B. das Nationalinstitut Ossolineum - eine wertvolle Bibliothek - strittig zwischen Ukraine und Polen) in die Stiftung aufzunehmen. In einem solchen Fall erhielten nicht nur Deutschland und Polen, sondern auch beitretende Staaten, die in ähnlichen Verhandlungen wie Deutschland und Polen (wie zum Beispiel Polen und die Ukraine wegen des Ossolineums) stehen, die Möglichkeit, als gleichberechtigte Mitglieder in den Stiftungsorganen über die Wahrung des europäischen kulturellen Erbes gemeinsam zu bestimmen, ohne daß über eine „Europäisierung” die nationale Identifizierung aufgegeben werden müßte. 

3. Übergabe von Kulturgütern

Es wird empfohlen, daß die deutsche Seite sobald als möglich eine eigene Liste der im Krieg aus Polen illegal verbrachten Kunstgegenstände offenlegt. Beide Seiten beauftragten eine unabhängige Institution mit Nachforschungen über Kunstgegenstände, von denen die polnische Seite vermutet, daß sie in Deutschland aufbewahrt werden, die aber auf diese offengelegten Liste nicht enthalten sind. Die unabhängige Institution wird verpflichtet, nach Abschluß ihrer zeitlich zu begrenzenden Nachforschungen diese öffentlich zu machen.

Es wäre ein Zeichen des guten Willens beider Seiten und des gegenseitigen Vertrauens, kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter, soweit solche unabhängig von schwer verifizierbaren Listen gefunden werden, ohne Vorbedingung und sofort zurückzugeben, um bei den Verhandlungen ein Klima des Vertrauens zu schaffen.

Die deutsche Seite gibt die von ihr und der unabhängigen Institution offengelegten Kunstgüter nach einem noch vor deren Offenlegung bilateral vereinbarten Zeitraum ohne Vorbedingungen an die polnische Seite zurück. 

Die polnische Seite übergibt nach einem ebenfalls vor der Offenlegung vereinbarten Zeitplan die in Folge der deutsch-polnischen Grenzveränderung nach dem Zweiten Weltkrieg auf polnischem Territorium befindlichen Bestände der Preußischen Staatsbibliothek („Berlinka”) an den Hauptsitz der Stiftung in Berlin.

Ausgehend von der Überzeugung, daß die Welt der Musik mehr als jedes andere künstlerische Schaffen nationale und kulturelle Grenzen überwindet und im Gegensatz zum Schrifttum keiner Übersetzung bedarf, um verstanden zu werden, und die Komponisten mehr als alle anderen Künstler der Welt gehören und nicht nur der nationalen Kultur, der sie entstammen und die in ihr Werk zweifellos einfließt, ist in der Kopernikus-Gruppe die Idee vorgetragen worden, die Musikalien-Sammlung aus den Beständen der „Berlinka” oder Teile von ihr im Rahmen einer Generallösung nach ihrer Zusammenführung in Berlin und nach einer Wanderausstellung in Deutschland und in Polen als Weltkulturerbe in Dauerleihgabe der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Bibliothek der Jagiellonen-Universität Krakau der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die empfangende Seite verpflichtet sich, während des Zeitraums der Dauerleihgabe den entsprechenden Bestand im Rahmen des Möglichen und Sinnvollen zu kopieren und diese Kopien der übergebenden Seite möglichst kostenlos zur Verfügung zu stellen. 

Es wird vorgeschlagen, im Rahmen der Stiftungslösung in der Ordensstadt Thorn das Deutschordensarchiv zusammenzuführen und zur dauerhaften Aufbewahrung, Pflege und Ausstellung zu übergeben. Zu diesem Zweck erhält das zu errichtende Ordensarchiv die 73 Urkunden des Deutschen Ordens, die im Geheimen Preußischen Staatsarchiv lagern, zurück. Die darüber hinaus in Berlin archivierten Bestände des Ordensarchivs werden mit den erwähnten Urkunden in Thorn zusammengeführt.  

4. Regelung für Archivalien

Es wird vorgeschlagen, die Diskussion um die Anwendung des personalen bzw. territorialen Provenienzprinzips zu beenden, fundamentalistische Vorstellungen zu vermeiden und eine pragmatische Lösung zu suchen. Die generelle Anwendung des territorialen Provenienzprinzips würde abgesehen von den schwer zu lösenden Fragen der Bedeutung der Archivalien für die jeweilige nationale und historisch-kulturelle Identität wegen ihrer schieren Masse nicht zu bewältigende technisch-organisatorische Probleme nach sich ziehen. Allein durch die Suche nach praktischen Teillösungen über einen längeren Zeitraum werden sich Lösungen finden lassen.

Diese könnten u.a. in der Anwendung des personalen Prinzips auf Archivalien beruhen, denen heute noch eine juristische Bedeutung zukommt. Archivalien ohne heutige juristische Bedeutung könnten nach dem territorialen Prinzip aufbewahrt werden. Archivalien, denen von einer Seite eine bedeutende symbolische Bedeutung zugemessen wird, sollten behandelt werden wie Kunstgegenstände.

Die Idee, durch die Übergabe symbolisch weniger belasteter Archivalien einer umfassenden Lösung näher zu kommen, ist deshalb begrüßenswert. Hier ist ein Prozeßcharakter anzuerkennen, der in engster Verbindung mit der Integration der deutschen Kulturgeschichte in den heutigen polnischen Staat und die gemeinsame Gewinnung und Pflege dieser Geschichte durch die ehemaligen und die heutigen Bewohner dieser Räume zu sehen ist. Deshalb sollte der Komplex der „kleinen” und lokalen Archivalien nicht mit der „großen Lösung” der Kulturgüterübergabe verknüpft werden. 

Als Zeichen des guten Willens und der Anerkennung des gemeinsamen deutschen und polnischen Interesses an einer sowohl den historisch-kulturellen als auch den pragmatischen Gesichtpunkten gerecht werdenden Regelung der Aufbewahrung von Archivalien, die für die deutsche und die polnische Geschichte wichtig sind, übergibt die Stiftung das Depositum Breslau zur dauerhaften Aufbewahrung und Pflege an die Stadt Breslau und das Depositum Danzig an die Stadt Danzig. Beide Städte stehen exemplarisch für die Pflege und Aneignung der deutschen und polnische Geschichte und Gegenwart durch die jetzt in diesen Städten lebende Generation.

Es wird angeregt, daß ehemalige  Bewohner, aber auch in Deutschland befindliche ostdeutsche Einrichtungen auf freiwilliger Basis den ehemaligen Heimatgemeinden Archivgut überlassen, das der Ausstattung des „Heimatmuseums” an Ort und Stelle zugute kommt und der heutigen polnischen Bevölkerung die Möglichkeit der Auseinandersetzung und Identifikation mit ihrer neuen Heimat erleichtert und sie zur Pflege der deutschen Geschichte ihrer Heimat ermuntert. Eine weitere Zunahme der freundschaftlichen Kontakte und der Zusammenarbeit zwischen Heimatvereinen der Vertriebenen bzw. ihrer Nachkommen und den polnischen Bewohnern ihrer früheren Heimatorte wäre wünschenswert. 

Dieter Bingen, Darmstadt,                                      November 2000
Kazimierz Wóycicki, Stettin

Das Projekt „Kopernikus-Gruppe” wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.